Verraten . Морган Райс
bis sie schließlich das Allerheiligste des Clans erreicht hatten. Niemand hatte einen Versuch gemacht, ihn aufzuhalten, als er mit seinen Männern in den Saal stürmte. Viele Vampire schlossen sich der Armee an, als sie Kyle und vor allem das Schwert sahen. Erfreut stellte Kyle fest, wie viele Vampire seines alten Clans ihm immer noch die Treue hielten. Er wusste, dass der Tag gekommen war, an dem er rechtmäßig die Führung über den Clan übernehmen würde.
Rexus war ein schwacher Meister. Wäre er stärker gewesen, hätte er selbst das Schwert gefunden, und zwar schon vor vielen Jahren. Niemals hätte er andere mit der Suche beauftragt. Es gefiel ihm, andere für seine eigenen Fehler zu bestrafen, obwohl er eigentlich selbst die Strafen verdient gehabt hätte. Die Macht hatte ihn berauscht. Die Verbannung Kyles war ein letzter, verzweifelter Versuch gewesen, alle zu eliminieren, die ihm in der Rangordnung nahegestanden hatten. Doch der Schuss war eindeutig nach hinten losgegangen.
Als Kyle durch den Saal auf den Thron des Obersten Meisters zupreschte, weiteten sich Rexus’ Augen voller Panik.
Er sprang von seinem Thron und versuchte, sich heimlich davonzuschleichen. Der sogenannte Meister zeigte jetzt im Krieg sein wahres Gesicht.
Doch Kyle hatte andere Pläne.
Schnell lief er hinüber, um Rexus direkt zu konfrontieren. Am einfachsten wäre es gewesen, Rexus das Schwert in den Rücken zu stoßen, doch so leicht wollte er ihn nicht davonkommen lassen. Er sollte ganz aus der Nähe sehen, wer ihn tötete.
Abrupt blieb Rexus stehen, als Kyles breite Schultern ihm den Weg versperrten. Sein Kinn bebte, als er das schimmernde Schwert betrachtete. Mit zitterndem Finger zeigte er auf Kyles Gesicht. In dem Moment sah er einfach nur wie ein alter Mann aus. Ein schwacher, alter Mann, der große Angst hatte. Wie armselig.
»Du bist verstoßen worden!«, rief er. »Ich habe beschlossen, dass du verstoßen wirst!«
Kyle grinste bösartig.
»Du kannst nicht gewinnen!«, fügte Rexus hinzu. »Du wirst nicht gewinnen!«
Lässig trat Kyle vor, holte aus und stieß Rexus das Schwert mit einer einzigen geschmeidigen Bewegung mitten ins Herz.
»Ich habe bereits gewonnen«, rief er dann.
Rexus schrie so furchtbar, dass alle im Raum sich umdrehten, obwohl sie selbst in Kämpfe verwickelt waren. Der ganze Saal vibrierte von dem schrecklichen Schrei, der eine Ewigkeit anzudauern schien. Während alle Rexus anstarrten, zerfiel sein Körper vor ihren Augen und löste sich in einer Rauchwolke auf. Schließlich blieb nur noch ein dünner Rauchfaden übrig, der langsam Richtung Decke aufstieg.
Alle Anwesenden blickten jetzt Kyle an.
Kyle reckte das Schwert in die Höhe und stieß einen lauten Schrei aus. Es war der Schrei des Siegers.
Alle Vampire, die die Schlacht überlebt hatten, drehten sich zu Kyle um. Dann ließen sie sich auf die Knie sinken und neigten die Köpfe, bis sie den Boden berührten. Der Kampf war vorüber.
Kyle atmete tief ein und nahm die Situation in sich auf. Jetzt war er ihr Meister.
6. Kapitel
Caitlin war nicht in der Lage zu sprechen und stürmte einfach davon.
All das war zu viel für, sie konnte es nicht verkraften. Hatte sie gerade wirklich gesehen, was sie zu sehen glaubte? Wie war das möglich?
Dabei hatte sie doch gedacht, dass sie Caleb so gut kennen würde und sie sich nun näher wären als je zuvor. Sie war sich sicher gewesen, dass sie zusammen waren, als Paar, und zwar für immer. Ganz deutlich hatte sie ihr neues gemeinsames Leben vor sich gesehen und war überzeugt gewesen, dass nichts sie trennen konnte.
Und dann das. Sie wäre nie auf den Gedanken gekommen, dass es in Calebs Leben eine andere Frau geben könnte. Warum hatte er ihr bloß nichts davon erzählt?
Natürlich erinnerte sich Caitlin daran, dass sie Sera bei ihrem kurzen Besuch in The Cloisters gesehen hatte – doch Caleb hatte damals beharrlich behauptet, dass er keine Gefühle mehr für sie hatte. Das, was zwischen ihnen gewesen war, sei Jahre her – nein, sogar Jahrhunderte.
