Mary, Erzählung. Bjørnstjerne Bjørnson

Mary, Erzählung - Bjørnstjerne Bjørnson


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weiter. Es lag Stil darin. Unter den Zurückbleibenden entstand sofort ein Geflüster. Die Art, wie sie vorüberging, ihr Gesicht, ihre Haltung, ihr Gang, die blendend schöne Haut, die leuchtenden Augen, die Wölbung darüber, die feingeformte Nase … das war alles aus einem Guß und alles vollendet. Jörgen Thiis war hin. Er selbst war ein großer, schlanker Mensch vom Krogschen Typ; nur die Augen waren ganz anders. Jetzt hingen sie wie festgenagelt an der Tür, hinter der sie verschwunden war. Er wartete auf der Treppe.

      Und wie sie wieder heraus und auf ihn zukam, um an seinem Arm zu den andern hinunter zu gehen,—in einem kurzen Kleide aus lichtem, wasserblauem Krepp mit durchbrochnen seidenen Strümpfen von derselben Farbe und in Silberbrokatschuhen mit antiken Schnallen, war sie ein Bild. Die Bewunderung war einstimmig. Es wurde von nichts anderem gesprochen, bis man zu Tisch ging. Auch da hörte es noch nicht auf; es gab Gesprächsstoff für die ganze Stadt. Daß ein so klassisch geschnittenes Gesicht mit so leuchtenden Augen in dem weißen, weißen Teint obendrein noch in einem Glorienschein von rotem Haar stand! Das Ganze war harmonisch zu der hohen Gestalt mit den leicht abfallenden Schultern und einer Büste, die noch nicht voll entfaltet, aber von einer Freiheit und Unabhängigkeit war, als könne sie losgelöst werden. Die Arme, die Handgelenke, die Hüftbildung, die Füße … es wurde beinahe komisch; denn einige junge Herren stellten mit dem größten Eifer die Behauptung auf, die Knöchel seien das Allerschönste. Sie hätten nicht ihresgleichen. So dünn,—und mit dieser schwellenden Rundung nach oben—? Nein, nirgends!

      Jörgen Thiis vergaß das Reden, ja sogar eine Zeitlang das Essen, das ihm sonst doch das Schönste auf der Welt war. Er ging wie ein Schlafwandler mit ihr. Wenn man sie sah, war er an ihrer Seite oder hinter ihr her.

      Wegen des Balles hatten sich ihr Vater und Frau Dawes nach dem Hause in der Stadt begeben. Sie wurden beim Morgengrauen geweckt von lautem Schwatzen und Lachen vor dem Hause und schließlich gar männlichen und weiblichen Hurrarufen; die Ballgäste hatten Marit nach Hause begleitet.

      Am ändern Tage bekamen die Alten Besuch von Verwandten und Freunden. Die älteren Leute, die auf dem Ball gewesen waren, erklärten Marit für die Schönste, die sie seit Menschengedenken gesehen hätten. Der alte Klaus war abends um neun noch in die Stadt gerudert und zu einigen Freunden gepilgert, bloß weil sie kommen und sehen sollten.

      Am Nachmittag präsentierte sich Jörgen in Uniform und mit neuen Handschuhen. Er wollte sich erlauben, nach dem Befinden des gnädigen Fräuleins zu fragen. Das gnädige Fräulein habe noch nichts von sich hören lassen.

      Als sie schließlich kam, war sie von etwas ganz andrem erfüllt als von dem gestrigen Tage. Das merkte Frau Dawes sofort. Auch erzählte die Ballkönigin nicht das geringste von dem Balle. Sie beschränkte sich darauf, zu fragen, ob sie aufgeweckt worden seien. Dann aß sie. Als sie fertig war und wieder hereinkam, erzählte ihr Vater, Jörgen sei dagewesen, um zu fragen, wie es ihr gehe. Marit lächelte. Frau Dawes: "Findest Du Jörgen nicht nett?"—"Doch."—"Worüber lächelst Du denn?"—"Er hat so viel gegessen."—Jetzt fiel der Vater lachend ein: "Das macht sein Vater, der Amtmann, auch so! Und regelmäßig sucht er sich die besten Stücke aus."—"Freilich."

      Frau Dawes saß und wartete auf das, was jetzt kommen würde; denn es kam etwas. Marit ging hinaus; nach einer Weile erschien sie mit Hut und Sonnenschirm wieder. "Willst Du ausgehen?" fragte Frau Dawes. Marit stand da und zog sich die Handschuhe an. "Ich gehe aus und bestelle mir Visitenkarten."—"Hast Du keine Visitenkarten?"—"Doch; aber die alten gefallen mir nicht mehr."—"Warum nicht?" fragte Frau Dawes sehr verwundert; "Du hast sie doch damals in Italien so hübsch gefunden?"—"Ja;—aber der Name gefällt mir nicht mehr, meine ich."—"Der Name?" Beide blickten auf. Marit: "Es ist gerade, als wenn er gar nicht mehr zu mir gehört,—meine ich."—"Marit gefällt Dir nicht?" fragte Frau Dawes. Der Vater warf leise hin: "Es war der Name Deiner Mutter." Sie antwortete nicht gleich; sie fühlte die entsetzten Augen des Vaters.—"Wie möchtest Du denn heißen, Kind?" Das war wieder Frau Dawes, die sprach. "Mary."—"Mary?"—"Ja. Das paßt besser,—meine ich." Die stumme Verwunderung der andern bedrückte sie augenscheinlich. Sie sagte: "Wir wollen ja jetzt doch nach Amerika. Da sagt man Mary."—"Aber Du bist Marit getauft", sagte ihr Vater schließlich zaghaft.—"Was schadet das?"—Frau Dawes: "Es steht in Deinem Taufschein, Kind; es ist Dein Name."—"Ja, in den Urkunden steht es vielleicht, aber nicht in mir." Die beiden andern starrten sie an.

