Soll und Haben. Gustav Freytag

Soll und Haben - Gustav Freytag


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leider in dem Kränzchen zahlreiche Anhänger fand, zeigte Wohlfart die Regelmäßigkeit eines Mannes, der mit Entzücken seine Pflicht tut, er erschien pünktlich, er machte jeden Pas, er tanzte jeden Tanz, er war immer in guter Laune und fand eine Freude darin, vernachlässigte junge Damen zu engagieren. Da bei der Sorglosigkeit Finks und seiner Genossen schnell Mangel an Tänzern eintrat, wurde Anton in kurzem eine anspruchslose Hauptstütze des Salons, Liebling des Tanzmeisters und ein Vertrauter der jungen Damen, durch welchen heimliche Wünsche von den hellen Rändern des Saals zu der dunklen Mitte getragen wurden. Er selbst war in diesen Stunden ein seliger Mann, und die freudige Verklärung, welche auf ihm lag, fiel jungen wie älteren Damen als etwas Ungewöhnliches auf. Die einen wurden in der Überzeugung bestärkt, daß er ein guter Junge, und die letzteren in der keineswegs entgegengesetzten Überzeugung, daß er ein unbekannter Prinz sei. Er selbst wußte am besten, warum er so glücklich war. Alle seine Gedanken und Bewegungen bezogen sich im stillen auf sie, die unbestrittene Herrin seines Herzens. Alle andern Tänze und jede Unterhaltung mit einer Dritten betrachtete er nur als gesellschaftliche Schnörkel, die er mit der Feder seines Herzens um den einen Namen beschrieb. Und er diente nicht ohne Erhörung. Er wurde von ihr wie ein alter Freund unter Freunden behandelt. Sie bat ihn leise, einen oder den andern Tanz mit ihr zu tanzen, ja sie bat ihn sogar einmal, zugunsten eines neu angekommenen Vetters auf seine Rechte zu verzichten. Und sie freute sich, als Anton über dies Ereignis grenzenlos betrübt war, keine andere Dame aufforderte, sondern still den Tanzenden zusah. Niemals entfernte er sich, bevor sie den Saal verlassen hatte, dann stand er unweit der Tür, um noch die letzten Aufträge, einen Gruß, einen Blick ihres glänzenden Auges zu erhalten. Und auch ihr Auge flog, sooft sie in den Saal trat, suchend in den Kreis der schwarzröckigen Herren, bis sie Antons braunen Kopf erkannt hatte; dann erst fühlte sie sich heimisch in dem erleuchteten Raum.

      Auch mit vielen der Herren kam Anton in ein freundliches Verhältnis. Fink beeilte sich, ihn bei Feroni einzuführen. Zwar gefiel ihm manches an seinen neuen Bekannten nicht, ihre Urteile waren zuweilen roher, als ihm behaglich war, und er hatte mehrere von ihnen bald im Verdacht, herzlich ungebildet zu sein. Aber ihre Art zu sprechen und sich zu gebärden imponierte ihm doch, vor allem eine gewisse ritterliche Atmosphäre, die sie umgab, etwas Salonduft, etwas Stalluft und viel von dem Aroma der Weinstube. Da Anton eine harmlose Laune bewies, der nächste Bekannte des mächtigen Fink war und zuweilen eigenen Willen zeigte, wenn er nach Mitternacht gegen eine vorgeschlagene letzte Flasche protestierte oder die abwesenden Damen gegen eine übermütige Kritik mit frommem Ernst verteidigte, so erhielt er unter den andern Herren der Tanzstunde den Ruf eines guten Kerls.

      Gleich in den ersten Wochen hatte Anton Gelegenheit, seine angebetete Tänzerin in einer Situation zu sehen, welche die gewaltigsten menschlichen Leidenschaften aufregte. Die jüngeren Damen des Kränzchens waren natürlich alle ein Herz und eine Seele, jedoch verstand sich von selbst, daß einige in der Stille andere nicht recht leiden konnten. So entstanden Parteien. Bald bildeten sich zwei große Bundesgenossenschaften, zwischen denen einzelne hin und her schwankten, die aber im ganzen fest zusammenhielten und im geheimen starke Antipathien gegen die Gegenpartei nährten. Es kam so weit, daß an einem Abend sämtliche Damen der einen Partei eine weiße Kamelie in der Mitte des Ballstraußes trugen und ein sehr auffallendes hellbraunes Band von dem Strauß herunterhängen ließen; dies hatte zur notwendigen Folge, daß die Gegenpartei am nächsten Abend mit roten Kamelien im Strauß erschien und ein grünes Band darum wand. An der Spitze der Braunen stand Lenore, das Haupt der Grünen war Eugenie, die Tochter des Hauses. Im Vertrauen gesagt, die Grünen waren unerträglich. Sie machten Ansprüche ohne Berechtigung, sie waren mokant, sie gaben sich das Air, älter zu sein als die Braunen. Weil Hulda Werner und Mechthild Fiorelli den Winter zuvor in der Residenz gewesen waren und auf den Hofbällen getanzt hatten und weil Fanni Mareschalk bei einem lebenden Bild die Genoveva dargestellt hatte, mit ihrem kleinen Bruder und einem Rehkalb zur Seite, die durch Bänder an die hölzerne Rasenbank festgebunden waren, deshalb erhoben sie solche Ansprüche. Zu den Braunen gehörten Theone Lara und die reizende Hildegard Salt, zwei innige Freundinnen, die immer Arm in Arm gingen, gleiche Ballroben trugen und im Anfange des Winters geschworen hatten, einander nie zu verlassen, ein Schwur, gegen dessen Erfüllung sich die einzige Schwierigkeit erhob, daß ihre Eltern den Sommer über in den beiden entgegengesetzten Ecken der Provinz wohnten. Beide waren schwärmerische Naturen, die alle Gefühle miteinander teilten, beide sangen, beide spielten den Flügel, beide liebten dieselben Dichter, beide hatten einen unüberwindlichen Abscheu gegen Herren mit Kinnbärten, beide saßen wie zwei Sympathievögel zusammen und fanden ihr höchstes Glück darin, einander die Gefühle ins Ohr zu flüstern, die ihnen das Benehmen eines Herrn erregte oder das melancholische Vorspiel eines Walzers. Diese beiden schlossen sich bald innig an Lenore Rothsattel; sie, Valeska Panin und Hortense Leloup bildeten den Mittelpunkt der braunen Partei; Lenores stattliche Größe ragte aus dem Kreise dieser Getreuen hervor wie die Gestalt eines Häuptlings unter seinen Kriegern. Wenn ein Tanz beendet war, machte sich’s von selbst, daß die Braunen zusammentrafen; wenn sie in der tanzten, so erhoben sie unmerklich ihren Strauß und grüßten einander.

