Die Mühle zu Husterloh. Adam Karrillon

Die Mühle zu Husterloh - Adam Karrillon


Скачать книгу
Kleider, seiner Bücher, seines Ranzens schufen ihm Gegner unter seinen Mitschülern, die nun einmal von historischen Vorurteilen nicht beschwert, kein anderes Vorrecht anerkannten, als das der stärkeren Faust. So war der kleine Hans nicht selten gezwungen, wenn seine Mitschüler die Ehrfurcht vor dem Dackelmaler vergaßen, gegen ein ganzes Rudel anzukämpfen, und er tat es ohne Empfindsamkeit mit Mut und ohne Klage, wenn er einmal den Kürzeren zog. Es übte der Verkehr mit seinen Altersgenossen auf ihn eine gute erziehliche Wirkung aus, und es hätte zu seinem Segen ruhig noch ein paar Jahre so fortgehen können, wenn er nicht eines Tages einen blutigen Hemdenkragen nach Hause gebracht hätte.

      Seine sonst so starknervige Mutter, die sich in der letzten Zeit immer mehr aus dem Weibe heraus zur Dame entwickelt hatte, fiel mit erkünstelter Grazie in eine komfortable Ohnmacht auf das neue Kanapee, und als es dem Duft geriebenen Meerrettichs endlich gelungen war, sie aus der Vergangenheit in die Gegenwart zurückzurufen, überhäufte sie den unglücklichen Vater Höhrle, der mit Gelassenheit das Doppelweh von Frau und Kind zu tragen schien, mit einer Flut von Vorwürfen. Sie sprach von Rabenvätern, die mit ansehen könnten, wie ihr eigenes Fleisch und Blut von einer entmenschten, – entmenschten, – entmenschten– offenbar suchte sie hier nach einem Substantivum, das stark genug wäre, ihrer Indignation Ausdruck zu verleihen, aber sie fand es nicht, – und als nun Röse Ricke, die von der blutigen Tat Kunde bekommen hatte und herbeigesprungen war, mit »Rotte Kora« aushalf, wurde sie mit einem dankbaren Blicke belohnt, und die Müllerin seufzte tief auf, als ob ihr ein Stein vom Herzen gefallen wäre. Dann aber, als ihr die hohe Würde, der ihr Sohn langsam entgegenreifte, einfiel, faselte sie von einem Sakrilegium, vor dem die blöde Menge bewahrt werden müsse, indem man den Gegenstand ihres Hasses dem Bereiche ihrer Fäuste entzöge.

      Jetzt wusste Vater Höhrle, wohin die Wetterfahne zeigte, und er sah den Hauslehrer bereits hinter seinem Tische sitzen und mitessen, obwohl er noch lange nicht wusste, womit er ihn bezahlen sollte. Denn die Mühle ging schlechter von Jahr zu Jahr. Der Alte hatte versucht, die Qualität seines Mehles zu verbessern, um es Groß und Moos gleichzutun. Er hatte den Schälgang enger gestellt und eine hellere Farbe erzielt; aber damit hatte er die Quantität verringert, und die Bauern, bei denen Müller und Spitzbube ohnedies als gleichwertige Begriffe gelten, klagten, dass sie übervorteilt würden. Die Pferde fraßen wohl, aber sie produzierten nicht wie die Kühe, und was sie an Arbeit leisteten, nutzte ihre Kraft nicht aus und hätte billiger durch die Esel besorgt werden können. Dabei wurde Mutter Höhrle von Tag zu Tag anspruchsvoller. Ganz nach Belieben ergänzte sie Fehlendes in ihrem Hausrat und komplettierte ihn nach Laune. Die Pferde entzog sie dem Feldbau und Mühlenbetrieb durch gelegentliche Reisen, die sie machte, um sich und den kleinen Hochwürdigen bei Freunden und Bekannten in nah und fern zu zeigen.

      Kaum mehr gab es in der Umgegend eine Kindstaufe oder einen Leichenschmaus, bei dem nicht Mutter Höhrle wie Bankos Geist aus der Versenkung emporstieg.

      Als solch’ schwere Gewichte auf die Wage seiner pekuniären Leistungsfähigkeit geworfen wurden, sah Vater Höhrle mit Schrecken die Schale, auf der sein Haben lag, hoch in die Lüfte schnellen. Eine mit Verzweiflung verwandte Resignation erfasste ihn und lähmte seine Arbeitskraft. In die Träume seiner Nächte drängte sich eine unheimliche Gestalt mit einem blauen Streifen um die Mütze, einer kleinen Kokarde über dem Glanzlederschild und abgegriffenen Jackettaschen, aus denen gelbe Aktenkuverte vorlaut und aufdringlich hervorleuchteten –: der Gerichtsvollzieher. Am Tage sah er mehr, als ihm lieb war, den breiten Planwagen der Firma Groß und Moos, der seine Gedanken wie ein Leichenwagen auf trübe, unfriedliche Wege leitete. So wurde er immer einsamer, strich durch das Erlengebüsch seiner Wiesen mit der Sense, ohne dass er gewusst hätte, wo er mähen sollte. Am Wehr setzte er sich sinnierend nieder und sah seinem Knechte, dem Mühlbach, bekümmert in die ewig wechselnden Züge.

