Der Held von Garika. Adolf Mützelburg
rg
Der Held von Garika
1. Teil
I. Sinope
Hoch ging die See. Von Nordost her sausend, schien der Sturm das kleine Küstenboot zerdrücken zu wollen, das sich ihm, in seinen Planken stöhnend, entgegenstemmte und lavierend weiter und weiter in die dunkelgrünen, von weißem Schaum überspritzten Wellen eindrang. Wie knarrten die schwanken Masten, wie flatterten und klapperten die Taue! Wie hohl und dumpf seufzte der Wind in dem nassen Segeltuche, dem er dienstbar werden musste durch die Geschicklichkeit des türkischen Steuermanns, der ernst und schweigend am Ruder saß! Tief auf die rechte Seite geneigt, oft mit dem Segel die Spitzen der Wellen streifend, dann sich wieder hebend, arbeitete das Boot sich durch die schaumüberzogene. rastlos rauschende Flutenwelt. Grau und schwer lag der Himmel über dem Getose der Wogen, kalter Regen sprühte nieder, Nebel verdeckte die Fernsicht.
»Sehr schönes Wetter! Echtes Wetter, Sir!« sagte ein Mann mit einem roten, breiten Gesicht, gelblichweißem Backenbart und im englischen Matrosenanzuge zu einem jungen Manne, mit dem er auf einem Brett vor der Tür der niedrigen Kajüte saß.
»Ja, Johnny, schönes Wetter!« antwortete der junge Mann in englischer Sprache, und sein gedankenvolles Gesicht zeigte, dass er kaum wusste, was der andere gesprochen. Dann aber richtete er sich ein wenig auf, blickte um sich und rief einen Bootsmann, der auf das Segel achtete, auf Türkisch an:
»Wir müssen doch bald dort sein? Lugt Ihr auch tüchtig aus? Könnt Ihr das Ufer erkennen?«
»Noch eine halbe Stunde, wenn’s gut geht, Herr!« antwortete der Türke. »Es ist schlechtes Wetter!«
Der junge Mann hüllte sich fester in die dichte Decke von dunklem Wollenstoff, die ihn vor dem Regen und vor der Kälte schützte – denn es war der letzte Novembertag – ließ seinen Blick über das schäumende Meer gleiten und versank wieder in sein unruhiges Nachdenken. Er sah bleich aus, und die dunkle Decke, die er bis hoch, hinaufgezogen, sowie die fesartige Kopfbedeckung, die jedoch dunkelbraun, nicht rot war, hoben diese Blässe noch mehr hervor. Dass er kein Engländer sei, ließ sich auf den ersten Blick erkennen, obwohl er mit dem Matrosen Englisch gesprochen. Die Blässe seines Gesichts war keine nordische; sie war angehaucht von einem leichten gelblichen Schimmer, den nur der Süden kennt. Auch zeigten die Brauen, das lange, vom Regen feuchte Haar und der Schnurrbart, der sich lang, schmal und glänzend bis zur Wange hinaufzog, das reine und tiefe Schwarz des Orients. Dieses Schwarz dämpfte auch den gelblichen Anhauch des Gesichts und ließ es fast mädchenhaft zart erscheinen, ja, unter diesen dunklen Brauen leuchteten selbst die Augen, obschon vom reinsten Braun, in einem hellern Glanze. Orientalisch war auch die schmale Stirn mit den scharf abfallenden Schläfen, die gebogene, schmale Nase; der feingeschnittene Mund; aber es ließ sich doch nicht leicht erkennen, welchem Volke des Orients der junge, vielleicht fünfundzwanzigjährige Mann angehörte. Der· Schnitt des Gesichts, die etwas längliche Form der klaren Augen, der Bau des Kopfes trugen den edelsten Charakter. Man hätte einen vornehmen Perser oder einen Circassier in ihm vermuten können.
Auch der Ausdruck seiner Züge zeigte nicht das Lässige, Phlegmatische, was den eigentlichen Türken verrät; er war lebhafter, intelligenter, wechselvoller. Ein Türke würde die Ungeduld, die Erwartung und die Sehnsucht, auch wenn er sie gefühlt, unter der Maske der Gleichgültigkeit verborgen haben; die Züge des jungen Mannes aber spiegelten deutlich wieder, was in ihm vorging. Eine verzehrende Unruhe schien ihn zu quälen; man sah es deutlich, dass er sich Gewalt antat, um ruhig zu bleiben, dass nur die Notwendigkeit ihn auf seinem Platze festhielt. Und in der Tat hätte jede vorschnelle und unüberlegte Bewegung dem kleinen Boote Gefahr bringen können, das mutig gegen den scharfen Nordostwind des Schwarzen Meeres kämpfte.
