Oblomow. Иван Гончаров

Oblomow - Иван Гончаров


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sich ins Zimmer ergoß.

      – Mamachen, gehen wir heute spazieren? – fragte er plötzlich mitten im Gebet.

      – Ja, Herzchen, – sagte sie eilig, ohne die Augen vom Heiligenbild abzuwenden, und sprach die heiligen Worte rasch zu Ende.

      Der Knabe wiederholte sie träge, aber die Mutter legte ihre ganze Seele hinein. Dann giengen sie zum Vater, und dann zum Thee.

      Am Theetisch sah Oblomow die bei ihnen wohnende uralte, achtzigjährige Tante, die unablässig über ihre Dienerin brummte, die vor Alter mit dem Kopf wackelnd hinter ihrem Sessel stand und sie bediente. Dort waren auch die drei alten Mädchen, entfernte Verwandte seines Vaters, der ein wenig geisteskranke Schwager seiner Mutter, der bei ihnen auf Besuch wohnende Besitzer von sieben Seelen. Tschekmenjew, und noch verschiedene Greise und Greisinnen anwesend. Dieser ganze Hofstaat des Hauses Oblomow fieng Ilja Iljitsch auf und begann ihn mit Liebkosungen und Lobsprüchen zu überhäufen; er hatte kaum Zeit, die Spuren der ungebetenen Küsse abzuwischen. Dann begann seine Fütterung mit Semmeln, Zwieback und Sahne. Und dann, nachdem seine Mutter ihn nochmals liebkost hatte, erlaubte sie ihn im Garten, auf dem Hof und auf der Wiese spazieren zu gehen, indem sie die Kindsfrau streng ermahnte, das Kind nicht allein zu lassen, ihn nicht in die Nähe der Pferde, der Hunde, des Ziegenbocks zu führen, nicht weit vom Haus fortzugehen und vor allem ihn nicht an den Graben heranzulassen, als an die gefürchtetste Stelle der Gegend, die einen bösen Ruf genieße. Man hatte dort einmal einen Hund gefunden, den man nur darum als toll erklärte, weil er von den Menschen fortrannte, die mit Heugabeln und Hacken auf ihn loszogen, und irgendwo hinter dem Berg verschwand: in den Graben lud man die crepierten Thiere ab; im Graben setzte man Räuber, Wölfe und verschiedene andere Wesen voraus, die es weder in der Gegend noch überhaupt auf der Welt gab.

      Das Kind hatte die Ermahnungen der Mutter nicht abgewartet, es war schon auf dem Hof. Es betrachtete mit freudigem Erstaunen, als wärʼs zum erstenmal, das Elternhaus, mit dem schiefen Thor, mit dem in der Mitte gesenkten Dach, auf dem zartes grünes Moos wuchs, mit den wackelnden Stufen, mit verschiedenen Neben- und Überbauten und einem vernachlässigten Garten. Es möchte zu gerne auf die das Haus umsäumende, hängende Gallerie steigen, um von dort aus auf den Fluß zu schauen; doch die Gallerie ist alt, hält sich kaum und auf ihr dürfen nur die Dienstboten, nicht aber die Herrschaften gehen. Es achtete nicht auf das Verbot der Mutter und wollte sich schon den verlockenden Stufen nähern, als die Kindsfrau in der Thür erschien und es mit Mühe und Noth fieng. Es flüchtete vor ihr zum Heuboden hin, in der Absicht, auf der steilen Treppe hinaufzusteigen, und kaum hatte sie Zeit gehabt den Heuboden zu erreichen, als sie schon sein Vorhaben, auf den Taubenschlag zu steigen, auf den Viehhof und, was Gott behüte, in den Graben zu gelangen, vereiteln mußte.

      – Ach Du mein Gott, was das für ein Kind ist, das reinste Quecksilber! Wirst Du ruhig sitzen? Schäme Dich! – sagte die Kindsfrau.

      Und der ganze Tag und alle Tage und Nächte der Kindsfrau waren vom Herumlaufen und von Unruhe erfüllt: bald von Qual, bald von lebhafter Freude um das Kind, bald von Angst, daß es hinfällt und sich die Nase zerschlägt, bald von Rührung, die durch seine aufrichtige kindliche Liebkosung hervorgerufen wurde oder von dunklem Bangen für seine ferne Zukunft. Nur das machte ihr Herz schlagen, diese Aufregung erwärmte das Blut der Alten und erhielt irgendwie ihr schläfriges Leben aufrecht, das sonst vielleicht längst erloschen wäre.

      Das Kind ist aber nicht immer ausgelassen; manchmal wird es plötzlich ruhig, sitzt neben der Kindsfrau und blickt alles so durchdringend an. Sein kindlicher Verstand beobachtet alle vor ihm auftauchenden Erscheinungen; diese graben sich tief in seine Seele ein, und wachsen und reifen zugleich mit ihm.

      Es ist ein herrlicher Morgen; die Luft ist kühl; die Sonne steht noch nicht hoch. Das Haus, die Bäume, der Taubenschlag und die Gallerie, – alles wirft weithin lange Schatten. Im Garten und auf dem Hof haben sich kühle Plätzchen gebildet, die zum Sinnen und Schlafen einladen. Nur in der Ferne glüht das Korn wie im Feuer, und der Fluß glänzt und funkelt so in der Sonne, daß die Augen schmerzen.

