Wenn es Doch Nur Für Immer Wäre . Sophie Love
verpackt wurde.
Emily war froh, neue und glückliche Erinnerungen mit ihrer Familie zu schaffen. Doch trotzdem musste sie an ihren Vater denken, an das, was wohl mit ihm geschehen war, und welche Geheimnisse er wohl gehabt hatte. Doch am meisten fragte sie sich, wo er jetzt war und ob sie ihn jemals würde ausfindig machen können.
*
Zurück in der Pension schafften Emily und Daniel den Baum an eine passende Stelle im Eingangsbereich. Schon kamen einige Gäste, die sich im Wohnzimmer aufhielten, heraus und sahen begeistert dabei zu, wie der Baum aufgestellt wurde.
Emily erinnerte sich an den Stapel Kartons auf dem Dachboden, in denen die alte Dekoration ihres Vaters verstaut war, weshalb sie davoneilte, um sie zu holen. Anschließend saßen sie und Chantelle zusammen am Küchentisch, wo sie die Dekoration durchsahen.
„Das ist wunderschön“, sagte Chantelle, während sie ein gläsernes Rentier hochhielt.
Bei dem Anblick lächelte Emily in sich hinein, denn sie musste daran denken, wie sie und Charlotte ihr Taschengeld zusammengelegt hatten, um es zu kaufen. Jedes Jahr sparten sie ihr Geld, um sich noch weitere davon zu kaufen, bis in ihrer Kollektion jedes von Santas Rentieren vertreten war. Dann hatte Charlotte jedes von ihnen markiert, damit man sie auseinanderhalten konnte.
Emily nahm das gläserne Rentier aus Chantelles Hand und sah auf dem Huf nach. Dort befand sich ein kleines eingeritztes Zeichen in Form eines Ds für Donner, doch es konnte genauso gut auch ein B für Blitz sein. Sie lächelt in sich hinein.
„In den Kisten ist ein ganzes Set davon“, meinte Emily, als ihr Blick auf eine verknotete Lichterkette fiel. „Irgendwo da drinnen.“
Sie wühlten so lange herum, bis sie jedes einzelne von Santas Rentieren gefunden hatten, inklusive Rudolph, dessen Nase Charlotte mit rotem Nagellack angemalt hatte. Emily verspürte einen Stich, als ihr wieder einfiel, dass sie nie dazu gekommen waren, Santa und Schlittendekorationen zu kaufen, welche als einzige noch fehlten und am teuersten waren, da Charlotte gestorben war, bevor sie genug Geld gespart hatten.
„Schau dir das mal an!“, rief Chantelle, womit sie Emily aus ihren Gedanken riss. Sie hielt ihr einen abgenutzten Eisbären vor die Nase.
„Percy!“, rief Emily und nahm ihn in die Hand. „Percy, der Eisbär!“ Sie lachte, unsagbar froh, dass sie solch eine obskure Erinnerung aus ihrem Gedächtnis fischen konnte. Sie hatte so viele davon verloren und doch gewann sie sie allmählich wieder zurück. Das gab ihr Hoffnung, die Rätsel ihrer Vergangenheit eines Tages entschlüsseln zu können.
Sie und Chantelle sahen die Dekorationen durch, wählten die Stücke aus, die sie verwenden wollten und packten die anderen wieder vorsichtig ein. Als sie damit fertig waren und sie sie an den Baum hängen wollten, war es draußen schon dunkel.
Daniel entzündete ein Feuer im Kamin, dessen orangenes Licht bis in den Eingangsbereich schien, als die Familie damit begann, den Baum zu schmücken. Chantelle hängte jede ihrer ausgewählten Dekorationen an den Baum und zwar mit genau der Präzision und Vorsicht, die Emily an dem Mädchen schon häufiger bemerkt hatte. Es schien, als würde das Mädchen jeden Moment genießen und die schrecklichen Erinnerungen ihrer frühen Kindheit mit neuen ersetzen.
Schließlich war es an der Zeit, den Engel auf die Baumspitze zu setzen. Chantelle hatte lange darüber nachgedacht, welche Dekoration den besonderen Platz einnehmen würde, und hatte sich letztendlich für einen handgestrickten Engel ausgewählt, der mit einem Rotkehlchen, einem Stern und einem dicken, kuscheligen Schneemann um den Platz konkurriert hatte.
„Bist du bereit?“, fragte Daniel Chantelle, als er zur Stufenleiter trat. „Ich werde dich hochnehmen müssen, damit du an die Spitze kommst.“
„Ich darf den Engel an die Spitze setzen?“, fragte Chantelle mit großen Augen.
