Die Cellularpathologie in ihrer Begründung auf physiologische und pathologische Gewebelehre. Rudolf Virchow

Die Cellularpathologie in ihrer Begründung auf physiologische und pathologische Gewebelehre - Rudolf Virchow


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Anfang der Kanälchen bezeichnen. Vergröss. 600.

      Unter den Geweben der Bindesubstanz besitzen diejenigen für die pathologische Anschauung die grösste Wichtigkeit, in welchen eine netzförmige Anordnung der Elemente besteht, oder anders ausgedrückt, in welchen die Elemente durch Ausläufer oder Fortsätze untereinander anastomosiren (Fig. 21; 22, A; 24). Ueberall, wo solche Anastomosen Statt finden, wo ein Element mit dem anderen zusammenhängt, da lässt sich mit einer gewissen Sicherheit darthun, dass diese Anastomosen eine Art von Röhren- oder Kanalsystem darstellen, welches den grossen Kanalsystemen des Körpers angereiht, welches namentlich neben den Blut- und Lymphkanälen als eine neue Erwerbung unserer Anschauungen betrachtet werden muss, also eine Art von Ersatz für die alten Vasa serosa bietet, die in der früher angenommenen Weise nicht existiren. Eine solche Einrichtung kommt vor im Faserknorpel, Bindegewebe, Knochen, Schleimgewebe an den verschiedensten Theilen und jedesmal unterscheiden sich die Gewebe, welche solche Anastomosen besitzen, von denen mit isolirten Elementen durch ihre grössere Fähigkeit, krankhafte Processe zu leiten. —

      Nachdem wir die Gruppe der Epithelial- oder Epidermoidalformation und die der Bindesubstanzen betrachtet haben, so bleibt uns noch eine ebenso grosse, als wichtige Gruppe, deren einzelne Glieder freilich nicht in der Weise, wie dies bei der Epithelial- und Bindegewebs-Formation der Fall ist, eine wirkliche Verwandtschaft untereinander haben. Ihre Uebereinstimmung ist vielmehr eine physiologische, indem sie die höheren animalischen Gebilde darstellen, welche sich durch die specifische Art ihrer Einrichtung und Leistung von den mehr indifferenten Epithelial- und Bindegeweben unterscheiden. Hierhin zähle ich das Muskelgewebe, das Nervengewebe, die feineren Gefässe mit Blut, Lymphe und Lymphdrüsen. Allerdings sind diese Gewebe unter sich so verschieden, dass man aus jedem derselben eine besondere Gruppe bilden könnte. Ich will darüber nicht streiten. Indess spricht die praktische Bequemlichkeit, sämmtliche Gewebe höherer Dignität in eine einzige Gruppe zusammenzufassen, für meinen Vorschlag.

      Ein anderer Umstand scheint auf den ersten Anblick die Nothwendigkeit einer solchen Vereinigung darzuthun. Gerade die Elemente der Hauptglieder dieser Gruppe stellen sich uns dar in der Form von zusammenhängenden, weithin durch den Körper verbreiteten, mehr oder weniger röhrenartigen Gebilden. Wenn man Muskeln, Nerven und Capillaren mit einander vergleicht, so kann man sehr leicht zu der Vorstellung kommen, es handle sich bei allen dreien um wirkliche Röhren, welche mit einem bald mehr, bald weniger beweglichen Inhalt gefüllt seien. Diese Vorstellung, so bequem sie für eine oberflächliche Anschauung ist, genügt jedoch deshalb nicht, weil wir den Inhalt der verschiedenen Röhren nicht einfach vergleichen können. Das Blut, welches in den Gefässen enthalten ist, lässt sich nicht als ein Analogen des Axencylinders oder des Markes einer Nervenröhre, oder der contractilen Substanz eines Muskelprimitivbündels betrachten. Allerdings ist die Entwickelung mancher Gebilde, welche ich in dieser Gruppe zusammenfasse, noch ein Gegenstand grosser Differenzen, und die Ansicht über die zellige Natur vieler der hier einschlagenden Elemente findet noch Widersacher. So viel ist indess sicher, wenn wir die fötale Entwickelung ins Auge fassen, dass die Blutkörperchen ebenso gut Zellen sind, wie die einzelnen Elemente der Gefässwand, innerhalb deren das Blut strömt, und dass man das Gefäss nicht als eine einfache Röhre bezeichnen kann, welche die Blutkörperchen umfasst, wie eine Zellmembran ihren Inhalt. Deshalb ist es nothwendig, dass man bei den Gefässen den Inhalt von der Wand, dem eigentlichen Gefässe trennt und dass man die Aehnlichkeit der Gefässe mit den Nervenröhren und Muskelbündeln nicht zu stark hervorhebt. Von entschiedener Bedeutung ist auch hier die Entwickelungsgeschichte. Nur was genetisch zusammengehört, muss zusammengehalten werden. Es ist aus diesem Grunde berechtigt, zum Blute die Lymphdrüsen hinzuzunehmen, insofern das Verhältniss beider zu einander ein gleiches ist, wie wir es bei den Epithelialformationen zwischen Epidermis und Rete angetroffen haben. Die Lymphdrüsen unterscheiden sich von den eigentlichen Drüsen nicht allein dadurch, dass sie keinen Ausführungsgang im gewöhnlichen Sinne des Wortes besitzen, sondern sie stehen auch ihrer Entwickelung nach keineswegs den gewöhnlichen Drüsen gleich; in ihrer ganzen Geschichte schliessen sie sich so eng an die Gewebe der Bindesubstanz, dass man eher versucht sein kann, anzunehmen, dass sie aus einer Umwandlung von Bindegewebe hervorgehen.

