Die Mühle zu Husterloh. Adam Karrillon

Die Mühle zu Husterloh - Adam Karrillon


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offenbar sehr zufrieden, und er verlangte von seinem Vater einige Worte bewundernder Anerkennung. Dieser, glücklich über die kleine Ablenkung, fuhr dem Knaben mit der Hand durch das lichtblonde Haar und sagte: »Schön, mein Junge, sehr schön, du könntest der Sohn des Amtmannes sein.«

      Diese Worte rissen die geborene Schütteldich plötzlich aus tränenfeuchter Lethargie empor, und sie schrie in bellendem Tone: »O, der Hohn, das muss Unsereiner sich bieten lassen! Da sieh einer den Jungen an, gleicht der noch einem Menschen?«

      »Ihr übertreibt, Nachbarin,« fiel Röse Ricke ein, »er ähnelt immer noch dem Dalai-Lama von Taklakott, den ich einmal in einem Guckkasten kennen gelernt habe,« und sie lachte hell hinaus.

      Auch Vater Höhrle lachte, und da er an derartige Rührszenen längst gewohnt war, so benutzte er die Gelegenheit und brachte die Tür hinter seinen Rücken. Der kleine Hans, der merkte, dass man sich über ihn amüsiere, hatte nichts dagegen einzuwenden, sondern griff mit beiden Händen an die Hosennähte und fing an, in den unaussprechlich weiten einen Cancan zu tanzen. Jetzt nahm Mutter Höhrle die Schürze von den Augen, und da sie wusste, dass sie vorhin gewaltig übertrieben hatte, so wollte sie wenigstens Röse Ricke gegenüber etwas einlenken, und sie sagte kleinlaut: »Ist nicht sein Aussehen so, dass man ihn auf Jahrmärkten sehen lassen könnte?«

      »Doch,« sagte Röse Ricke, »und wenn wir zwei mit dem Zinnteller sammeln gingen, so dürfte immerhin ein Stück Geld dabei herausspringen.«

      Die Tür ging auf, und Suse und Liese, die im Sonntagsputz vom Kirchgang nach Hause kamen, machten sich ungestüm über ihren drolligen Bruder her und bedeckten ihn mit einer schier endlosen Anzahl von Küssen. Mutter Höhrle fand das langweilig und kürzte die Szene des Wiedersehens mit der Frage ab, ob denn die Mädchen nichts Neues im Kirchdorfe erfahren hätten. Doch, sie hatten die Damen der Firma Groß und Moos in einem Viktoriawagen gesehen, und sie bestätigten ausdrücklich, was Röse Ricke nur gerüchtweise erzählt hatte, dass Groß und Moos in einem eigenen Kirchenstuhle saßen, der durch eine Tür für andere Leute abgesperrt war, dass der Kirchendiener vor ihnen einen Knicks gemacht, mit seinem Sacktuch die Sitze abgestäubt und ein Polster auf ihre Kniebank gelegt habe. Mutter Höhrle war empört über eine derartige Bevorzugung hereingeplackter Menschen vor dem Angesichte des Herrn, und sie erklärte rundweg: »So, entweder räumt jetzt der Pfarrer der Familie Höhrle gleichfalls einen eigenen Stuhl ein, oder wir werden Protestanten.«

      »Wacker geredet,« sagte Röse Ricke, »und dem guten Hirten über dem Kirchenportal geschieht es recht, wenn seine Schafe aus dem Pferch brechen, warum speist er sie mit so unterschiedlichem Futter. Unheil, du bist im Zug,« murmelte sie noch, ging gut gelaunt nach der Türe und überließ die Mutter Höhrle dem Dämon des Neides, der mit seinen Krallen ihr Herz zerfleischte.

      4. Kapitel

      Schade, recht schade, dass Entschließungen oft so rasch reifen, und dass sie nicht wie die Schlehen am ernährenden Stiele hängen müssen, bis es einmal tüchtig gefroren hat. Mutter Höhrle hatte in der Nacht von Sonntag auf Montag den altbäuerlichen Erfahrungssatz, dass Pferdewirtschaft dem kleinen Besitzer gefährlich werden kann, aus Eitelkeit über Bord geworfen und lenkte ihr Boot ins gefährliche Fahrwasser der Großtuerei verwegen hinein. »Uns übertrumpft keiner,« sagte sie und bestellte die Amtschaise. Sie hatte sich vorgenommen in die Stadt zu fahren, um für die Kinder modische Kleider zu kaufen. »Es geht absolut nicht mehr an, dass die Würmer in ihren billigen Fähnchen herumlaufen und abstechen gegen das Personal der Firma Groß und Moos,« sagte sie zu ihrem Mann, »und Hans, der nun schon bald zur Schule geht, kann nicht länger die Fleischseite deiner abgeworfenen Häute als Galalivree tragen.« Das war’s, was sie sagte, was sie verschwieg, war das Folgende: »Schirren wir das Pferd von hinten auf, und haben wir erst die Chaise, so sieht der Dümmste ein, dass sie ohne Pferde zwecklos wäre.« Zur Reise hatte sie sich leidlich modern zurechtgestutzt, und als sie breit wie ein Abbild des Allvaters Brahma in den roten Polsterschonern der Amtschaise saß, konnte sie für einen, der nicht zu nahe stand, immerhin für eine Dame gelten. Ihren Kurs nahm sie an der neuen Dampfmühle vorbei, obwohl es einen näheren Weg nach Heidelberg gab, denn sie wollte, dass ihre Gegner sie sehen und sich überzeugen sollten, dass es auch noch andere Leute gebe, die in einer Chaise eine gute Figur machten. Auch fuhr sie neben der Eisenbahn her. Ihr fiel nicht ein, so was zu benutzen. Mochten arme Leute sich in einem solchen Fuhrwerk wie Dampfpflaumen zusammenquetschen lassen, sie brauchte Platz, und sie war unabhängig genug, um sich weder eine Abfahrts- noch Ankunftszeit vorschreiben zu lassen.

