Welt- und Lebenanschauungen; hervorgegangen aus Religion, Philosophie und Naturerkenntnis. Max Bernhard Weinstein
eine Art Vestalinnendienst, der auch ganz dem römischen gleicht. Den Prometheus spielt ein alter König. Das Feuer erhält auch Opfer, und es dient auch um böse Geister zu verjagen.
Bei den Indianern scheint von höheren Ideen etwas vorhanden zu sein, das Frobenius’ zweiter Gruppe der afrikanischen Gottheiten entspricht. Ratzel, in seiner Völkerkunde, sagt: „Wo sich ein hinreichend abstrakter Begriff (nämlich für Gott) findet, deckt er sich doch nur mit ‚Seele‘, ‚Geist‘, ‚schalten‘ oder einfach ‚wunderbar‘. Manitus (der Algonkins) sind zahllose Geister von bekannter Herkunft, die die ganze Natur bevölkern und bald feindlich, bald wohlwollend dem Menschen begegnen.“ Gleichwohl kennen einige Stämme einen höchsten Weltschöpfer, einen Lichtgott, der die Welt für die Lichtmänner geschaffen hat. Die entdeckenden Europäer wurden für diese gehalten. Sonnenkult haben alle amerikanischen Stämme; Ratzel meint, soweit der Ackerbau reicht (wohl soweit Nutzpflanzen gedeihen). Manche verehren auch Mond und Gestirne. Aber nach den Sagen z. B. der Tlinkitindianer, an der Küste von Nordwestamerika, die Krause in seinem Buche über diese Stämme mitteilt, haben sich Sonne, Mond und Gestirne in drei Kästen befunden, die ein Häuptling, der Onkel Yelchs, besaß. Dieser letztere, als Knabe, setzte es durch, nacheinander mit allen drei Kästen zu spielen, öffnete sie, trotz des Verbots des Onkels, und so flogen erst die Gestirne, dann der Mond, zuletzt die Sonne an den Himmel. Und Yelch, wenn auch die Indianer sagen: „So wie Yelch handelte und lebte, so müssen auch wir handeln und leben“, war keine hohe Gottheit. In den vielen Mythen, die Krause von ihm mitteilt, ist die Hauptsache, daß er als Rabe Streiche über Streiche machte. Ob er Rabe war oder nur ein Rabengefieder trug, er fliegt jedenfalls wie ein Rabe und benimmt sich auch ähnlich. Bei anderen Stämmen sind es andere Tiere, die Yelch vertreten, wie Bär, Schildkröte, Spinne. Es ist also doch eigentlich nur höherer Totemismus und Ahnenglaube, der unter dem Einfluß des Christentums eine neue, mehr aufs Ideale gehende Färbung erhalten hat. Der Indianer unterscheidet sich in dieser Hinsicht vorteilhaft vom Neger. Und nun gar die Kulturvölker des alten Amerika; ich möchte nicht wiederholen, was ich in meinem Buche „Die Entstehung der Welt“ ausgeführt habe, und verweise darauf.