      Da geschah’s, dass eines Tages das sinnlose Murmeln des Baches sich für das Ohr des Grübelnden zu klaren Worten formte. »Was sitzest du ratlos da«, sprach der Bach. »Hab’ ich nicht seit Jahrhunderten deinem Hause treu gedient. Warum willst du meiner Kraft misstrauen, seitdem der windige Halunke Dampf da unten im Tal sein Wesen treibt? Fasse mich fester, Vater Höhrle, dass ich an Widerständen meine Kraft erneuere! Schleudere mich tiefer hinab in den Abgrund, dass ich die Wucht des Anpralls für mich habe, und lass meinen Zorn in der Turbine wüten, und du sollst sehen, dass ich mehr kann, als feiste Forellen füttern. Hinweg mit dem trägen Umtrieb des Wasserrades, das schwerfällig wie Samson in der Mühle zu Gaza die plumpen Steine wälzt. Kleine hurtige Porzellanwalzen schaffe herbei, raschelnde, wuselige Siebe will ich dir schwingen, tausend kleine Hebel will ich dir brechen, und unruhig muss es in der Mühle werden wie in einer Schachtel Maikäfer. Folge mir, der ich die Sache kenne, Vater Höhrle. Schaffe ich nicht oben in der Papiermühle eine ähnliche Arbeit, warum sollte ich bei dir versagen?«

      Das waren tröstliche befreiende Worte, und der bekümmerte Müller lauschte auf und dachte über ihren Sinn nach. Mit einem Male erschien ihm nun alles so klar, so selbstverständlich, und es war ihm fast, als ob die Ratschläge gar nicht von außen gekommen, sondern in ihm selbst entstanden wären. Ein nie geahntes Vertrauen zu der eigenen Kraft beseelte ihn. Ja, so musste es gehen. Die Mühle musste von Grund aus umgestaltet werden, dann, – dann musste sich alles – alles – noch zum Guten wenden. Vater Höhrle nahm seine Sense auf die Schulter und ging mit elastischen Schritten, fast wieder ein Jüngling, seinem Hause zu. An diesem Abend sahen Suse und Liese das sonst so trübe Gesicht des Vaters wieder einmal sonnig heiter, ohne den Grund zu kennen, und Scherz und Lieder fielen wie reife Erbsen von den Schoten aus ihren weit geöffneten dankbaren Herzen heraus. An diesem Abend war seit langer Zeit zum ersten Mal wieder das Glück auf seinem Rundgang zwischen geborstenen Hütten und morschen Heustadeln in der Mühle eingekehrt.

      Am nächsten Tage schon meldeten sich allerlei Bedenklichkeiten zur Stelle. Die Sache kostete viel, und das vorhandene Bargeld hatte Mutter Höhrle mit den Pferden und sonstigem Tand vergeudet. Doch die Mühle hatte Kredit. Der Bachmüller zog sich gut an, damit er nach Wohlstand aussehen möge, und ging zum Sparkassenvorstand. Man empfing ihn höflich, aber man hielt die Truhen geschlossen. Man bedeutete ihm mit Achselzucken, dass man seiner Kreditwürdigkeit nicht misstraue, dass man aber höchst bedauerlicherweise durch Paragraphen von Statuten gebunden sei und einen Bürgen verlangen müsse.

      So weit war es also. Der einst so gut stehende Müller galt für erschüttert, man brauchte einen, der ihn stützte. Die Pille dieser Wahrheit, obwohl von dem Beamten mit höflichen Worten vergoldet, war für Vater Höhrle schwer zu schlucken. Er ging mit langem Gesichte und leeren Taschen weg, und sein erster Gedanke war: »Mich seht ihr da drinnen nicht wieder.« Allein die Gewissheit, dass er sein Geschäft, so wie es bisher war, nicht weiter treiben könne, beugte den Rest seines Stolzes, und so entschloss er sich, bei seinem Schwager, der ein kleines Geschäft in Kolonialwaren betrieb, vorzusprechen und ihn um die geringe Gefälligkeit zu bitten, seinen Namen an den Fuß eines Aktenbogens zu schreiben.

      Franz Schütteldich, der Bruder von Frau Höhrle, hatte in letzter Zeit zu allem, was er schon war, die Würde eines Gemeinderates erworben, sprach von Grundbüchern, Flurbereinigung, Akten und Registraturen und unterschrieb mit Fanatismus alles, was vor ihn kam. Kaum hatte er gehört, was Vater Höhrle von ihm verlangte, so zog er mit Begeisterung die Hände aus einem Schmierseifenfass, wischte die Nase an einem Handtuch und sagte: »Gleich, gleich Schwager, und warum denn nicht.«

      Damit war die Sache, vor der sich Vater Höhrle so unsagbar gefürchtet hatte, in überraschend einfacher Weise erledigt. Er hatte im Handumdrehen die Kunst des Schuldenmachens erlernt. Die Quelle floss, aber niemand sollte ihm diesmal die durch Schütteldichs Wünschelrute erschlossenen Wasser über unfruchtbares Brachland leiten.

      7. Kapitel

      Unterdessen hatte Hans Höhrle in Gesellschaft eines Hauslehrers auf der Wanderschaft dem Salböle des Bischofs entgegen den ersten Meilenstein hinter seinen Rücken gebracht. Der Jammer der »Elend’schen« Grammatik war überwunden, und bereits warfen die großen Ereignisse des »Bellum gallicum« ihre drohenden Schatten auf des Knaben seither so sonnigen Lebensweg. Der teure Hauslehrer, der bis dato seinen lateinischen Lebensgang geleitet hatte, war nicht Stratege genug, um seinen Zögling durch einen so ohrfeigenreichen


Скачать книгу