Ein Reich der Schatten. Морган Райс
wo das Schwert gesunken war hinabsah, nagte etwas an ihm. Er sah nach draußen auf den Horizont und beobachtete das schwarze Wasser der Todesbucht und dort war noch etwas, etwas, dass seine Genugtuung störte. Während er den Horizont absuchte, konnte er in weiter Entfernung, ein einzelnes Schiff mit weißen Segeln ausmachen, welches an der Todesbucht vorbei und vom Teufelsfinger wegsegelte. Und als er es sah wusste er, dass etwas nicht stimmte.
Vesuvius drehte sich um und sah neben ihm zum Turm hinauf. Er war leer und seine Türen geöffnet gewesen. Das Schwert hatte auf ihn gewartet. Die, die es bewacht hatten, hatten es aufgegeben. Es war alles zu einfach gewesen.
Warum?
Vesuvius wusste, dass der Auftragskiller Merk das Schwert verfolgt hatte; er hatte ihn den ganzen Weg über den Teufelsfinger verfolgt. Warum sollte er es dann im Anschluss aufgeben? Warum segelte er weg von hier über die Todesbucht? Wer war die Frau, die mit ihm wegsegelte? Hatte sie denn Turm bewacht? Welche Geheimnisse versteckte sie?
Und wo gingen sie hin?
Vesuvius sah in den aufsteigenden Dunst des Ozeans und dann wieder in Richtung Horizont und seine Venen brannten. Er konnte nicht anders als zu vermuten, dass er überlistet worden war. So, als ob ihm ein ganzer Sieg genommen worden war.
Je länger Vesuvius darüber nachsann, merkte er, dass etwas nicht stimmte. Es war alles zu passend. Er inspizierte das grausame Meer unter sich, die Wellen krachten gegen die Felsen, der Dunst stieg nach oben und er realisierte, dass er die Wahrheit nie erfahren würde. Er würde niemals wirklich wissen, ob das Flammenschwert wirklich zu Boden gesunken war. Es war so, als ob etwas fehlen würde. So, als ob es vielleicht nicht das richtige Schwert gewesen war oder dass die Flammen nicht für immer unten bleiben würden.
Vesuvius brannte vor Entrüstung und traf eine Entscheidung: Er musste sie verfolgen. Er würde sonst niemals die Wahrheit wissen. Gab es irgendwo noch einen geheimen Turm? Ein anderes Schwert?
Und selbst wenn nicht, selbst wenn er alles erreicht hatte was er wollte, war Vesuvius berühmt dafür kein Opfer am Leben zu lassen. Er verfolgte immer jeden Mann bis zum Tod und hier zu stehen und zu beobachten wie sich diese zwei aus seinem Griff entzogen, gab ihm kein gutes Gefühl. Er wusste, er konnte sie nicht einfach ziehen lassen.
Vesuvius sah nach unten. Dutzende von verlassenen Schiffen waren immer noch an der Küste angebunden und schaukelten in den Wellen, so als würden sie auf ihn warten. Und dann kam er zu einer spontanen Entscheidung.
„Zu den Schiffen!“ befahl er seiner Trollarmee.
Gemeinsam drängelten sie sich alle nach vorne, um seinen Befehl auszuführen und stürzten die steinige Küste hinunter und auf die Schiffe. Vesuvius folgte ihnen und bestieg das Heck des letzten Schiffs.
Er drehte sich um, hob seine Hellebarde hoch in die Luft und durchschnitt das Seil.
Schon einen Augenblick später war er bereits mit allen Trollen unterwegs. Sie alle waren auf die Schiffe gequetscht und bereiteten sich auf die legendäre Todesbucht vor. Irgendwo dort am Horizont segelten Merk und dieses Mädchen. Und Vesuvius würde nicht eher aufhören, egal wohin er segeln musste, bis beide tot waren.
KAPITEL ACHT
Merk klammerte sich an die Reling, als er am Bug des kleinen Schiffs stand. Die Tochter des ehemaligen Königs stand neben ihm und beide waren in ihre eigene Welt versunken, während sie von den rauen Gewässern der Todesbucht hin und her geschleudert wurden. Merk starrte auf das schwarze, windgepeitschte mit weißen Schaumkronen versehene Wasser und konnte nicht anders als sich über die Frau an seiner Seite zu wundern. Seit sie den Turm von Kos verlassen und dieses Schiff betreten hatten, war das Rätsel um sie nur noch größer geworden. Er hatte so viele Fragen an sie.
