Die Mühle zu Husterloh. Adam Karrillon

Die Mühle zu Husterloh - Adam Karrillon


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      6. Kapitel

      Wie hatte doch das Geld in kurzer Zeit die Mühle umgekrempelt. Vor den Fenstern waren die rotblühenden Geranien verschwunden und die verbleiten Butzenscheiben waren durch große Platten Spiegelglas verdrängt, hinter denen weiße Spitzenvorhänge jedem neugierigen Blicke den Eingang verwehrten. Im Zimmer machte sich selbstbewusst ein Kanapee breit, und dort, wo früher hinter einem gewürfelten Kattunvorhang das Bett der Eltern sich schämig verbarg, stand ein klobiges Möbel, dessen Zweck eigentlich niemand begriff, ebenso wenig wie seinen Namen »Büffet«, den Röse Ricke ihm sprachkundig gegeben hatte. Auch der Uhrkasten mit seinem Insassen, einer alten bedächtig zählenden Schwarzwälderin, war verschwunden, und statt ihrer schnatterte nun ein leichtfertiges kleines Ding auf der sogenannten »Konsole« geschwätzig den Lauf der Zeit herunter.

      Hinter den Dingen waren die Menschen nicht zurückgeblieben. Mutter Höhrle hatte ihren Umfang durch einen Reifrock verdreifacht und die Kinder flohen vor ihr, wie vor Goethes wandelnder Glocke. Hätten Suse und Liese die Mode mitgemacht, so konnte fast ein Glockenspiel aus dem Hause Höhrle werden. Aber sie taten es nicht, obwohl auch sie in ihrer Kleidung etwas städtischer geworden waren. Für den Alten hatte man vom Hausierer ein seidenes Halstuch erstanden, das Liese oder Suse, wenn er am Sonntag ausging, über seinem Hemdenkragen zu einem kunstvollen Knoten schürzten. Unter seinem glattrasierten Kinn bildeten die beiden, wie schwarze Ohren abstehenden Zipfel einen wirkungsvollen Abschluss. Das war alles, was von dem erhobenen Gelde dem Hausherrn persönlich zugute kam.

      Auch im Stall hatte sich manches geändert. Die Esel waren ausgezogen bis auf einen, der nicht verkäuflich war, und aus den steinernen Trögen, aus denen die Genügsamen ihre Rüben genossen hatten, fraßen jetzt zwei anspruchsvolle Pferde den teuren Hafer, den ihnen der zum Pferdeknecht avancierte Mühlbaschel aufschüttete.

      Als man die Mähren mit aufgebundenen Schwänzen durchs Dorf geführt hatte, war viel pferdeverständiges Volk hintennach gezogen. Auch Mordche Rimbach war dabei. Die Beine in die Knie gesunken, stand er im langen Kaftan da, hatte beide Daumen im Ärmelausschnitte der Weste, und graumelierte Haarbüschel schlüpften unter seinem schmierigen Stulpkäppchen hervor und hingen wie Heringschwänze über seine gefurchte Stirn hernieder. Während alle Welt ein Urteil fertig hatte und damit nicht zurückhielt, schwieg der Jude, und erst als die Müllerin dem Schecken über den glänzenden Rücken fuhr und seine Frömmigkeit lobte, sprach er ruhig vor sich hin: »Flieh ihn wie die Pest, denn er ist ein Bruder der Kuh.«

      Dann ging er schlotternden Ganges auf die andere Seite des Gespannes und musterte den Rappen, der neben dem Schecken stand. Seine Beine wurden dabei krummer und krummer, und der ganze Hebräer glich zuletzt einem auf den Kopf gestellten Ypsilon.

      »Du bist müde, Mordche,« rief ihm Vater Höhrle zu, »ich will dir einen Stuhl holen, dass du dich ausruhen kannst.«

      »Sehr gütig, lass mich auf den Beinen, bis ich dir den Pferdemetzger geschickt habe,« sagte der Jude und wackelte in seinem Kaftan über die Wiese hin, seinem Hause zu.

      Im Gegensatz zu Mordche Rimbach war Mutter Höhrle mit dem Pferdekauf recht zufrieden. Jetzt hatte sie, was sie brauchte. Sie konnte sonntags in die Kirche fahren, und sie hatte den Mühlbaschel, obwohl sie ihn eigentlich seiner Triefaugen wegen nicht mochte, doch so weit abgerichtet, dass er in einem Abstand vor den Damen Groß und Moos zu fahren wusste, der diesen das ausgiebigste Staubschlucken zu betrübender Notwendigkeit machte.

      Am besten schnitt bei der Transsubstantiation des Hauses Höhrle der kleine Hans ab. Der Tagedieb ging nun schon eine geraume Weile in die Schule, und ob nun der Winter eine kleine Kattundecke von Schnee auf die Erde gelegt hatte, oder der Sommer etwas staubigen Puder auf die Straße, gleich musste er ins Kirchdorf gefahren oder von dort wieder abgeholt werden. Man sah die Pferde mehr im Silbergeschirr vor dem Viktoriawagen als vor dem Lastwagen, und es fehlte nur wenig und Vater Höhrle konnte seine Säcke selber tragen.