      – Warum ist es hier dunkel und dort hell und warum wird es auch da hell sein, Kindsfrau? – fragte das Kind.

      – Darum, Väterchen, weil die Sonne dem Mond entgegen geht, ihn aber nicht sieht und traurig wird, wenn sie ihn aber von Ferne sieht, hellt sie sich wieder auf.

      Das Kind denkt nach und schaut immer um sich; es sieht, wie Antip Wasser holen fährt, wie neben ihm ein zweiter, zehnmal so großer Antip schreitet, das Faß erscheint so groß wie ein Haus, und der Schatten des Pferdes hat die ganze Wiese bedeckt; der Schatten hat nur zwei Schritte über die Wiese gemacht und ist plötzlich hinter den Berg gerückt, während Antip noch nicht einmal Zeit gehabt hat, vom Hofe hinauszufahren. Der Knabe machte auch zwei Schritte, noch ein Schritt und er wird hinter dem Berge sein. Er wollte zum Berge hingehn, um nachzuschauen, wohin das Pferd hingekommen ist. Er geht zum Thore hin, aber jetzt ertönt aus dem Fenster die Stimme der Mutter:

      – Kindsfrau! siehst Du nicht, daß das Kind in die Sonne gelaufen ist? Führe es in den Schatten; wenn ihm das Köpfchen heiß wird, thut es ihm weh, es wir ihm übel werden und es wird nicht essen. Es wird noch zu dem Graben hinlaufen.

      »So ein Wildfang!« brummte leise die Kindsfrau, ihn zum Hause zurückführend.

      Das Kind schaut und beobachtet mit scharfem allumfassendem Blick, was die Erwachsenen thun und womit sie den Morgen verbringen. Kein einziges Detail, kein einziger Zug entgleitet der gespannten Aufmerksamkeit des Kindes; das Bild des häuslichen Lebens prägt sich unauslöschlich in die Seele ein; der noch ungeformte Verstand wird vom lebendigen Beispiel durchgesetzt und zeichnet unbewußt das Programm seines Lebens nach dem ihn umgebenden Leben.

      Man kann nicht sagen, daß der Morgen im Hause der Oblomows verloren gieng. Das Klopfen der Messer, die in der Küche das Fleisch und das Gemüse zerhackten, drang selbst bis ins Dorf hin. Aus dem Dienstbotenzimmer drang das Zischen des Spinnrades und die leise, feine Stimme einer Frau herüber; es war schwer zu unterscheiden, ob sie weinte oder ein trauriges Lied ohne Worte improvisierte. Sowie Antip mit dem Faß auf den Hof zurückgekehrt war, kamen ihm aus allen Ecken Frauen und Kutscher mit Kübeln, Trögen und Krügen entgegen. Dort trug eine Alte eine Schüssel Mehl und einen Haufen Eier aus der Vorrathskammer in die Küche; und jetzt schüttete der Koch plötzlich Wasser durchs Fenster aus und bespritzte damit die Arapka, die den ganzen Morgen kein Auge vom Fenster wendete, freundlich mit dem Schweif wedelte und sich beleckte.

      Der alte Oblomow ist auch nicht ohne Beschäftigung. Er sitzt den ganzen Morgen am Fenster und beaufsichtigt unermüdlich alles, was auf dem Hofe vorgeht.

      – He, Ignaschka! Was trägst Du, Dummkopf? – fragte er den über den Hof schreitenden Mann.

      – Ich trage die Messer in die Gesindestube zum Schleifen hin, – antwortete dieser, ohne den Herrn anzuschauen.

      – Gut, trage sie nur hin und schleife sie ordentlich! Dann rief er irgendeiner Frau zu:

      – He, Frau! Frau! Wohin bist Du gegangen?

      – In den Keller, Väterchen, – sagte sie, indem sie stehen blieb, sich die Hand vor die Augen hielt und ins Fenster schaute, – ich habe Milch zum Mittagessen geholt.

      – Gut! gehʼ, gehʼ! – antwortete der Herr, – gib aber acht, daß Du die Milch nicht ausschüttest. – Und Du Sachar, Du Lausbub, wohin rennst Du wieder? – schrie er darauf, – ich werde Dich das Herumrennen schon lehren! Ich sehe Dich schon zum drittenmal über den Hof laufen. Marsch zurück, ins Vorzimmer!

      Und Sachar gieng wieder ins Vorzimmer schlafen. Wenn die Kühe von der Weide zurückkehrten, sorgte der Alte als erster dafür, daß sie getränkt wurden; wenn er aus dem Fenster sah, daß der Hofhund ein Huhn verfolgte, traf er sofort strenge Maßregeln gegen diese Ruhestörung.

      Auch seine Frau ist sehr beschäftigt; sie bespricht drei Stunden lang mit dem Schneider Awjerka, wie man aus dem Wams ihres Mannes ein Röckchen für Iljuscha herauskriegen soll, sie zeichnet selbst mit Kreide und paßt auf, daß Awjerka kein Tuch stiehlt; dann geht sie in die Mägdekammer, sagt jedem Mädchen, wie viel Spitzen sie den Tag zu flechten hat; dann ruft sie Nastassja Iwanowna oder Stjepanida Apapowna oder sonst irgend wen aus ihrem Hofstaat herbei, mit ihr im Garten


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