Oblomow. Иван Гончаров

Oblomow - Иван Гончаров


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darum bittet, den Rücken dem Wald und den Eingang ihm zuzuwenden (Häufig wiederkehrende Beschwörungsformeln in russischen Märchen.) . Die Stufen hiengen über dem Graben, und man mußte, um mit dem Fuße hinaufzugelangen, sich mit der einen Hand am Gras und mit der zweiten am Dach des Hauses festhalten und dann geradeaus auf die Stufen steigen. Ein zweites Haus klebte wie ein Schwalbennest am Hügel; drei Häuser stehen hier zufällig beisammen und zwei andere befinden sich ganz auf dem Grunde des Grabens.

      Im Dorf ist alles still und schläfrig; die Hütten stehen weit offen; man sieht keine Seele; nur die Fliegen wirbeln in Wolken herum und summen in der Hitze. Wenn man ins Haus tritt, ruft man vergeblich laut nach jemand. Todtes Schweigen ist die Antwort; selten ertönt das schmerzliche Stöhnen oder dumpfe Husten einer alten Frau, die auf dem Ofen ihren Tod erwartet, oder es erscheint hinter dem Wetterverschlag ein bloßfüßiges, langhaariges dreijähriges Kind, das nichts als ein Hemd anhat, den Eintretenden schweigend und starr anblickt und sich schüchtern wieder versteckt. Dieselbe tiefe Stille und derselbe Frieden liegen auch auf den Feldern; nur hie und da krabbelt auf dem schwarzen Acker, wie eine Ameise, ein von der Hitze gesengter Bauer herum, indem er dem Pfluge folgt und sich in Schweiß badet.

      Stille und durch nichts gestörte Ruhe herrschen auch in den Sitten der Menschen in dieser Gegend. Es hat dort niemals Diebstahl, Mord oder irgendwelche schreckliche Zufälle gegeben; weder starke Leidenschaften, noch kühne Unternehmungen regten hier die Gemüther auf. Und was für Leidenschaften und Unternehmungen konnten sie aufregen? Jeder kannte dort sich selbst. Die Einwohner dieser Gegend lebten in großer Entfernung von andern Menschen. Die nächsten Dörfer und die Kreisstadt waren fünfundzwanzig und dreißig Werst von ihnen entfernt. Die Bauern brachten zu einer bestimmten Zeit das Getreide zum nächsten Hafen an der Wolga hin, welcher ihr Kolchis und ihre Herkulessäulen war, und dann fuhren manche von ihnen einmal im Jahre auf den Jahrmarkt – außer diesen hatten sie keinerlei Beziehungen zu irgendjemand. Ihre Interessen waren auf sie selbst gerichtet und kreuzten und berührten keine fremden Angelegenheiten. Sie wußten, daß achtzig Werst von ihnen entfernt die Gouvernementsstadt lag, doch nur wenige waren dort gewesen; dann wußten sie, daß sich irgendwo weiter Saratow und Nischnij-Nowgorod befanden; sie hatten auch gehört, daß es Moskau und Petersburg gab und daß hinter Petersburg Franzosen und Deutsche lebten, aber weiter begann für sie, wie für die Alten eine dunkle Welt, unbekannte Länder, die mit Ungeheuern, zweiköpfigen Menschen und Riesen bevölkert waren; dann folgte völlige Finsternis und endlich schloß alles mit dem Tisch, der die Erde trägt. Und da ihr Winkel nicht an der Fahrstraße lag, konnte man auch gar nicht zu den neuesten Nachrichten darüber, was auf der weiten Welt vorgieng, kommen; die Holzgeschirrhändler wohnten nur zwanzig Werst von ihnen entfernt und wußten nicht mehr als sie. Sie hatten nicht einmal etwas, womit sie ihr Leben vergleichen konnten, ob sie gut oder schlecht lebten, ob sie reich oder arm waren und ob man sich noch etwas wünschen konnte, das andere besaßen. Die glücklichen Menschen lebten in der Meinung, daß es nicht anders sein könne und dürfe und waren davon überzeugt, daß auch alle anderen ebenso wie sie lebten und daß es eine Sünde sei, anders zu leben. Sie würden es auch gar nicht glauben, wenn man ihnen sagen würde, daß andere Menschen irgendwie anders pflügten, säeten, mähten und verkauften. Was für Leidenschaften und Aufregungen konnten sie denn haben? Sie hatten wie alle Menschen ihre Sorgen und Schwächen, so die Einzahlung der Steuer oder des Pachtzinses, außerdem kannten sie die Trägheit und den Schlaf; doch das alles kam ihnen billig zu stehen, ohne daß ihr Blut in Wallung kam.

      In den letzten fünf Jahren starb von den einigen hundert Seelen niemand, noch eines gewaltsamen, weder eines natürlichen Todes. Und wenn dort jemand vor Alter oder von einer chronischen Krankheit in den ewigen Schlaf übergieng, konnte man sich über einen so ungewöhnlichen Fall gar nicht genug wundern. Es fiel ihnen aber dabei gar nicht als etwas Besonderes auf, daß zum Beispiel der Schmied Taraß sich selbst in seiner Erdhütte fast zu Tode verbrannte, so daß man ihn mit Wasser begießen mußte, um ihn wieder zur Besinnung zu bringen.

