Die Mühle zu Husterloh. Adam Karrillon

Die Mühle zu Husterloh - Adam Karrillon


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mit verschlagenem Zwinkern vor sich hin gelacht, wendete er sich um, so dass er auf dem Bauche lag, und begann mit der Linken unter dem Sofa zu wühlen. Es dauerte nicht lange, und er beförderte einen alten Krug ans Tageslicht, der mit einem halben Holzdeckel notdürftig verschlossen war. Aus dem Kruge entwickelte er nun wie aus einem Zauberkasten eine schier endlose Strumpflänge, aus dieser einen Lederbeutel und aus diesem einige schier erblindete Taler.

      »Die sind für dich«, sagte er. »Die Herren in der Stadt verstehen nur den Leuten den Kopf zu füllen und lassen den Magen leer. Wenn du die gesunden Sinne deines Onkels geerbt hast, dann wirst du riechen, wo der Metzger wohnt, und wirst hören, wo man den Teig in der Backmulde schlägt. Wenn sie dich hungern lassen, wirf die Bücher in den Rhein, komm hierher, heirate Agnes und übernimm deines Schwiegervaters Hotel ›Zum Weltschirm‹. Damit Gott befohlen!« sagte Onkel Schütteldich, qualmte und verschwand wie Israel hinter der Wolkensäule im grauen Dunste einer Tabakswolke.

      Kaum hatte Hans Höhrle den Laden seines Onkels verlassen, als er dem würdigen Pfarrherrn begegnete, der, sein Brevier betend, gerade aus der Frühmesse kam. Der alte Herr steckte das braune, abgegriffene Büchlein in die Hintertasche seiner Sutane und nahm den Jungen bei der Hand.

      »Du willst Abschied nehmen, um aus unseren Bergen in die Welt hinauszugehen. Komm mit, ich will dir Gottes Segen mitgeben und noch was anderes.«

      Derweilen hatten die beiden die Schwelle des Pfarrhauses überschritten und standen vor dem übervollen Büchergestell des alten Herrn, der sich streckte und zwei mächtige Folianten mit vergoldetem Lederrücken herunterholte. Liebevoll wiegte er sie in seinen wohlgepflegten Händen und sah dem Knaben stramm ins Gesicht. »Siehst du,« begann er, »dies ist die Strickleiter, an der schon gar mancher zu hohen Ehrenstellen in Staat und Kirche emporgestiegen ist!«

      Da er das Wort Kirche etwas scharf betonte, so sah Hans, der wegen der Agnes kein gutes Gewissen hatte, etwas betreten zur Seite.

      Der geistliche Herr merkte das nicht, denn er hatte die Einbanddecke umgeschlagen und las: »Taschenwörterbuch der Lateinischen Sprache von Georges.« Hans erschrak und suchte im Geiste den gewaltigen Umfang dieses Buches mit dem Kosenamen Taschenwörterbuch in ein harmonisches Verhältnis zu bringen. Der Pfarrer aber drehte plötzlich nach vorn um und las dem Knaben eine schier endlose Namensliste von Leuten vor, die das Buch vordem besessen. Da waren Männer verzeichnet, die es zum Regierungsbauinspektor, Steuerperäquator, Kanzleirat, Rechnungsrat, Dompraebendenten usw. gebracht hatten. Kurzum, das Vorblatt des Buches war das reinste Pantheon, in dem illustre Menschen aller Art beigesetzt waren. Indem der Pfarrherr dem Knaben die letzte Seite des Buches vor Augen hielt, ließ er sich von diesem bestätigen, dass auf dieser keinerlei weder Gedrucktes noch Geschriebenes zu finden sei. Hans konnte dies mit gutem Gewissen tun, und der Pfarrer fuhr fort:

      »So rein wie dies Blatt hier, ist die Seele, die du nun in die Fremde trägst, und rein und sauber sollst du nach Jahr und Tag mir beides wiederbringen, deine Seele und das Buch. Vor allen Dingen aber, kleiner Künstler, male mir keine Dackel da hinein, das ist die Bedingung, unter der du das Lexikon mitnehmen kannst.«

      Hans nickte zustimmend. »Büblein,« fuhr der Priester fort, und eine Wolke von Trauer legte sich über seine buschigen Augenbrauen, »es kommen nun harte Jahre für dich. Dich packt der Ernst des Lebens, und alle Kindereien müssen jetzt hinter dir liegen.«

      Vielleicht reute es ihn, so drohend harte Worte gesprochen zu haben, denn er lenkte ein: »Wenn du dir aber das Dackelmalen durchaus nicht abgewöhnen kannst, nun denn meinetwegen, beschmiere das Schlussblatt. Irgendeine Dummheit macht schließlich jeder, aber deine Seele bewahre mir weiß und rein.«

      Damit legte er dem Knaben segnend die Hand aufs Haupt, und schob ihn mit freundlichem Lächeln vor die Tür. Auf der Dorfgasse erhoben die Gänse ein begehrliches Geschrei, als sie den angehenden Studenten wie mit Futterkörben beladen über das Pflaster schreiten sahen.

