Mary, Erzählung. Bjørnstjerne Bjørnson

Mary, Erzählung - Bjørnstjerne Bjørnson


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und die Gärtnerwohnung.

      Der General wurde sehr alt. Nach ihm geschah nichts Besonderes, bis der Jüngere von zwei Brüdern nach Amerika ging und sich dicht am Michigansee ansiedelte, wo damals noch Neuland war. Das wurde als ein großes Ereignis angesehen. Er hieß Anders Krog, und es ging ihm gut da drüben. Nur wunderte man sich, daß er sich nicht verheiratete. Er wollte einen seiner Neffen zu sich nehmen, um ihm seinen Besitz zu überlassen. So kam es, daß der ältere Bruder des jetzigen Eigentümers von dannen zog. Er hieß Hans.

      Aber siehe da, ein jung norwegisch Mädchen, auch eine Verwandte, kam genau zur selben Zeit hin, und in sie verliebte sich der alternde Onkel. Er bot seinem Neffen an, ihm die Kosten der Rückreise zu erstatten. Dem jungen Mann aber erschien das unwürdig. Er blieb und fing ein eigenes Geschäft an, und zwar einen Holzhandel, denn darauf verstand er sich. Das Geschäft ging außerordentlich gut. Als er nach dem Tode seines Vaters nach Hause sollte und den Hof übernehmen, wollte er nicht. Der jüngere Bruder Anders war inzwischen Kaufmann geworden; er betrieb das größte Kolonialwarengeschäft der Stadt. Jetzt mußte er auch den Hof übernehmen.

      Ein eigentlicher Geschäftsmann war der junge Anders Krog nicht. Aber seine Gewissenhaftigkeit ohnegleichen und sein rücksichtsvolles Wesen bewirkten, daß bald alle bei ihm kauften. Ein andrer hätte reich dabei werden müssen; aber das wurde er nicht. Als er Krogskog übernahm, war sowohl das Geschäft in der Stadt wie vor allem auch der Hof erheblich verschuldet. Keins von beiden hatte er billig bekommen. Reisen hatte er freilich auch müssen, aber es waren jedes Jahr nur vier Wochen gewesen, einmal nach England, ein andermal nach Frankreich usw. Sein größter Wunsch war allerdings, einmal bis nach Amerika zu kommen, aber dazu hatte er denn doch nicht den Mut. Er begnügte sich damit, von dem neuen Wunderlande zu lesen; Lesen war seine größte Freude; nach ihr kam das Hantieren im Garten. Das verstand er besser als der Gärtner.

      Dieser stille Mann mit den leuchtenden Augen war schüchtern wie ein Mädchen von vierzehn Jahren. An jedem Werktag morgen suchte er sich einen einsamen Platz—d.h. wenn so einer da war—auf dem kleinen Dampfer, der ihn nach der Stadt brachte, solange die Bucht nicht zugefroren war. Beim Aussteigen war er voll Rücksicht gegen die andern; ehrerbietig grüßend eilte er an ihnen vorbei, wenn er an Land gekommen war,—und war dann in seinem Hause am Markt zu finden bis zum Abend, wo er auf die gleiche Weise heimkehrte. Das heißt: wenn er nicht radelte. Im Winter fuhr er mit dem Wagen oder übernachtete in der Stadt, wo er in seinem eigenen Hause zwei bescheidene Mansardenstuben bewohnte.

      Er hatte das Zeug zu dem besten Ehemann, den man sich in der Stadt vorstellen konnte. Aber seine unüberwindliche Bescheidenheit machte jede Annäherung unmöglich,—bis die rechte kam. Da war er aber schon über vierzig Jahr. Es ging ihm wie seinem Namensvetter, dem Onkel am Michigansee, daß ein junges Mädchen aus seiner eigenen Familie erschien und ihn eroberte. Und das war ausgerechnet das einzige Kind dieses Onkels.

      Er stand eines Sonntag morgens in Hemdsärmeln in seinem Küchen- und Blumengarten an der Nordseite des Hauses, als ein junges Mädchen mit einem großen Strohhut die beiden unbehandschuhten Hände auf das weiße Staket legte und zwischen den großen Knaufen des Gitters hindurchschaute.

      Anders Krog, der vor einem Blumenbeet kauerte, hörte ein schelmisches "Guten Tag" und fuhr in die Höhe. Seine Augen nahmen das Mädel wie eine Offenbarung in sich auf. Sprachlos und unbeweglich stand er mit seinen erdigen Händen da und starrte sie an.

      Sie lachte und sagte: "Wer bin ich?" Da kam ihm die Besinnung zurück. "Sie sind—Sie sind sicher—", er kam nicht weiter, aber sein Lächeln hieß sie willkommen. "Wer bin ich?"—"Marit Krog aus Michigan." Er hatte von seiner Schwester, die jenseits des linken Hügelrückens wohnte, gehört, Marit Krog sei unterwegs. Aber er hatte nicht geahnt, daß sie schon da war.—"Und Sie sind der Bruder meines Vaters", antwortete sie in etwas englischem Tonfall. "Wie Ihr beide Euch ähnlich seid!—Nein, wie Ihr Euch ähnlich seid!"—Sie stand und starrte ihn an. "Darf ich nicht hineinkommen?"—"Ja, selbstverständlich,—aber erst—erst muß ich doch—", er blickte auf seine Hände und auf die Hemdsärmel.—"Ich kann ja ins Haus gehen?" sagte sie unternehmungslustig. "Das können Sie,—selbstverständlich! Gehen Sie bitte durch die Haupttür hinein. Ich werde das Mädchen schicken",—und er begab sich eilig nach der Küche.