      Von den Verbrechen war eines, das ist das Stehlen von Erbsen und Rüben aus den Gemüsegärten, sehr verbreitet, und eines Tages verschwanden zwei junge Schweine und ein Huhn, ein Ereignis, das die ganze Umgegend empörte und das einstimmig mit der am vorhergehenden Tage vorübergefahrenen Fuhrenpartie, die mit Holzgeschirr zum Markt fuhr, in Zusammenhang gebracht wurde. Sonst waren Zufälle jeder Art sehr selten. Eines Tages wurde übrigens hinter dem Gehege im Graben bei der Brücke ein liegender Mensch gefunden, der wohl zu der in die Stadt wandernden Arbeiterpartie gehörte. Die Dorfjungen hatten ihn zuerst bemerkt und brachten ganz entsetzt ins Dorf die Nachricht, daß im Graben ein furchtbarer Drachen oder Werwolf daliege, wobei sie hinzudichteten, er hätte sie fangen wollen und hätte Kusjka fast aufgegessen. Die muthigeren Bauern bewaffneten sich mit Heugabeln und Hacken und begaben sich in einem Haufen zum Graben.

      – Wohin wollt ihr? – hielten die Alten sie zurück, – sitzt euch der Kopf zu fest am Nacken? Was habt ihr dort zu suchen? Laßtʼs gehn; man treibt euch ja nicht hin.

      Aber die Bauern machten sich trotzdem auf den Weg und begannen fünfzig Klafter von der Stelle entfernt das Ungeheuer mit verschiedenen Stimmen zu rufen; sie erhielten keine Antwort; sie blieben stehen; dann rückten sie wieder vorwärts. Im Graben lag ein Bauer und stützte seinen Kopf auf den Hügel; neben ihm lag ein Sack und ein Stock, auf dem zwei Paar Bastschuhe hiengen. Die Bauern wagten weder nahe heranzukommen, noch ihn zu berühren.

      – He! Bruder! – schrieen sie der Reihe nach und kratzten sich dabei bald den Nacken bald den Rücken, – wie heißt Du? Wer bist Du? He, Du! Was hast Du hier zu suchen?

      Der Fremde machte eine Bewegung, um den Kopf zu heben es gelang ihm jedoch nicht; er war wohl krank oder sehr müde.

      Einer der Bauern wollte ihn mit der Heugabel berühren.

      – Laß ihn, laß ihn! – schrien viele auf einmal, – wer weiß, wie er ist. Du siehst, er redet nicht; vielleicht ist er irgendsoeiner. . .Rührt ihn nicht an, Kinder! Kommt, – sagten einige; – wirklich, kommt; was ist er uns denn, etwa ein Vetter? Es kann einem dabei noch was geschehen!

      Und alle kehrten ins Dorf zurück und berichteten den Alten, daß dort ein Fremder liege, nichts spreche und Gott weiß was er für einer sei. . . .

      Wennʼs ein Fremder ist, dann rührt ihn nicht an! – sagten die Alten, auf der Hausschwelle sitzend und die Ellbogen auf die Knie stützend, – laßt ihn in Ruhʼ! Ihr hättet gar nicht hingehen sollen!

      So war der Winkel, in den Oblomow durch den Traum plötzlich zurückversetzt wurde. Von den drei oder vier dort zerstreuten Dörfchen hieß eines Sosnowka und ein zweites Wawilowka, beide in der Entfernung einer Werst voneinander gelegen. Sosnowka und Wawilowka waren das erbliche Besitzthum des Geschlechts der Oblomow und waren darum unter dem gemeinsamen Namen Oblomowka bekannt. In Sosnowka befand sich das Herrschaftshaus und sie bildete die Residenz. Fünf Werst von Sosnowka entfernt lag der kleine Flecken Werchljowo, der auch einst den Oblomows gehört hatte und längst in andere Hände übergegangen war, und noch einige zu diesem Flecken gehörige, hie und da zerstreute Hütten. Der Flecken gehörte einem reichen Gutsbesitzer, der sich auf seinem Gut niemals sehen ließ; er wurde von einem Verwalter deutscher Abstammung bewirtschaftet. Das ist die ganze Geographie dieses Winkels.

      Ilja Iljitsch ist des Morgens in seinem kleinen Bettchen erwacht. Er ist nur sieben Jahre alt. Ihm ist leicht und froh zumuthe. Wie hübsch, rothwangig und dick er ist! Solche runde Wangen bringt mancher Schelm selbst dann nicht zuwege, wenn er die seinigen mit Absicht aufbläst. Die Kindsfrau wartet auf sein Erwachen. Sie beginnt ihm die Strümpfchen anzuziehen; er widersetzt sich, tollt herum, strampelt mit den Beinen, die Kindsfrau fängt ihn und beide lachen. Endlich ist es ihr gelungen ihn auf die Füße zu stellen; sie wäscht ihn, kämmt sein Köpfchen und führt ihn zu der Mutter hin. Als Oblomow die längst verstorbene Mutter erblickte, erbebte er selbst im Traum vor Freude und heißer Liebe zu ihr, aus seinen Wimpern rannen im Schlaf langsam zwei warme Thränen hervor und blieben reglos stehen. Die Mutter bedeckte ihn mit leidenschaftlichen Küssen, betrachtete ihn mit gierigen, besorgten Augen, um zu sehen, ob seine Äuglein nicht trüb seien, fragte, ob ihm nichts weh thue, erkundigte sich bei der Kindsfrau, ob er ruhig geschlafen habe, ob er in der Nacht nicht erwacht sei, ob er sich im Schlaf nicht herumgewälzt und ob er kein Fieber gehabt habe; dann nahm sie ihn bei der Hand und führte ihn zum Heiligenbild.


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