Emily lachte. „Natürlich! Das ist immer die Aufgabe des Jüngsten!“
Sie beobachtete, wie Chantelle auf Daniels Rücken kletterte, wobei sie den Engel mit ihren Händen fest umschlossen hielt, um ihn nicht fallen zu lassen. Dann trug Daniel sie Schritt für Schritt nach oben. Zusammen streckten sie sich und Chantelle befestigte die Dekoration an der hohen Spitze des Baumes.
Sobald der Engel dort oben saß, wurde Emily plötzlich in die Vergangenheit gezogen. Der Flashback kam so schnell, dass sich ihr Atem beschleunigte. Der abrupte Wechsel von der hellen, warmen Pension zu dem kälteren, dunklen Haus dreißig Jahre zuvor löste eine Panik in ihr aus.
Emily sah zu Charlotte auf, die gerade den Engel, an dem sie den ganzen Tag lang gebastelt hatten, an dem Baum befestigte. Ihr Vater hielt Charlotte, damals noch ein pausbäckiges Kleinkind, fest, wobei er von den zahlreichen Sherries, die er an diesem Abend schon getrunken hatte, leicht schwankte. Emily hatte Angst, dass ihr angetrunkener Vater Charlotte in den Kamin fallen lassen würde. Emily war fünf Jahre alt und zum ersten Mal wurde ihr das Konzept des Todes bewusst.
Mit einem Keuchen kehrte Emily in die Gegenwart zurück und stellte fest, dass sie sich mit der Hand an der Wand abstützten musste, um sich auf den Beinen zu halten. Sie war am Hyperventilieren, doch schon war Daniel an ihrer Seite und legte ihr eine Hand auf den Rücken.
„Emily?“, fragte er besorgt. „Was ist passiert? Hattest du wieder eine Erinnerung?“
Sie nickte, unfähig, Worte zu formen. Die Erinnerung war so lebendig und erschreckend gewesen, obwohl sie genau wusste, dass Charlotte an jenem Winterabend nichts zugestoßen war. Emily freute sich über die meisten wiedererlangten Erinnerungen, doch diese hier hatte sich wie ein dunkles und unheilvolles Omen für kommende Ereignisse angefühlt.
Daniel rieb weiterhin über Emily Rücken, während diese versuchte, wieder zu Atem zu kommen. Chantelle sah besorgt zu ihr auf und es war schließlich das Gesicht des Kindes, das Emily aus dem eisernen Griff ihrer Erinnerungen riss.
„Es tut mir leid. Es geht mir gut“, sagte sie, der es ein wenig peinlich war, den anderen einen solchen Schreck versetzt zu haben.
Sie sah zu dem Engel mit dem paillettenbesetzen Kleid auf. Charlotte und sie hatten mehrere Stunden damit verbracht, die einzelnen Pailletten an dem Stoff zu befestigen. Jetzt glitzerten sie in dem sanften Licht, das aus dem Kamin im Wohnzimmer hinausschien, in Regenbogenfarben. Emily hatte das Gefühl, als würden sie ihr zuzwinkern. Nicht zum ersten Mal spürte sie Charlottes Nähe, mit der sie ihr Liebe, Frieden und Vergebung entgegenbrachte. Emily versuchte, sich an diesem Gefühl festzuhalten und darin Trost zu finden.
„Wir sollten zum Marktplatz gehen“, meinte Emily schließlich. „Wir wollen doch schließlich nicht verpassen, wie die Lichter am Baum entzündet werden.“
„Bist du dir sicher, dass es dir gut geht?“, fragte Daniel, der immer noch einen besorgten Eindruck machte.
Emily lächelte. „Mir geht es gut. Das verspreche ich.“
Doch ihre Worte schienen Daniel nicht ganz zu überzeugen. Sie bemerkte, dass er sie immer noch aus den Augenwinkeln beobachtete, während sie sich warm anzogen. Trotzdem stellte er ihre Entscheidung nicht weiter in Frage, weshalb die Familie hinaus zum Pickup-Truck ging und in die Stadt fuhr.
KAPITEL VIER
Trotz der bitteren Kälte hatte sich ganz Sunset Harbor auf dem Marktplatz versammelt, um die Beleuchtung des Baumes zu sehen. Sogar Colin Magnum, der das Kutscherhaus für den restlichen Monat gebucht hatte, war hier und genoss die Feierlichkeiten. Karen aus dem kleinen Supermarkt verteilte frisch gebackene Zimtrollen, während Cynthia Jones mit Thermoflaschen voller heißer Schokolade herumlief. Emily nahm die Getränke und das Essen dankend entgegen, deren Wärme sich in ihrem Bauch ausbreitete, während sie dabei zusah, wie Chantelle glücklich mit ihren Freunden spielte.
In der Menge konnte Emily Trevor Mann ausmachen. Bei seinem Anblick wurde sie von einer nagenden Angst befallen. Von dem Moment an, da Trevor beschlossen hatte, Emily um alles auf der Welt