Was machte sie dann also hier? Vor allem ausgerechnet jetzt? In diesem ganz privaten Moment, nachdem Caitlin von ihm in einen echten Vampir verwandelt worden und gerade eben aufgewacht war? Woher wusste sie überhaupt, wo sie waren? Hatte Caleb sie eingeladen? So musste es sein. Doch warum?
Der Schmerz überrollte Caitlin in Wellen. Dafür konnte es einfach keine plausible Erklärung geben. Aus genau diesem Grund hatte sie immer Angst davor gehabt, sich angreifbar zu machen, vor allem gegenüber Jungs. Nur bei Caleb hatte sie das zugelassen, weil sie ihm absolut vertraut hatte. Noch nie hatte sie sich einem anderen Mann gegenüber so geöffnet und so verwundbar gemacht. Und jetzt hatte er sie tiefer verletzt, als sie es sich je hätte vorstellen können.
Sie konnte immer noch nicht begreifen, warum sie ihn so grundlegend falsch eingeschätzt hatte. Wie konnte sie nur so dämlich sein? Wie würde die Unsterblichkeit nun wohl sein – ohne ihn? Sie würde eine Strafe sein, eine ewig andauernde Strafe. Am liebsten wäre sie gestorben. Außerdem kam sie sich wie eine komplette Idiotin vor.
»Caitlin!«, rief Caleb hinter ihr. Sie hörte seine eiligen Schritte. »Bitte, lass mich dir alles erklären.«
Was blieb da noch zu erklären? Offensichtlich hatte er Sera hierhergebeten. Offensichtlich liebte er sie noch. Und offensichtlich waren seine Gefühle für Caitlin nicht so stark wie ihre Gefühle für ihn.
Caleb fasste sie am Arm und flehte sie an, sich umzudrehen und ihn anzusehen.
Doch sie riss sich los, weil sie seine Berührung nicht ertragen konnte. Nie wieder wollte sie etwas mit ihm zu tun haben. Nie wieder.
»Caitlin!«, schrie er auf. »Willst du mir nicht einmal zuhören?«
Aber Caitlin lief einfach weiter. Sie war jetzt eine andere Person, und sie spürte den Unterschied auf mehr als eine Weise. Zu ihrer neu gewonnen Vampirkraft kam ein ganzes Spektrum neuer Vampiremotionen hinzu. Sie konnte bereits spüren, dass ihre Gefühle wesentlich stärker waren als zuvor als Mensch – viel, viel stärker. Im Moment war sie nicht einfach bloß deprimiert, sondern ihr war sterbenselend. Sie fühlte sich nicht nur verraten und betrogen – sie fühlte sich, als hätte man ihr einen Dolch mitten ins Herz gestoßen. Am liebsten hätte sie sich das Herz aus dem Leib gerissen, damit der Schmerz endlich aufhörte.
In dieser Verfassung marschierte sie über die Terrasse in ihr Zimmer und knallte die Eichentür hinter sich zu.
»Caitlin, Caitlin, bitte!«, hörte sie seine gedämpfte Stimme vor der Tür.
Caitlin drehte sich um und schlug mit der Faust gegen die Tür.
»Geh weg!«, schrie sie. »Geh zurück zu deiner Frau!«
Nach einigen Sekunden spürte sie, dass er tatsächlich ging.
Jetzt war sie ganz allein in der drückenden Stille. Erschöpft setzte sie sich auf die Bettkante, stützte den Kopf in die Hände und weinte. Sie schluchzte herzzerreißend. Alles, wofür es sich zu leben lohnte, war ihr genommen worden.
Plötzlich hörte sie ein leises Winseln und spürte etwas Weiches an ihrem Gesicht. Als sie die Augen aufmachte, sah sie Rose, die ihr Köpfchen an ihr rieb. Dann versuchte sie, ihr die Tränen aus dem Gesicht zu lecken.
Das half Caitlin, sich wieder zusammenzureißen. Zärtlich streckte sie die Hand aus und streichelte Roses weiches Fell. Der kleine Wolf sprang auf ihren Schoß – er war immer noch klein genug dafür – und Caitlin umarmte ihn vorsichtig.
»Ich habe immer noch dich, Rose«, sagte sie. »Du wirst mich bestimmt nicht verlassen, nicht wahr?«
Erneut leckte Rose ihr das Gesicht.
Doch Caitlins Schmerz war zu groß. Sie konnte es keinen Augenblick länger in diesem Raum aushalten, sonst würde sie platzen.
Ihr Blick fiel auf das große Fenster und den einladenden Nachthimmel. Ohne zu zögern, setzte sie Rose auf dem Boden ab, sprang auf, erreichte mit zwei schnellen Schritten das Fenster und sprang hinaus.
Ihre