      Bei der Mehrzahl der höheren Gewebe tritt noch eine eigenthümliche Schwierigkeit hervor, welche wir schon bei den Drüsen (S. 38) kennen gelernt haben. Manche dieser Gewebe kommen überhaupt nirgends ganz rein vor. Sie sind vielmehr gemischt und zusammengehalten durch interstitielles Gewebe, welches von den specifischen Elementen ganz verschieden ist und ausnahmslos irgend einer Art von Bindesubstanz angehört. Es entsteht daher in der Regel ein zusammengesetzter, organartiger Bau, dessen Erforschung grosse Vorsicht erfordert, da sehr leicht die mehr indifferenten Elemente des interstitiellen Gewebes (welches wohl von Intercellularsubstanz zu unterscheiden ist) mit den eigentlich functionellen Elementen verwechselt werden können. Ein Muskel besteht aus wirklich muskulösen Elementen und Interstitialgewebe mit Bindegewebskörperchen, zu welchen noch Gefässe und Nerven hinzukommen. Das Gehirn enthält Nervenzellen, Nervenfasern und Interstitialgewebe mit einfachen Zellen, Gefässe u. s. w. Gehirnzellen im strengen Sinne des Wortes sind Nerven- oder Ganglienzellen, im weiteren können auch Gliazellen ebenso genannt werden.

see caption

      Fig. 25. Eine Gruppe von Muskelprimitivbündeln (Muskelfasern). a. Die natürliche Erscheinung eines frischen Primitivbündels mit seinen Querstreifen (Bändern oder Scheiben). b. Ein Bündel nach leichter Einwirkung von Essigsäure; die Kerne treten deutlich hervor und man sieht in dem einen zwei Kernkörperchen, den anderen völlig getheilt. c. Stärkere Einwirkung der Essigsäure: der Inhalt quillt am Ende aus der Scheide (Sarcolemm) hervor. d. Fettige Atrophie. Vergröss. 300.

      Unter den Gliedern der hier in Rede stehenden Gruppe hat man gewöhnlich die muskulösen Elemente als die einfachsten betrachtet. Untersucht man einen gewöhnlichen rothen Muskel, so findet man ihn wesentlich zusammengesetzt aus einer Menge von meistentheils gleich dicken Cylindern (den Primitivbündeln oder Muskelfasern), die auf einem Querschnitte sich als runde Körper darstellen. An ihnen nimmt man alsbald die bekannten Querstreifen wahr, das heisst breite Linien, welche sich gewöhnlich etwas zackig über die Oberfläche des Bündels erstrecken, und welche nahezu so breit sind, wie die Zwischenräume, welche sie trennen (Fig. 25, a). Neben dieser Querstreifung sieht man weiterhin, namentlich nach gewissen Präparationsmethoden, eine der Länge nach verlaufende Streifung, die sogar in manchen Präparaten so überwiegend wird, dass das Muskelbündel fast nur längsgestreift erscheint. Wendet man nun Essigsäure an, so zeigen sich, während die Streifen erblassen, an der Wand, hier und da auch mehr gegen die Mitte des Cylinders hin, in gewissen Abständen grosse, rundlich-ovale Kerne mit glänzenden, ziemlich grossen Kernkörperchen, bald in grösserer, bald in kleinerer Zahl. Auf diese Weise gewinnen wir, nachdem wir durch die Einwirkung der Essigsäure die innere Substanz geklärt haben, ein Bild, welches an Zellenformen erinnert, und man ist daher um so mehr geneigt gewesen, das ganze Primitivbündel als aus einer einzigen Zelle hervorgegangen anzusehen, als nach der älteren Ansicht innerhalb eines jeden Muskels die einzelnen Primitivbündel von dem einen Insertionspunkte bis zu dem andern reichen sollten, also so lang gedacht wurden, als der Muskel selbst. Letztere Annahme ist freilich durch Untersuchungen, welche unter Brücke's Leitung in Wien durch Rollett angestellt wurden, erschüttert worden, indem dieser nachwies, dass im Verlaufe vieler Muskeln sich Enden der Primitivbündel mit zulaufenden Spitzen finden. Diese Enden schieben sich ineinander, und es entspricht demnach keineswegs die Länge aller Primitivbündel der ganzen Ausdehnung des Muskels. Allein diese Entdeckung, statt die Ansicht von der zelligen Natur der Primitivbündel zu erschüttern, hat sie vielmehr befestigt; sie zeigt, dass auch das fertige Muskelprimitivbündel sich verhält, wie eine Faserzelle (Fig. 105, A).

      Die einzige bekannte Ausnahme von dieser Einrichtung findet sich, wie Eberth gefunden hat, an der Herzmuskulatur, welche durch das Bestehen verzweigter und anastomosirender Bündel schon seit Leeuwenhoek die Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte, und welche auch durch den Mangel eines ausgebildeten Sarcolemma


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