Welt- und Lebenanschauungen; hervorgegangen aus Religion, Philosophie und Naturerkenntnis. Max Bernhard Weinstein
mit. Vor Rangi und Papa haben schon andere Dinge bestanden, die zum Teil wesentlich als Begriffe aufzufassen sind. Er zählt deren 17 auf. Zuerst Te-Kore, das Nichts, dann Te-Po, die Urnacht, hierauf Te-Rupunga, das Sehnen, sodann Empfindung, Ausbreitung, das Luftschnappen, Gedanke usf., zuletzt Hau-Ora, Lebensatem, und Atea, Weltall, gespalten in Rangi und Papa. Das geht freilich sehr hoch und weit, und Bastian vergleicht die Reihe mit ähnlichen Reihen in buddhistischen Anschauungen. Von Rangi und seiner zweiten Liebe Atatuhi (Dämmerungsstrahlen) sollen Mond, Sterne, Tagesgrauen, Tag, von ihm und seiner dritten Liebe Werowero (Hitzgezitter), Ra, die Sonne, stammen. Papa mit verschiedenen Männern bringt hervor Blitzesglanz, Donnergeroll, die Hinenui-te-po, sodann Inseln. Hier haben wir eine Kosmogonie in Form einer Theogonie. Noch andere Götter werden aufgeführt, deren Nachkommenschaft immer ihrer Funktion entspricht. So, wenn Tawhiri-ma-teas Geschlecht Erdbeben, Regenbogen, Hagel, Regen, Eis, Sturm, Kälte usf.; Tangaroas Aale, Muscheln, Hai, Walfisch, Seevögel usf. ist. Tu-mata-uenga, in Tiki als Mensch reproduziert, hat Rangis Tochter Kau-ata-ata zur Frau, das wäre also Eva, und von ihr zwei Kinder. Dann entwickelt sich das Geschlecht der Menschen weiter, und es findet sich darunter ein Matuika, Vater des Feuers, ein Fliegengott, ein Gott der Felssteine, ein Trawaru, Vater der Hunde. Die ganze Welt soll aus zehn Himmeln übereinander und zehn Erdschichten untereinander bestehen. In jenen sollen die Götter und Geister thronen – im höchsten weilt Rehua (für Rangi?) – im neunten, achten und siebenten die vergötterten Seelen in der Stufenfolge ihrer Bedeutung. Dann kommen die Untergötter, die Atua, zu denen auch Tawhaki (S. 17) gehört, die Halbgötter. Im vierten Himmel ist ein Lebensquell für Embryonen, im dritten (Nga-Roto) das Wasser über dem Firmament, im zweiten Regen und Sonnenschein. Der erste Himmel ist der feste und das Reich Tawhiri-ma-teas. Wie sich das mit dem auf S. 19 f. Mitgeteilten vereinen soll, kann ich nicht sagen. Auf die Schilderung der Erdschichten kommen wir zurück.
Fast noch verblüffender ist, was Bastian uns von der hawaischen Mythologie erzählt. Er hat auf Hawai in der Bibliothek des Königs (Kalakaua) ein aus dem Beginn des vorigen Jahrhunderts stammendes Manuskript „He Pule Heiau“ entdeckt, dessen Wortlaut er mitteilt und das ein Schöpfungsbild enthält. Die Welt ist mehrmals geschaffen. Die jüngste Schöpfung ging in acht Perioden vor sich. Bis zum Schluß der achten Periode herrscht Po, Finsternis, jedoch mit abnehmender Stärke, indem ein Schimmer stetig wächst. Erst dann tritt Ao, Licht, ganz hervor. Innerhalb dieser Perioden aber erscheinen erst Intelligenz, dann Abgrund (männlich und weiblich). Hierauf entstehen die Lebewesen, von unten nach oben sich entwickelnd. Zugleich füllt sich der Abgrund mit Erde, bis der Abgrund ganz verschwunden ist. Nun, in der achten Periode kommen der Mensch, als Urweib Lalai, indem sie „hervorwächst gleich einem Blatt“, und die persönlichen Götter. Das Weib verbindet sich erst mit den Urkräften, dann mit dem Sonnengott und mit Kane und Kii und anderen Göttern, woraus zuletzt das Heroen- und Menschengeschlecht hervorgeht. Das ganze ist eine Entwicklungsgeschichte, wobei immer zuerst das Geistige und dann das zugehörige Materielle entsteht, und sie wird bis in die historische Zeit hingeführt. Als Probe führe ich nach Bastian die zweite Strophe des Gedichtes an:
Geboren in Nacht.
Geboren Kumuligo, aus der Nacht als männliches,
Geboren Poele, aus der Nacht als weibliches,
Geboren die Milben im Gewimmel,
Geboren das Gewimmel in Reihen,
Geboren die Würmer, die Grabenden, die Erde aufwerfend,
Geboren ihre Mengen mit Nachkommenschaft,
Geboren die im Schmutz sich windenden,
Geboren ihre zuckenden Reihen,
Geboren Seeeier ohne Zahl,
Geboren ihre streifige Nachkommenschaft in Reihen.