      Ihre Einkäufe in den Konfektionsgeschäften waren bald erledigt. Nun kam für sie die Hauptsache, ein Wagenbauer, und womöglich der gleiche, von dem Groß und Moos bezogen hatten. Der Mann fand sich und auch eine gediegene Auswahl von Wagen; als aber der Preis genannt wurde, da erwachte in der geborenen Schütteldich für einen Augenblick wenigstens das Mitleid mit dem Bachmüller Höhrle, und wie der Kutscher seine Pferde stramm nahm und rückwärts zum Hofe hinaushufte, so griff sie, wenn auch ungern, ihren Wünschen in die Zügel und zerrte sie vorübergehend auf ein Pflaster zurück, wo Begehrlichkeit und Ausführbarkeit gleichen Schritt miteinander halten konnten. Ein kalter Blitzstrahl war niedergefahren vor der Mühle zu Husterloh, er hatte sie nicht beschädigt.

      In verärgerter Stimmung kam Frau Höhrle, die ihren Groll in der Zugluft des Neckars kühlte, an den Fuß des Schlossberges, wo durch Zierstauden hindurch rote Sättel leuchteten, die auf grauen Eseln lagen. Da schlug ihr der Gedanke ins Gehirn: »Das muss verfangen und kommt nicht zu teuer. Esel haben wir ja und Geld für Sättel auch.«

      Nach einer halben Stunde waren drei Sättel, zwei für Damen und einer für einen Herrn gebaut, in der Kutsche verstaut, und die Amtschaise schaukelte zum Karlstore hinaus, der Strömung des Flusses entgegen.

      Auf der Heimfahrt nahm man den kürzeren Weg. Mutter Höhrle konnte nicht darauf rechnen, dass sie von den Fenstern der Dampfmühle aus noch einmal gesehen würde, denn der Abend war finster, und eine beträchtliche Kühle dämpfte den Hass der leidenschaftlichen Frau. Zu Hause angekommen, wurden die Sättel im Erdgeschoss untergebracht, die verschiedenen Kartons aber brachte man in die Wohnstube, wo deren Inhalt bei den Kindern freudiges Erstaunen, bei dem Vater Höhrle aber, der trotz seiner blöden Augen weit voraus in die Zukunft blickte, eine bange Furcht erweckte.

      Am folgenden Tage ging eine Aufforderung an die bucklige Nähkatherine und ihre Schule, dass sie zur Mühle kommen sollten. Allein es geschah das Unerhörte, die Bucklige lehnte ab, mit dem Ausdruck des Bedauerns, weil sie bei Groß und Moos zugesagt habe. So was war einfach zum Überschäumen. In Mutter Höhrle kochte und brodelte es wie in einem Wurstkessel, und Röse Ricke erhielt den Befehl, der Missgeburt zu verkünden, »dass es auch wieder andere Zeiten geben könne, und dass der Winter den Haufen Kartoffeln im Keller abflachen und das Holz am Herde knapp werden lasse. Dann aber sollten gewisse Leute nicht wagen, vor gewisse Türen zu kommen. Die Treppe der Mühle sei steil, und leichthin könne einer, der herunterflöge, das Genick brechen.« Röse Ricke richtete ihren Auftrag wörtlich aus und fügte aus dem eigenen noch hinzu: »Die Nähkatherin möchte es nicht so weit treiben, dass die Müllerin prinzipiell werde, denn in diesem Falle werde sie – Röse Ricke – sogar dem Teufel raten, ihr aus dem Wege zu gehen.«

      Die Furcht vor der Mühle zu Husterloh war zu der Zeit noch groß genug, um die arme Nähkatherine umzustimmen. Sie zog mit ihrem Gefolge von Nahsichtigen und Halbgelähmten in die Mühle ein. Mutter Höhrle hatte einen staunenswerten diplomatischen Erfolg zu verzeichnen, und ihr Siegerauge glühte über den bleichsüchtigen Mädchengestalten, wie das des Pompejus über seinen Legionen.

      Nun begann ein gewaltiges Nadeleinfassen, Garnwickeln, Sticheln und Steppen, und bald blähten sich die Kleider der Mädchen über Puppen von Rohr und Weidengeflecht wie Festwimpel dem großen Tage entgegen, der ihrer harrte. Gehörten die Tagesstunden der Schneiderei, so war der Abend der Reiterei aufgehoben. Der Mühlbaschel mit seinem Anflug von Triefaugen musste den Kindern im Grasgarten die Kunst des Reitens beibringen.

      Hans ließ sich das gern gefallen, die Mädchen aber beugten sich mit verschämten Gesichtern dem Willen der Mutter. So hätte Frau Höhrle vorerst glücklich sein können, wenn nicht zuweilen die Chaise der Firma


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