Unter den Ozeaniern haben es die Polynesier, trotz der sonstigen auf Fetisch- und Seelenglauben beruhenden Ansichten, zu einigen hohen Ideen gebracht. Die große Begeisterung, die andere ihren Sagen und Mythen entgegenbringen, teile ich nicht, weil selbst in den besten Kindischheit und Barbarei durchscheinen. Gleichwohl ist nicht zu leugnen, daß manches auf der Höhe griechischer Schöpfungen gleicher Art steht. Schon das Ehepaar Rangi und Papa, so materiell sie aufgefaßt werden, sind doch als höhere, besondere Wesen, Himmel und Erde, gekennzeichnet. Sie sind zuerst eng aneinander geschmiegt, so daß allgemein Finsternis besteht und ihre Kinder von Licht nichts wissen. Die so vergehenden Zeiten, nach Dekaden gerechnet, werden als Wesen aufgefaßt, Po. Jene Kinder heißen Tangaroa, Rongo-ma-tane, Haumia-tiki-tiki, Tane-mahuta, Tawhiri-ma-tea, Tu-matauenga. Von der gewaltsamen Trennung Rangis und Papas habe ich schon gesprochen. Sobald sie getrennt sind, ist es Licht. Von Sonne und Gestirnen wird nichts gesagt. Aber auch die Bibel kennt Licht ohne Sonne, es ist das erste, was Gott schafft. Nun sollte man erwarten, daß die Kinder Rangis und Papas etwas ganz Besonderes sind. Aber nein, sie sind rein irdisch. Grey, dem ich hier folgen darf, als dem wohl bedeutendsten Kenner polynesischer Mythologie, sagt: „Tangaroa bezeichnet (signifies) Fisch jeder Art, Rongo-matane bezeichnet Kartoffel und alles vegetabilisch als Nahrung Kultivierte, Haumia-tiki-tiki bezeichnet Farnwurzel und alles wildwachsende Eßbare, Tane-mahuta bezeichnet Wälder, Vögel und Insekten, die darin wohnen, und alle Dinge, die aus Holz gemacht werden, Tawhiri-ma-tea bezeichnet Wind und Stürme, Tu-matauenga bezeichnet Mensch.“ Damit ist nicht viel anzufangen. Der Realismus geht noch weiter. Der Wind und Sturm ist mit der Gewalttat, die gegen Himmel und Erde, auf Veranlassung des ersten Menschen, verübt ist, nicht einverstanden und rächt Vater und Mutter, indem er seine Brüder überfällt. Alles unterliegt ihm. Nur Tu-matauenga widersteht allein ohne Hilfe seiner Brüder. Nun zieht er über diese her und zehrt alles von ihnen, was irgend eßbar ist, also vom Wald alles Getier, vom Meer die Fische usf., auf. Zuletzt macht er noch Beschwörungsformeln, um sie zu zwingen, den Menschen immer zur Nahrung zu dienen. Und so wird der erste Mensch als Gott bezeichnet, der die Menschen diese Beschwörungen lehrte. Außer diesem Tu-matauenga läßt nur noch Tawhiri-ma-tea, das Wetter, göttlichere Eigenschaft erkennen. Anderweitig ist Tangaroa ein Hauptgott. Die Nachkommen des ersten Menschen sind die Menschen überhaupt. Sie erst haben Menschengestalt, die vier ersten Geschöpfe gleichen Menschen nicht. Rangi und Papa aber bleiben bis jetzt getrennt. Und wenn Papa voll Sehnsucht seufzt, steigen die Seufzer als Nebel zum Himmel, und wenn Rangi um die Geliebte weint, fallen die Tränen als Tau zur Erde; ein wunderschönes Bild. Rangi und Papa sind auch die Wohltäter der Menschen, indem Rangi Hauche, Menschen und Pflanzen zu kühlen, sendet, und Nebel, Tau und Regen und klares Wetter, damit die Pflanzen wachsen. Papa aber läßt die Pflanzen aus ihrem Schoß hervorgehen. Das tun sie, daß ihre Kinder zu essen haben.