Die interessante einleitende Strophe dieser seltsamen Dichtung lautet:
Hier dreht der Zeitumschwung zum Ausgebrannten der Welt,
Zurück der Zeitumschwung nach aufwärts wieder,
Noch sonnenlos die zeitverhüllten Lichter,
Und schwankend nur im matten Mondgeschimmer;
Aus Makaliis mächtigem Wolkenschleier
Durchzittert schattenhaft das Grundgebild künft’ger Welt.
Des Dunkels Beginn aus den Tiefen des Abgrunds,
Der Uranfang von Nacht in Nacht,
Von weitesten Fernen her, von weitesten Fernen,
Weit aus den Fernen der Sonne, weit aus den Fernen der Nacht.
Noch Nacht ringsumher.
Sehr klar ist das nicht. Es soll aber besagen, daß die neue Welt beginnt, nachdem die frühere zugrunde gegangen ist, daß dieses in tiefer, nur schwach durchschimmerter Finsternis geschieht, daß durch das Plejadengestirn (Makalii) die zukünftige Welt ideell durchleuchtet. Die letzten vier Verse, wenn sie nicht die Herkunft des Dunkels und der Nacht schildern sollen, verstehe ich nicht. Aber Bastian gibt selbst die Übersetzung mit dem größten Vorbehalt. Andere Erzählungen stimmen bis auf die Götterzugabe mit biblischen Angaben. Bastian freilich und Achelis erklären es lediglich aus der übereinstimmenden Denkweise der Menschen. Ich glaube aber nicht, daß das bei so speziellen Angaben, wie die Entstehung des Weibes aus der Rippe des Mannes, zulässig ist. Doch sei wenigstens hervorgehoben, daß eine Göttertrias, Kane, Ku, Lono, vorhanden ist, die alles schafft, Himmel, Erde, Sonne, Mond, Sterne und Lebewesen. Anderweitig ist Tangaroa oder Taaroa der Weltschöpfer, von dem bei den Marquesasinsulanern das von Moerenhout aufbewahrte Gedicht die höchsten Gedanken äußert:
Es weilet hier, Taaroa sein Name, in des Raumes unendlicher Leere;
Keine Erde noch, kein Himmel noch, keine See war da, keine Menschen.
Von oben herab Taaroa ruft, in Neugestaltungen wandelnd,
Taaroa, er als Wurzelgrund, als Unterbau der Felsen,
Taaroa als der Meeressand, Taaroa in weitester Breitung.
Taaroa bricht hervor als Licht,
Taaroa waltet im Inneren, Taaroa im Umkreis, Taaroa hienieden.
Taaroa die Weisheit,
Geboren das Land Hawaii.
Und dabei die doch zweifellosen Fetische, Götzen und Geister (Atua). Man muß annehmen, daß neben der Volksreligion, die, wie überall, im rein Konkreten haftet, auch eine höhere Anschauung vorhanden ist, die wenigen zugehört. Auch ist bekannt, daß oft die höheren Stände eine andere Religion haben als die niederen, sogar andere Fetische und Götzen. Und im übrigen stehen die sonstigen Sagen von jenen Göttern keineswegs auf sehr hoher Stufe. Selbst die Sage von Taaroa oder Tangaroa endet nicht sehr hoch. Wie es um ihn hell wurde, rief er den Sand der Küste zu sich. Dieser konnte aber nicht zu ihm fliegen. Dann rief er die Felsen zu sich. Auch diese vermochten es nicht, da sie festgewurzelt seien. Nun steigt er selbst zur Erde, und aus der Muschelschale, in der er bisher gehaust, macht er die Inseln, darauf zeugt er aus seinem Rücken die Menschen, wandelt sich in ein Boot und schwimmt auf dem Meere. Dort verspritzt er im Sturme sein Blut, worauf sich das Meer und die Wolken färben. Zuletzt wird sein Gerippe, „das Rückenbein oben, auf dem Boden liegend, eine Wohnung für alle Götter und zugleich das Vorbild für den Tempel.“ „Tangaroa wurde zum Himmel“, sagt Ratzel in seiner Völkerkunde. Man kann das zugeben, wenn man den Himmel nicht so anschaut wie wir es tun, und wenn man über alle Inkonsequenzen hinwegsieht, da ja ohne Tangaroa schon Land, Meer und Wolken vorhanden sind und man nicht recht begreift, wie dieser Gott da noch zum Himmel werden konnte. Auf Neuseeland ist Tangaroa recht indifferent als Gott der Meere, eigentlich der Tiere darin, und anderweit erscheint er auch als böser Geist, wie der ihm entsprechende Kanaloa. Auf die anderen besonderen Lehren einzugehen ist nicht nötig, nachdem wir die Höhen und die Tiefen kennen gelernt und gesehen haben, wie naiv große Gedanken mit skurrilsten Torheiten bei demselben Naturvolk bestehen können, was wir ja von uns selbst auch rühmen müssen. Auch habe ich weiteres Material schon in meinem mehrmals genannten Buche mitgeteilt.
Können wir nun sagen, daß