Tarnis Tochter. Merk konnte es kaum glauben. Was hatte sie da draußen am Ende des Teufelsfingers eingeschlossen im Turm von Kos getan? Versteckte sie sich? War sie im Exil? Wurde sie beschützt? Wenn ja, von wem?
Merk spürte, dass sie mit ihren durchscheinenden Augen, ihrer zu blassen Erscheinung und unerschütterlichen Haltung von einer anderen Art war. Aber wer war dann ihre Mutter? Warum war sie alleine gelassen worden, um das Schwert der Flammen und den Turm von Kos zu bewachen? Wo war ihr Volk?
Und am meisten drängte es ihn zu wissen, wo sie ihn jetzt hinführte.
Eine Hand am Steuer lenkte sie das Schiff tiefer in die Bucht hinein, zu einem Ziel, welches Merk nicht kannte und sich nur vorstellen konnte.
„Du hast mir immer noch nicht gesagt, wohin wir fahren“, sagte er mit lauter Stimme, um den Wind zu übertönen.
Eine lange Stille kam auf, so lang, dass er unsicher war, ob sie überhaupt noch antworten würde.
„Dann sag mir zumindest deinen Namen“, fügte er hinzu als er realisierte, dass sie ihm nie gesagt hatte wie sie hieß.
„Lorna“, sagte sie.
Lorna. Ihm gefiel der Klang.
„Die drei Dolche“, fügte sie hinzu und drehte sich zu ihm. „Dahin fahren wir.“
Merk erstarrte.
„Die drei Dolche?“ fragte er überrascht.
Sie schaute bloß weiter geradeaus.
Merk jedoch war erstaunt über diese Neuigkeit. Die drei Dolche waren die abgelegensten Inseln ganz Escalons und so tief in der Todesbucht gelegen, dass er niemanden kannte der tatsächlich schon einmal dorthin gereist war. Knossos, die legendäre Festung und Insel, war die letzte der Inselgruppe und es hieß, dass dort Escalons kämpferischste Krieger lebten. Es waren Männer, die auf der kargsten Insel, auf der trostlosen Inselgruppe im gefährlichsten Meer, das existierte lebten. Es hieß es waren Männer, die genauso rau waren wie das Meer, welches sie umgab. Merk hatte noch nie einen von ihnen getroffen. Niemand hatte das. Sie waren mehr eine Legende als dass sie wirklich existierten.
„Haben sich deine Wächter dorthin zurückgezogen?“ fragte er.
Lorna nickte.
„Sie erwarten uns jetzt“, sagte sie.
Merk drehte sich um und schaute über seine Schulter, er wollte einen letzten Blick auf den Turm von Kos erhaschen. In dem Moment in dem er dies tat blieb ihm bei dem Anblick fast das Herz stehen: Da, am Horizont waren dutzende von Schiffen mit aufgeblasenen Segeln, die sie verfolgten.
„Wir haben Gesellschaft“, sagte er.
Zu seiner Überraschung drehte sich Lorna nicht einmal um, sondern nickte bloß.
„Sie werden uns bis zum Ende der Welt verfolgen“, sagte sie ruhig.
Merk war überrascht.
„Auch wenn sie bereits das Flammenschwert haben?“
„Es war nie das Schwert hinter dem sie her waren“, berichtigte sie. „Es war die Zerstörung. Das Vernichten von uns allen.“
„Und wenn sie uns einholen?“ fragte Merk. „Wir können nicht alleine eine ganze Armee von Trollen bekämpfen. Und auch eine kleine Insel aus Kriegern, egal wie mutig sie sind, kann das nicht.“
Sie nickte immer noch unbeeindruckt.
„Wir könnten tatsächlich sterben“, antwortete sie. „Aber wir werden es in der Gesellschaft der Wächter tun und für unsere Wahrheit kämpfen. Es gibt noch viele Geheimnisse, die bewacht werden müssen.“
„Geheimnisse?“ fragte er.
Aber sie blieb nur still und beobachtete das Meer.
Er war kurz davor ihr noch mehr Fragen zu stellen, als ein plötzlicher Windstoß das Schiff fast zum kentern brachte. Merk fiel auf den Bauch und schlug gegen die eine Seite des Rumpfs und rutschte über den Rand.
Baumelnd klammerte er sich mit aller Kraft an die Reling und als seine Beine ins eiskalte Wasser eintauchten, realisierte er, dass er darin erfrieren würde. Er konnte sich nur mit einer Hand festhalten, er war schon fast komplett im Wasser. Er sah über die Schulter und sein Herz setzte für einen Moment aus, denn er konnte bereits einen Schwarm roter Haie ausmachen, die sich ihm langsam näherten. Er fühlte einen schlimmen Schmerz als