Soll und Haben. Gustav Freytag

Soll und Haben - Gustav Freytag


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wenn’s ihnen zu Hause zu bangsam wird. Wir bleiben bis zum Morgen zusammen. Und du, Anton, wirst dich heute nacht nicht ohne mich nach Hause schleichen, sondern du wirst aushalten, und zwar in stiller Todesangst.«

      »Was ist das für eine Geschichte mit dem Buch?« fragte Tönnchen am andern Arme.

      »Sage nichts«, bat Anton leise.

      »Eine tolle Konfusion«, erwiderte Fink, »Sie sollen alles erfahren.«

      »Um Gottes willen, schweig«, bat Anton.

      »Ich werde mich nach deinem Benehmen richten«, sagte Fink, »läufst du weg, so lese ich den andern das ganze Buch vor.«

      So kamen sie bei Feroni an. Anton überlegte, ob er sich auf Fink werfen und diesem mit Gewalt das Buch entreißen sollte. Aber der Erfolg war unsicher. Mit Ernst und Bitten war heut vollends nichts auszurichten. Nur List konnte helfen. Während er darüber nachsann, ließen sich die Herren in dem kleinen Hinterzimmer nieder, ihrer gewöhnlichen Trinkstube. Es waren außer Anton und Fink noch Zernitz und Tönnchen, der kleine Lanzau, ein Werner, ein Cousin Baldereck (dieser ein junger Herr mit hervorstechenden Augen, der in dem Buch unter dem Namen Laubfrosch angedeutet war) und zwei Tronka, nicht von den Tronka-Hams, sondern aus der andern Linie, in welcher das Majorat ist, Söhne des alten Majoratsherrn.

      »Was trinken wir?« fragte Fink.

      »Jeder seine Flasche«, erwiderte Zernitz.

      »Warum nicht gar?« rief Fink.

      »Nur nicht Ihren furchtbaren weißen Burgunder«, rief Guido Tronka. »Von unserer letzten Sitzung sind mir noch heute die Adern geschwollen wie Stränge.«

      »Dann also Sekt und Porter, ein ehrliches Halb und Halb«, schlug Fink vor.

      »Superbos!« rief der kleine Lanzau.

      »Das ist ebenso ein Höllengetränk«, klagte Zernitz.

      »Küfer, Schenk, herbei!« riefen die Herren, und die Bestellung wurde gemacht.

      Unterdes verfiel Anton auf ein verzweifeltes Mittel. Er ging hinaus, gab dem Aufwärter einen Taler und den Auftrag, den Ofen der kleinen Hinterstube zu überheizen und ohne Rücksicht auf die Klagen der Herren immerfort Kohlen nachzuwerfen. Er selbst setzte sich so weit vom Ofen, als irgend möglich war, und sah mit Freude, daß Fink sich dicht an den eisernen Zylinder gedrückt hatte. Bald mußte ihm die Wärme unbequem werden, dann zog er seinen Rock aus, wie er stets in solchen Fällen tat, dann war es möglich, das rote Buch vor seinen Augen aus der Rocktasche zu ziehen.

      »Ich nehme mir die Freiheit, Sie von einem großen Ereignis in Kenntnis zu setzen«, begann Tönnchen. »Haben Sie Tronkas Alice gesehen, Fink?«

      »Nein«, sagte Fink eingießend, »ist’s ein Pferd oder ein Frauenzimmer?«

      »Natürlich ein Pferd!« rief Tönnchen.

      »Bah, laßt heut die Stalljacke zu Haus«, sagte Fink.

      »Es ist aber verdammter Ernst!« rief Tönnchen. »Guido hat zum Herrenreiten eingesetzt.«

      »Zahlen Sie Reugeld«, sprach Fink zu Guido Tronka, »und bleiben Sie zu Haus. Den Ajax schlägt kein Traber in diesem Erdenwinkel.«

      »Sehen Sie sich morgen meine Alice an«, bat Tronka wieder, »ich möchte Ihr Urteil hören.«

      »Haben Sie die neue Liebhaberin gesehen?« sprach Zernitz zu Anton. »Sie hat brillante Augen.«

      »Sie trägt magnifik«, rief der andere Tronka zu Fink herüber.

      »Sie hat ja eine Hasenscharte«, rief der Laubfrosch verächtlich dazwischen.

      »Wer ist nun das wieder?« fragte Fink.