      8. Kapitel

      Während Hans seine Abschiedsbesuche machte, hatte sich in der Mühle ein bisher ganz unerhörtes Ereignis vollzogen. Mutter Höhrle, die den Abgang ihres Einzigen zu einem Tage gestalten wollte, der in der Erinnerung aller Dorfbewohner haften sollte, hatte den Auftrag gegeben, die Pferde vor den Viktoriawagen zu spannen. Diesem Ansinnen widersetzte sich Suse mit der Bemerkung: ›Die Pferde seien beim Umbau der Mühle unentbehrlich, und Hans und seine Sachen könnten recht gut mit einer Gelegenheitsfuhre nach der Bahnstation gebracht werden.‹

      Mutter Höhrle war zunächst starr vor Staunen über die Kühnheit ihrer Tochter und fiel dann in eine ihrer komfortablen Ohnmachten, die sie allmählich recht täuschend herzustellen gelernt hatte. Aber als sie erwachte und sah, dass dieses letzte Mittel, ihren Willen durchzusetzen, niemand erschüttert hatte, geriet sie in Wut, und eine Lawine von Schmähungen ergoss sich über das tapfere Mädchen. Suse aber stand kaum bewegt wie eine Tanne im Föhn, schüttelte sich nur ein wenig und erklärte ihrer Mutter, dass von jetzt ab sich vieles ändern müsse. Sie kenne die Lage des Vaters und werde an seiner Seite stehen, und was die Pferde angehe, so sollten sich diese ihr Futter verdienen; lange vor Tag habe sie dieselben in den Wald geschickt, um Steine für den Wasserbau zu holen. Hansens Koffer sei dem Frachtfuhrmann übergeben, und wenn er selber zeitig zurückkäme, so könne er mit der gleichen Gelegenheit auf seinen Sachen sitzend bequem genug die Bahnstation erreichen.

      Hans aber verspätete sich, und als er endlich das Elternhaus erreichte, war der Frachtwagen mit seinem auf Reifen gespannten Zelttuch schwankenden Ganges längst über alle Berge. Also musste der Junge laufen. Suse befestigte die Strickleiter, die er ja nun nicht mehr entbehren konnte, an einem Riemen und hing diesen mit manchem Worte ernster Ermahnung über seine Schulter. Derweilen stopfte Liese die Taschen des Bruders mit hart gesottenen Eiern und Butterbrot. Reisefertig bot er Vater und Mutter die Hand, den Schwestern die Lippen zum Kuss, und rüstig wanderte er einsam am Bache hin, der ihm wichtige Dinge erzählte aus den Kindertagen: Vom Dompfaffen, der im Strauch der wilden Rose sein Nest hatte, und vom Eichhorn, das vom Baume hinter der Scheune die Nüsse stahl.

      Bald bog der Pfad vom Bache nach aufwärts ab und erreichte einen mit Erlen bestandenen Klingen. Die Sonne brannte heiß vom Himmel nieder, und der Riemen, der die Strickleiter zusammenhielt, hatte auf den Schultern des Knaben brennendrote Furchen eingegraben. Hans warf die Last ab, setzte sich darauf und sah sich um. Unten lag, von dem langen Morgenschatten des Berges noch teilweise überdeckt, sein Heimatdorf schöner, als er es je gesehen hatte, und vor der reizvollen Wirklichkeit im Tale verblassten hier zum ersten Male die Illusionen, die er sich von der großen Welt gemacht und die seine Kinderseele mit jubelndem Entzücken erfüllt hatten. Tiefe Trauer um die Gewissheiten, die er verließ, und Furcht vor dem Unbekannten, dem er entgegen ging, quälten ihn und drückten die frohe Zuversicht auf eine glänzende Zukunft merklich herab. Hans wurde unsicher.

      Der Winkel eines Kranichzuges, der gleich ihm in die Fremde steuerte, gab ihm neue Zuversicht, und bald wieder machte er einen Schritt nach dem anderen, der Stadt entgegen, die ihm Geist und Körper umgestalten sollte.

      Um ihn war eine unendliche Stille ausgebreitet, die in seinem Inneren ein Gefühl der Verlassenheit erzeugte. Er sehnte sich nach einem Begleiter, und seine Blicke kehrten oftmals den Weg zurück, den seine Füße soeben gegangen waren, um auszuschauen, ob nicht irgendeiner des Weges käme. Er sah nichts, aber er hörte mit einem Male den stolpernden Hufschlag eines Pferdes aus dem Tannendickicht. Hans, der seine Strickleiter, die ihn in die Höhe führen sollte, aber zunächst nur niederdrückte, gern losgeworden wäre, sah mit Freude vor der grünen Wand des Waldes ein ungeschlachtes, fast viereckiges Pferd, das bei jedem Schritt mit dem Kopfe nickte und hinter sich einen Wagen nachzog, auf dem man einen blauen Fuhrmannskittel unterscheiden konnte. Auch der Fuhrmann nickte, als ob ein verbindender Draht seinen und des Pferdes Kopf zu der gleichen Bewegung nötigte. Er schlief den Schlaf des Gerechten. Der Knabe fasste sich ein Herz und rief dem Schlummernden an. Schlaftrunken, war der Geweckte über die Störung seiner Ruhe aufgebracht, fluchte und schien viel eher Lust zu haben, den kleinen Wanderer durchzuhauen, als mitzunehmen. Hans lief neben dem Wagen her, weil er hoffte, dass nach dem Zorne vielleicht doch ein menschlich Rühren in die harte Fuhrmannsseele sich einnisten könne, und er hatte sich nicht


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