      Sie lief vorn vor das Gebäude und die Treppe hinauf. Sie mußte einen ungeheuer großen Schlüssel, der wie der ganze Eisenbeschlag ein altes Kunstwerk war, umdrehen, um in das Vorzimmer zu gelangen, das sehr viel Licht hatte. In ihr steckte ein Stück von einem Maler, sie hatte Augen für so etwas. Sie sah sofort, daß all diese großen und kleinen Schränke wunderschöne holländische Arbeit waren, und daß das Zimmer größer war, als es den Anschein hatte; denn die Möbel nahmen viel Platz ein. Eine schöne altertümliche Treppe mit Schnitzwerk führte zu ihrer Rechten in das zweite Stockwerk hinauf. Geradeüber mußte der Eingang in die Küche sein; sie dachte es sich und sie roch es auch. Das bestätigte sich ihr, als das Mädchen herauskam. Durch die offne Tür sah sie in eine Küche hinein, deren Fußboden mit Marmorfliesen belegt war; die Wände waren mit blaubemalten Kacheln bekleidet, und auf dem Gesims, das die Wand in zwei Hälften teilte, stand blankgeputztes Kupfergeschirr in allen Größen. Eine holländische Küche.

      Hier im Vorzimmer stand sie auf Teppichen so dick, wie sie noch nie welche betreten hatte. Ebenso schwer waren die Teppiche auf der Treppe, die von Messingstangen gehalten wurden, wie sie dicker nie welche gesehen hatte. Hier gehen die Menschen auf Kissen, dachte sie, und ihr kam gleich das Bild in den Sinn, das Haus sei ein ungeheures Bett. Später nannte sie es immer "das Bett." "Wollen wir jetzt nach Hause ins Bett?" sagte sie dann lachend. Zu beiden Seiten sah sie Türen und malte sich die Zimmer dahinter aus. Links von ihr, d. h. an der rechten Seite des Hauses, komme erst ein kleineres Zimmer nach vorn und dahinter, nach der Bucht hinaus, ein großer Raum über die ganze Breite des Hauses. Und das traf zu. Zur Rechten stellte sie sich das Haus der Länge nach in zwei Zimmer geteilt vor. Auch das stimmte. Es war nicht weiter verwunderlich, denn ihres Vaters Haus am Michigansee war nach diesem Bau eingerichtet. Oben dachte sie sich einen breiten Gang quer durch das Haus und kleinere Zimmer zu beiden Seiten des Flurs. Waren aber hier unten schon unglaublich dicke Teppiche, so waren sie da oben womöglich noch dicker, richtige Kissen. Dies Haus ließ kein Geräusch aufkommen. Hier lebten stille Menschen.

      Das Mädchen hatte die Tür an der Seite geöffnet, die zur See hinausging. Marit trat ein und sah sich alle Malereien und Schnurrpfeifereien im Zimmer an; es war allerdings überladen, aber jedes einzelne Stück war sorgfältig ausgesucht, zum Teil mit intimem Geschmack; das sah sie sofort. Hier waren unter anderem Gemälde, die einen hohen Wert haben mußten. Was sie aber besonders beschäftigte, war der Gedanke, daß sie erst jetzt ihren alten Vater verstand, obwohl sie von klein an mit ihm zusammengelebt hatte, ganz allein mit ihm; ihre Mutter hatte sie früh verloren. Aus so viel Feinem und Kostbarem war er zusammengesetzt. Ein bißchen bunt durcheinander und daher unbeachtet. War's nicht, als komme er jetzt und stelle sich neben sie und lächele sein diskretes, warmes Lächeln, weil er sich verstanden wußte?

      Da kam er ja! Durch die offne Tür sah sie ihn die Treppe herunterkommen. Jünger zwar, aber das tat nichts, die Augen waren nur noch schöner und inniger,—er kam daher mit demselben Gang, denselben Armbewegungen, genau so vornübergebeugt und behutsam sich nähernd. Und wie er sie jetzt ansah und mit ihr sprach und sie willkommen hieß … mit den gleichen abgetönten Worten, da ahnte sie in alldem die tiefe Achtung vor dem Individuellen, die in ihren Augen ihren Vater vor allen auszeichnete, die sie kannte. Der Vater hatte dünneres Haar, sein Gesicht war runzlig, der Mund hatte nicht mehr alle Zähne, die Haut war verschrumpft … Gerade diese Erinnerung füllte ihre Augen mit Tränen. Sie blickte empor in seine jüngeren Augen, hörte seine frischere Stimme, fühlte den Druck seiner wärmeren Hand. Sie konnte nicht dafür, sie schlang beide Arme um Anders Krogs Hals, schmiegte sich an seine Brust und weinte.

      Nun, damit war es entschieden. Er stand für nichts mehr.

      Nach einer Weile saßen sie beide zusammen in dem Boot, mit dem sie gekommen war. Sie ruderte um die Landspitze herum. Teils um seiner selbst willen, teils auch wegen der Badenden, die zusahen, hatte er ein paar schüchterne Versuche gemacht, ihr das Ruder abzunehmen. Aber seit dem Augenblick, da sie beide Arme um seinen Hals legte, hatte er sich seiner Macht begeben. Er wußte im voraus, daß er so tun mußte, wie dies reiche rote Haar es wünschte.


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