Unter den Nachkommen befindet sich der bekannte Maui, mit vollem Namen Maui-tiki-tiki-a-Taranga. Er ist eine Frühgeburt und von seiner Mutter Taranga in die See geworfen (S. 12). Nach polynesischer Ansicht sollte er verderblicher Geist werden und die Menschen quälen, denn Frühgeburten müssen unter Beschwörungen vergraben werden. Er ist es nicht, zeigt aber in seinem Charakter in der Tat auch bösartige Eigenschaften. So tötet er ohne Grund ein junges Mädchen und macht ganze Ernten verdorren. Seinen Schwager verwandelt er aus Neid über dessen Erfolg beim Fischen in einen Hund, so daß seine Schwester aus Gram sich ins Meer stürzt. Er ist an sich ein Heros, der sich vor den Göttern fürchtet, aber er vollbringt Taten, die göttlich scheinen. Wie er die Sonne zwingt, langsam die Welt zu umgehen und nicht brennend zu strahlen, ist schon erwähnt. Seine zweite Haupttat ist das Heraufziehen der Nordinsel von Neuseeland an einem Kiefer als Angelhaken, aus dem Meere. Er ist aber darum doch nicht Erdschöpfer, da die Erde schon vor ihm bestand; er bewohnt schon ein Land mit seinen vier Brüdern. Die Insel aber zieht er wie zufällig, beim Fischen mit diesen Brüdern, in Gestalt eines Fisches empor. Die dritte Tat, wegen deren man ihn mit Prometheus verglichen hat, betrifft den Raub des Feuers. Indessen ist Feuer längst schon vorhanden, Maui kommt es mehr darauf an, das Feuer seiner Ahnin Mahu-ika zu zerstören. Er löscht aber vorher alles Feuer auf der Erde aus. Warum, ist nicht ersichtlich, da er kein anderes mitbringt, wenn’s nicht ist, daß er indirekt die Feuergöttin veranlaßt, den Rest ihres Feuers in Bäumen zu bergen, denen es die Menschen durch Reiben entlocken können. Er treibt mit der Feuergöttin, trotz der Warnung seiner Mutter, Spott. Er verlangt von ihr Feuer, sie läßt es aus einem Fingernagel hervorsprühen und gibt es ihm. Da löscht er es aus und bittet um neues, um es abermals auszulöschen. So fährt er fort, bis Mahuika die Kraft aller Finger- und Zehennägel verbraucht hat, außer der des Nagels einer großen Zehe. Diesen stampft sie – da sie sich betrogen erkennt – voll Wut auf den Boden. Alles gerät in Brand, Erde, Feld und Wald. Maui flieht als Adler und kann sich zuletzt doch nur retten, indem er seinen Vorfahr Tawhiri-ma-tea um Regen anfleht. Die Göttin aber behält von ihrem ganzen Feuer nur einige Funken, die sie sammelt und mit denen sie verfährt wie angegeben. Wenn diese Mythe nicht sinnlos sein soll, so muß die Feuergöttin irgendeinen bösen Dämon bedeuten, oder es ist in der Sage etwas verloren gegangen. Anderweitig wird der Mythos denn auch anders erzählt, so in Tonga, wo Maui mit dem Erdbebengott ringt, ihn überwältigt und das Feuer, an dem er sich gewärmt hatte, den Menschen bringt. Noch anders holt er das Feuer als Vogel. Sein letztes Abenteuer bringt ihm den Tod und den Tod auch der Menschheit. Eine Ahnin von ihm wohnt am Himmelshorizont, Hine-nui-te-po ist ihr Name, „große Frau Nacht“. Maui zieht zu ihr, begleitet von vielen Vögeln, die seine Genossen sind. Er findet sie schlafend und beschließt, in sie hineinzukriechen, sie ganz zu durchziehen und erst aus ihrem Munde sie zu verlassen. Er bittet die Vögel, nicht zu lachen, bis er wieder heraus ist, damit die Furchtbare nicht erwacht, und begiebt sich in sie hinein. Die Vögel verbeißen krampfhaft das Lachen über die Szene, aber das kleine Vögelchen Tiwakawaka vermag nicht an sich zu halten und lacht plötzlich auf. Da erwacht Hinenui-te-po, springt auf und tötet Maui. Hierin ist zweifellos der Sonnenuntergang geschildert, zumal Grey festgestellt hat, daß der Vogel Tiwakawaka in der Tat nur bei Sonnenuntergang sich hören läßt. Kommt noch dazu, daß Mauis Eltern in der Unterwelt leben, und er bei ihnen weilt und von Zeit zu Zeit emporsteigt, daß er Kraft über die Sonne Tama-nui-te-Ra übt, um verständlich zu machen, daß er als Sonnenheros angesehen wird.
Bastian,