Wie vollkommen ruhig, ein Bild der glücklichsten Zufriedenheit, saß dagegen Johnny neben ihm! Wie heiter blickte das Auge des wohl fünfzigjährigen Matrosen in das weiße Schaumgetümmel! Wie angenagelt saß er da mit seiner vierschrötigen Gestalt, die breiten Hände auf die noch breitern Knie gestützt: das leibhaftige Bild, einer echten, lustigen englischen Teerjacke! Fast war es, als ob sein Gewicht allein das Boot auf die Seite neige, und als ob er es wisse und sein Möglichstes tue, es niederzuhalten. Die hellen blauen Augen leuchteten von Zufriedenheit und Wohlbehagen.
Ein Sturmvogel flog mit schrillem Schrei dicht über das Boot hin.
»Aha, auch da, alter Freunds«, sagte Johnny mit der Zunge schnalzend. »’s ist doch gerade wie im Kanal, Mr. George! Da sind wohl auch Möwen?«
Und als er dabei den jungen Mann anblickte, schien ihm die Blässe desselben aufzufallen. Er suchte ruhig und ohne sich umzuwenden hinter sich mit der Hand und zog eine große, mit Stroh umflochtene Flasche hervor.
»Hier Mr. George!« sagte er. »Einen tüchtigen Schluck! Sie sehen blass aus! Scharfer Wind!«
»Es ist nicht Wind und Wetter, Johnny«, antwortete der junge Mann, und man hörte jetzt an seinem Akzent, dass er kein gebotener Engländer sei, obgleich er das Englische vollkommen fließend sprach, »es ist die Unruhe, die Ungeduld! Ich danke, Johnny.«
Er lehnte die Flasche mit einer leichten Bewegung ab. Johnny hielt sie ihm noch eine Sekunde lang hin, als erwarte er, der junge Mann werde sich eines Bessern besinnen. Dann nahm er selbst resolut einen tüchtigen Zug und sagte fest und bestimmt:
»Halt Leib und Seele zusammen!«
»Ob sie da sein mögen, ob sie angekommen sind, Johnny?« sagte George leise und unsicher.
»Wer, Mr. George?« fragte Johnny, der aufmerksam eine heranrauschende Welle beobachtete.
»Nun, Mr. Hywell und Miss Mary«, antwortete George.
Die Antwort Johnnys wurde auf eine Minute unterbrochen; er rieb sich Schaum und Wasser aus dem Gesicht, denn die Welle war über das Boot fortgerollt und hätte die beiden fast fortgespült.
»Ganz gut gemacht!« brummte Johnny mit einem Blick auf den türkischen Steuermann, der durch eine geschickte Bewegung den Stoß der Welle gebrochen.
»Verstehen’s besser, als ich dachte! Mr. Hywell, meinen Sie, und Miss Mary? Gewiss sind die angekommen. Was soll denen passieren?«
»Johnny, ich bin in Todesangst!« sagte der junge Mann mit einem tiefen Atemzuge. »Es hat sich alles seit der Abreise so verändert. Persien hat Truppen aufgeboten, um den Russen zu helfen; die Kurden haben sich bewaffnet – es ist räuberisches Gesindel – man kann nicht wissen, was geschehen ist! Bis vor kurzem dachte ich noch wie Du: was könnte Miss Ma – Mr. Hywell widerfahren? Aber seit einigen Wochen ist mir bange geworden! Die unglückliche Idee, auf dem Landwege von Ostindien zurückzukehren!«
»Hat nichts zu sagen, junger Herr! Mr. Hywell kommt überall durch!« sagte Johnny gleichmütig.
»Hier in Sinope – so heißt ja wohl das Ding – sollten wir Nachricht erhalten?«
»Oder Mr. Hywell und Miss Mary selbst finden«, antwortete George. »Ach, wie langweilig ist diese Fahrt, wie albern dieser Nordost! Und wenn man wenigstens um sich sehen könnte!«
Die Worte, welche sich die drei türkischen Bootsleute mit lauter Stimme zuriefen, ließen das Gespräch Georges und Johnnys stocken. Das Boot schien in Gefahr gewesen zu sein. George verstand genug Türkisch, um zu hören, dass sie sich gegenseitig Vorwürfe machten; jetzt aber schien die Gefahr vorüber. Es handelte sich darum, die Spitze der Halbinsel zu umkreisen, auf deren schmaler, mit dem Festlande zusammenhängender Seite, nach Süden zu gewandt, die Stadt Sinope liegt. Schon legte sich der Wind voller in die Segel, denn das Boot wandte sich mehr südlich. Da aber der Nebel noch immer schwer auf dem Wasser ruhte, so mochten es die türkischen Schiffer für geraten halten, nicht die ganze Kraft des Windes zu benutzen. Vorsichtig fuhren sie durch die hier hochbrandende See.
Ein eigentümlicher Ton, den die Türken ausstießen, und die Richtung ihrer Blicke, die sich nach derselben Seite wandten, machten George und Johnny aufmerksam. Im Osten zog ein riesiger Schatten vorüber.
»Was ist das?« fragte George den Türken.
»Ein großes Fahrzeug, Herr, ein Kriegsschiff.«
»Das sehe ich. Aber von welcher Nation? Eure Schiffe liegen ja auf der Reede von Sinope.«
Die