      "Es tut Deinem Vater weh, Kind."—"Vater kann mich ja ruhig weiter Marit nennen."—Frau Dawes blickte sie traurig an, sagte aber nichts weiter. Marit war mit ihren Handschuhen fertig. "In Amerika werde ich Mary genannt. Das weiß ich. Hier habe ich eine Probekarte. Es macht sich doch gut?" Sie holte eine ganz kleine Karte aus der Tasche. Frau Dawes besah sie und reichte sie Anders Krog hin. Mit feiner Schrift stand auf feinem Papier: "Mary Krog."

      Der Vater schaute lange, schaute immer wieder auf die Karte. Legte sie dann auf den Tisch, nahm seine Zeitung und tat, als lese er.

      "Es tut mir leid, Vater, daß Du es so auffaßt."—Anders Krog wiederholte leise, ohne von der Zeitung aufzusehen: "Marit ist der Name Deiner Mutter."—"Ich habe Mutters Namen auch lieb.—Er paßt aber nicht für mich."

      Damit ging sie leise hinaus. Frau Dawes, die am Fenster saß, blickte ihr die Straße entlang nach. Anders Krog legte die Zeitung hin; er konnte nicht lesen. Frau Dawes versuchte, ihn zu trösten. "Es ist was Wahres dran", sagte sie. "Marit paßt nicht mehr für sie."

      "Der Name ihrer Mutter", wiederholte Anders Krog, und die Tränen liefen ihm über das Gesicht.

* * * * *

      Drei Jahre später

      Drei Jahre später fuhr Mary nach langem Regen an einem schönen Frühlingstage mit einer Verwandten, Alice Clerq, in Paris die Avenue du Bois de Boulogne hinunter auf das vergoldete Parktor zu. Sie hatten sich in Amerika kennen gelernt und sich hier in Paris im vorigen Jahre wiedergetroffen. Alice Clerq wohnte jetzt mit ihrem Vater in Paris. Der alte Clerq war früher der bedeutendste Kunsthändler von New York gewesen und hatte eine Norwegerin aus der Familie Krog geheiratet. Nach dem Tode seiner Frau verkaufte er sein riesiges Geschäft. Die Tochter war mit der Kunst aufgewachsen und hatte eine gründliche Ausbildung darin genossen. Sie hatte die Museen der ganzen Welt gesehen, hatte ihren Vater sogar bis nach Japan geschleppt. Ihr Hôtel in den Champs Elysées war voll von Kunstgegenständen. Dort hatte sie auch ihr Atelier; sie war nämlich Bildhauerin. Alice war nicht mehr jung, eine kräftige, rundliche Person, gutmütig und lustig.

      Dies Jahr kam Anders Krog mit seiner Begleitung aus Spanien. Die beiden Freundinnen sprachen gerade über ein Bild Marys, das aus Spanien an Alice geschickt war und nach Norwegen weiter wanderte. Alice behauptete, der Künstler habe es offenbar auf eine Ähnlichkeit mit Donatellos "Heiliger Cäcilie" abgesehen. Durch die Stellung des Kopfes, die Form der Augen, die Linie des Halses und den halb geöffneten Mund. Aber so interessant dieser Versuch sein möge, für die Ähnlichkeit sei er von Schaden. Zum Beispiel sei es ein Verlust für das Bild, daß die Augen nicht zu sehen seien; die habe sie ja niedergeschlagen wie bei Donatello. Mary lachte. Gerade um diese Ähnlichkeit herauszubekommen, habe sie ihm gesessen.

      Nun erzählte Alice von einem norwegischen Genieoffizier, den sie kennen gelernt habe, als sie mit seiner Mutter im Sommer in Norwegen gewesen sei. Er habe das Bild bei ihr gesehen und sich ganz in dieses Porträt verliebt.—"So", sagte Mary wie abwesend.—"Es ist kein gewöhnlicher Mensch, kannst Du glauben, und auch kein gewöhnliches Verliebtsein." —"Nanu?"—"Ich bereite Dich vor. Er kommt natürlich bei mir mit Dir zusammen."—"Ist das nötig?"—"Sehr. Denn sonst muß ich es ausbaden." —"Ist er denn gefährlich?" Alice lachte: "Mir wenigstens."—"Sieh einer an! Ja, das ist etwas anderes."—"Jetzt verstehst Du mich falsch. Warte, bis Du ihn siehst."—"Ist er so schön?"—Alice lachte: "Nein, er ist geradezu häßlich!—Na, warte nur ab."—Sie fuhren weiter, das Gedränge wurde größer; es war einer der Haupttage.—"Wie heißt er?" —"Franz Röy."—"Röy? So heißt unsere Ärztin auch. Fräulein Röy." —"Ja, das ist seine Schwester; er spricht oft von ihr."—"Sie hat eine herrliche Figur."—Da richtete Alice sich auf: "Und er? Wenn ich mit ihm über die Straße gehe, drehen die Leute sich um, weil sie ihn noch einmal sehen wollen. Ein richtiger Riese! Aber keiner von den fettgepolsterten. Nein, sehr groß und geschmeidig." —"Also gut trainiert?"—"Riesig. Auf nichts ist er so stolz wie auf


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