      Der kleine Hans war übrigens ein guter Schüler, trotzdem er kein fleißiger war. Eine Zeitlang hielt er mit den Besten Schritt, dann ließ er nach und wurde von den Mittelmäßigen überholt, bis es ihm wieder ersprießlich dünkte zu arbeiten, um die Ersten einzuholen. So war er eigentlich bei Lehrern und Schülern gut gelitten, bei letzteren vor allem des Umstandes wegen, weil er Dackel malen konnte. Nun waren diese derart, dass sie jedem andern Tiere genau so ähnlich sahen, wie einem Dachshund, aber nachdem Hans Höhrle, der Sohn eines angesehenen Geschlechtes, gesagt hatte, es seien Dachshunde, glaubten die andern an ihn, strebten ihm nach und vor dem Titelblatt eines jeden Katechismus verlebten von jetzt ab unzählige Dackel ihr hundemäßiges Leben.

      Der Pfarrer, der wusste, was die Mutter mit dem Knaben vorhatte und ihn früh zum Dienste der Kirche erziehen wollte, ließ ihn sogar zum Messedienen zu. Dieses Amt verwaltete Hans mit stolzer Würde, was ihn übrigens nicht hinderte, vor dem Hochamte den Messwein mit Inbrunst zu versuchen. Auch verstand er es, kleine Kerzenstummel wegzustehlen, um mit ihnen an Septemberabenden gräulich zugeschnittene Kürbisse zu erleuchten.

      Zu Hause hatte Höhrle junior an dem zurückgebliebenen Esel einen guten Kameraden. Zur Arbeit nicht mehr angehalten, aber auch nicht mehr gefüttert, trieb sich das Tier in den Baumgärten hinter dem Dorfe herum und verschmähte weder Weißrüben noch Kohlkraut, auch dann nicht, wenn es zweifelhaft war, ob er sich auf dem Grund und Boden der Familie Höhrle aufhielt oder auf dem anderer Leute.

      Hans wurde des Öfteren ausgeschickt, ihn zu suchen, und nie brachte er ihn nach Hause, ohne dass er irgendeinen Schelmenstreich ausgeführt hatte.

      Mit Vorliebe holte er den einen oder anderen seiner Schulkameraden herbei und veranlasste ihn, den Rücken des Grauen zu erklettern. Dann kitzelte er den Esel, bis er den Kopf durch die Vorderbeine steckte und so seinen Reiter zwang, sich zu entscheiden, ob er über die musikalisch oder die landwirtschaftlich produktive Seite eines Eseldaseins zur Erde rutschen wollte. Beides hatte seine Bedenklichkeiten, und nicht selten kamen Mütter in die Mühle, die über zerrissene Hosen und aufgeschundene Knie ihrer Sprösslinge bitter zu klagen hatten.

      Frau Höhrle nahm derlei Streiche ihres Lieblings keineswegs tragisch. Sie lachte höchstens und entließ die Ankläger mit dem Stachel des beleidigten Rechtsgefühles im Herzen.

      »Euch werden wir’s einbrocken,« sagten die Leute, und sie wären lieber Hungers gestorben, als dass sie von dem Mehle der Mühle zu Husterloh gegessen hätten. So arbeitete Hans früh zum Nachteil des väterlichen Geschäftes.

      Zuweilen nahm Suse den Wildfang vor und erklärte ihm: »Dass sie Liese den Auftrag geben werde, über Hansens Streiche mit dem Vater zu reden.« Der Strolch lachte und sagte höhnisch:

      »Du wirst es der Liese sagen, die wird es dem Vater sagen und dann werde ich, wenn Gott will, die Prügel bekommen! Höre Suse, das ist ein weiter Umweg, da kann sich sogar ein Landbriefträger verirren. Glaubst du wirklich, Schwester, dass die Prügel an ihre richtige Adresse kommen?«

      Suse musste lachen, aber sie konnte ihrem Bruder nicht Unrecht geben. Leider war die Methode, nach der man den Stammhalter des Hauses Höhrle erzog, so, dass ihm jede Unart ungestraft hinging, weil die Nemesis niemand finden konnte, der den Strafvollzug bewerkstelligen wollte. Das wusste der Bengel sehr wohl, und deshalb stellte er sich mit souveräner Würde über Gesetz und Recht. Er war angesehener Leute Kind. Er ging in die Schule, wenn es ihm gerade passte, wenn es ihm nicht passte, lag er auf dem Anger und ließ sich die Sonne in den Magen scheinen. Aus dem Nachbargarten holte er jeden Apfel, der ihm gefiel, und nur einmal, als er zur Kirmeszeit von dem Marktstand einer Zuckerbäckerin ein süßes Herrgöttle aus Lebkuchen heruntergenascht hatte, ereilte ihn die Rache. Wie’s Gewitter war die resolute Frau mit einem Staubbesen hinter ihm her, und nun bezog er in einer großen Generalabrechnung, was er sich ratenweise im Laufe der Jahre verdient hatte. Arg durchwalkt kam er nach Hause, ja er lahmte sogar ein wenig, aber all den mitleidsvollen Fragen der Seinigen setzte er ein stoisches Schweigen entgegen. Er hatte Gerechtigkeitssinn genug, um zu wissen, dass er nicht schuldlos leide, und sein von der Mutter ererbtes Selbständigkeitsgefühl ließ es nicht zu, dass ein anderer sich seiner wie eines Mündels annahm.

      Auch klagte er zu Hause


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