      Natürlich war Anton braun, braun vom Kopf bis zum Fuß, und als er über seine Gemütsstimmung ein offenes Bekenntnis ablegte, indem er an einem Abend in braun und weiß gestreifter Ballweste erschien, wurde er in der ersten Tour des Kotillons von allen Damen der Partei auf Verabredung geholt, ein Ereignis, welches sogar bei den Ehrendamen am Rande des Salons große Aufregung hervorbrachte. Es tut dem wahrhaftigen Geschichtsschreiber leid zu melden, daß Fink unter die Grünen gerechnet wurde, nicht unbedingt, denn er behandelte, wie die Braunen behaupteten, seine grünen Tänzerinnen sehr nachlässig; aber da Eugenie Baldereck seine Dienste vorzugsweise in Anspruch nahm, so war es, wie Anton entschuldigend sagte, seinem Freunde nicht möglich, sich dem Einfluß dieser Farbe ganz zu entziehen. Nun begab sich folgendes.

      Theone Lara hatte ein Tagebuch, in das sie ihre Empfindungen mit einer schwarzen Krähenfeder durch winzig kleine Buchstaben einzeichnete. Außer der bereits früher erwähnten Geschichte von den zwei Molchen stand alles andere darin, was ihr Herz jemals erregt hatte, ihre Ansichten über die Natur, die Menschen und das Kränzchen. Es war ihr höchster Schatz. In einer himmlischen Stunde hatte sie Hildegard Salt in die Geheimnisse dieses Buches eingeweiht, beide hatten einander geküßt und viel geweint und über diesem Buche ewige Freundschaft geschworen. Von da ab führten beide das Tagebuch gemeinschaftlich. Ihre vertrautesten Gefühle, die allergeheimsten Bemerkungen waren darin aufgezeichnet. Nach einem Kränzchenabend, wo Lenore sehr nett gegen sie gewesen war, schlossen sie ihr Herz auch gegen diese auf und zeigten ihr wenigstens einige Blätter des Buches. Seit der Zeit hatte auch Lenore zuweilen den Vorzug gehabt, etwas hineinzuschreiben. Da aber ihre Stärke nicht nur war, Gefühle aufzuzeichnen, als vielmehr Gesichter und lächerliche Männchen zu malen, so hatte sie einige Karikaturen hineingesetzt, und Hildegard, welche Gedichte machen konnte, hatte zu jedem Bilde einige Zeilen gedichtet. In dieses teure Buch durfte kein fremdes Auge blicken, niemand durfte das Heiligtum sehen und berühren. Theone trennte sich niemals davon. Am Tage und in der Nacht trug sie es bei sich. Bei Nacht lag es unter ihrem Kopfkissen, und während die Kammerjungfer sie anzog, steckte sie es heimlich oben in den Schnürleib hinein und trug es an ihrem warmen unschuldigen Herzen. Es war ein ganz kleines dünnes Buch, in karmesinrote Seide gebunden. Wenn Hildegard sie zärtlich ansah oder Lenore sie mit dem Ballstrauß auf den Arm schlug, so deutete sie mit dem Finger heimlich auf ihre Brust. An diesem Abend hatte sie das Buch wieder an seine Stelle geschoben, während der ersten Tänze hatte sie es deutlich gefühlt. Nach einer Quadrille fühlte sie danach, das Buch war verschwunden.

      Es war verschwunden, es war nicht mehr an ihr, es mußte während des Tanzes hinausgesprungen oder hinabgeglitten sein bis auf den Fußboden. Wie so etwas möglich war, ist ihr selbst und allen Beteiligten ewig ein finsteres Rätsel geblieben. – Sie war einer Ohnmacht nahe; kaum vermochte sie Hildegard beiseite zu ziehen und ihr das Schreckliche zu klagen. Hildegard rief Lenoren, vernichtet standen die drei nebeneinander. Das Bundesheiligtum war verloren, es war in fremde Hände gefallen, ja, entsetzlich zu denken, vielleicht sogar in die Hände der Grünen. Auf jeder der letzten Seiten waren schelmische Bemerkungen, sämtliche Herren waren darin aufgeführt, mit fremden Namen zwar, Fink hieß Zeisig, Tönnchen Nußknacker, aber wer konnte dafür stehen, daß sie nicht diese Chiffresprache herausbrachten? Und was mußte dann geschehen! Es war Untergang, Ruin der Tanzstunde, Familienzwist, Auflösung aller menschlichen


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