      »Die Seppi, ein grünäugiges Scheusal«, schrie wieder der Laubfrosch Baldereck. »Gehen Sie denn gar nicht mehr ins Theater?«

      »Nein«, versetzte Fink, »aber ich schicke meinen Reitknecht hinein. Wenn Sie Gefühle haben, bei denen er Sie unterstützen kann, so wenden Sie sich nur an ihn.«

      Es wurde warm. Anton fühlte die Verpflichtung, die Herren zu beschäftigen. Er bat Herrn von Zernitz um eine komische Geschichte im Volksdialekt, die ihm der Leutnant neulich anvertraut hatte, er stimmte laut in das Lachen des Laubfrosches ein, er verführte den ältesten Tronka, ein Abenteuer mitzuteilen, welches den Tod eines Hasen und einer Schnepfe verursacht hatte. Er griff nach der Kelle und goß die Gläser voll.

      Es wurde wärmer. Die Herren rückten unzufrieden mit ihren Stühlen und riefen nach dem Aufwärter.

      »Es verfliegt sogleich«, tröstete dieser.

      »Ich finde es gar nicht warm«, sagte Fink ruhig, »im Gegenteil. Sie können noch einlegen.«

      Aber die Hitze wurde unerträglich, die Herren gerieten in Zorn, Feroni selbst wurde gerufen. Anton protestierte gegen das Öffnen des Fensters, weil man vom Tanze noch zu warm sei, Fink erklärte die Temperatur für behaglich und behielt seinen Rock an.

      Anton war in Verzweiflung. Endlich ergriff er das letzte Mittel, er zog seinen eigenen Rock aus, um den Freund zu gleichem Entschluß anzuregen. Sofort tat Fink dasselbe, legte den Rock sorgfältig über seinem Stuhl zusammen und sah lächelnd auf Anton, der mit großer Aufmerksamkeit seine Bewegungen beobachtete.

      »Das Buch steckt nicht im Rock«, nickte Fink ihm zu, »die Mühe war umsonst, denke auf etwas anderes.«

      Anton öffnete das Fenster. »Ich versuche nichts mehr«, sagte er resigniert, »du bist mir zu schlau.«

      »Halt aus«, sagte Fink. Zernitz machte niedliche Witze, Tönnchen erzählte lügenhafte Geschichten von Tänzerinnen, der kleine Lanzau betrank sich. Endlich pochte Fink auf den Tisch. »Jetzt merkt auf. Ich wollte es verbergen, aber es ist nicht möglich, es schreit zum Himmel.«

      Anton fuhr auf: »Ich bitte dich, Fritz.«

      »Ruhig, Ofenheizer!« rief Fink. »Hört, ihr Herren, ich habe heut ein geheimes Tagebuch der Braunen gefunden und habe es durchgeblättert.«

      »Hurra, heraus damit!« riefen sämtliche Herren.

      »Es sind gewiß Verse darin«, rief Zernitz.

      »Es mag ein schöner Unsinn darin stehen!« rief Tönnchen. »Phantasie und Bosheit Unmündiger.«

      Anton war wütend.

      »Allerdings steht Unsinn darin, und die Verse scheinen mir schlecht. Hören Sie, Zernitz, was haben Sie mit der kleinen Lara gehabt?«

      »Nichts«, sagte der Leutnant befremdet, »ich habe ein paarmal mit ihr getanzt, das ist alles.«

      »So muß es gekommen sein«, fuhr Fink nachdenkend fort. »Die arme Theone! Ich habe ein Lied gelesen, das die Komteß auf Sie gemacht hat. Na, zuletzt sind Sie kein übler Bursch, aber ich hätte es niemals für möglich gehalten, daß man mit solcher Schwärmerei von einem Mann sprechen kann.«

      »Zeigen Sie her«, bat Zernitz angelegentlich.

      »Hier?« fragte Fink vorwurfsvoll. »Vor dieser wilden Bande? Wenn Sie auch die Lara, die mir heute in ihrer Angst allerliebst vorkam, nicht gerade begünstigen, so haben Sie doch gar keinen Grund, die reine Leidenschaft des armen Mädchens hier zu profanieren.«

      »Sie haben recht«, sagte Zernitz. »Aber unter vier Augen werden Sie mir’s zeigen.«

      »Gewiß«, versetzte Fink. »Ihr wißt, ich habe kein Gefühl für alle Kreatur, welche ihren Rock länger trägt als bis zum Knie, und wenn es etwas auf der Welt gibt, was mich kalt läßt, so sind es Backfische in Butter und in Kleidern. Aber der Wahrheit soll ihr Recht werden, die Mädchen, welche das Tagebuch miteinander geführt haben, sind seelengute Dinger, es ist auch nicht eine einzige boshafte Bemerkung darin.«

      Er wandte sich zum Cousin Baldereck: »Von Ihrer Cousine ist auf jeder Seite mit einer Liebe und Herzlichkeit gesprochen, die ebenso verdient als rührend genannt werden muß. – Das strengste Urteil wird über mich gefällt, ich werde ein Zeisig genannt.«

      »Auf die Art ist das Heft ziemlich langweilig«, sagte Benno Tönnchen.

      »Ja«,


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