Der Held von Garika. Adolf Mützelburg

Der Held von Garika - Adolf Mützelburg


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nach allen Seiten, rief dann den Türken am Steuer mit einem lauten Ahoi! an und deutete auf einen zweiten, riesigen Schatten, der ebenfalls im Osten vorüberzog.

      »Sagen Sie den Levantinern, dass das ein Russe war, Mr. George!« wandte er sich zu dem jungen Manne. »Ein russischer Dreidecker –kenn’ die Bauart!«

      Der junge Mann, der noch bleicher geworden, meldete es den Türken.

      »Wissen’s schon, Herr!« lautete die Antwort »Und was nun, Herr? Die Giaurs greifen unsere Schiffe auf der Reede an oder spionieren wenigstens herum. Sollen wir hindurch, Herr?«

      »Hindurch, ja«, rief George energisch. »Ich muss hinein nach Sinope!«

      Wieder gurgelten sich die Türken unverständliche Worte zu.

      »Müssen warten, bis das Fahrwasser rein ist«, wandte sich dann der Steuermann zu George. »Dies ist eine kleine Barke, der Wind weht scharf, der Nebel ist stark. Allah ist groß, aber man muss ihn nicht versuchen!«

      George wollte ungeduldig antworten, als ein dumpfes, volles Dröhnen durch Nebel und Sturm herüberdrang. Johnny hob aufmerksam den Kopf; George hielt sich nur mit Mühe auf seinem Platz, die Gesichter der Türken waren sehr ernst geworden.

      »Damn!« sagte Johnny. »Das war eine volle Lage – war nicht fern – kam von Südwest, gegen den Wind! Brummen gut – ist groß Kaliber!«

      Der junge Mann hatte die Zähne zusammengepresst und schien eine Minute lang die Beute der qualvollsten Aufregung zu sein. Dann, sich mit Gewalt überwindend, sagte er:

      »Und wie nun, Johnny, wenn die Russen die türkische Flotte angreifen, die auf der Reede von Sinope liegt – wenn sie die Stadt bombardieren – was dann?«

      »Ei – mitten hindurch!« sagte Johnny lustig. »So eine Schwalbe fliegt den Geiern mitten durch die Flügel, wenn sie miteinander kämpfen. Nur mutig, Sir!«

      »Und wenn Mr. Hywell und Miss Mary –«

      Er vollendete den Satz nicht. Johnny hob den Kopf und zog die Brauen hoch.

      »Mr. Hywell – damn! Das ist wahr! Aber dem schadet’s nicht! Der Master kommt überall durch!«

      Der Seufzer des jungen Mannes klang wie ein Stöhnen.

      »Ich fürchte mich nicht, Johnny«, sagte er. »Aber wenn man mich gefangen nimmt –·Du weißt oder weißt nicht, dass ich aus Russland geflohen –«

      Johnny riss die Augen noch weiter auf.

      »Damn, Sir! Das wusste ich nicht. Hatte wohl was gehört, dass Mr. Hywell Sie irgendwoher mitgebracht, wusste aber nicht, dass Sie ein Russe seien, hielt Sie für einen Levantiner!«

      »Nein, Johnny, ich bin keins von beidem«, antwortete George. »Ich bin ein Kind der Berge im Osten dieses Meeres; wir könnten sie vielleicht sehen, wenn der Himmel sich klärte. Mein Vaterland ist das, Johnny! Ach, ich kann Dir nicht mehr sagen. Nur nicht sterben, nicht jetzt, und nicht gefangen werden! So nahe dem Vaterland, so nahe der Freiheit!«

      »Damn, Sir! In Alt-England waren Sie doch frei genug!«

      »Ja, Johnny, aber Alt-England ist nicht mein Vaterland!« rief George mit zuckenden Lippen, und seine Augen leuchteten auf in Qual und Begeisterung. »Ich bin bereit zu sterben, ja, aber auf dem Boden meiner Väter, mit dem Schwerte in der Hand!«

      »Hm, Sir, so sind Sie auf einer Expedition?« fragte Johnny schlau.

      »Still, Johnny! Ich glaubte, Du wüsstest es!« sagte George. »Da – höre!«

      Dasselbe Dröhnen drang herüber, diesmal lauter; nicht lange, und ein drittes Dröhnen folgte, und nun rollte der Donner ununterbrochen fort, wie aus tausend Feuerschlünden. Die Türken hatten die Segel eingezogen und lauschten beklommen. Johnny nickte zufrieden mit dem Kopfe.

      »Gute Breitseiten!« sagte er vor sich hin. »Wünschte, unsere Dreidecker, die da faul im Bosporus liegen, möchten endlich auch einmal die Mäuler auftun! Schaut!«

      Ein Segel hob sich über die Wellen empor, ein Boot flog ganz in der Nähe vorbei. Die Türken riefen es an; Antwort erschallte herüber. George, dessen Gesicht bleich geworden wie der Tod, fragte, ob man etwas verstanden und erfahren. Die Türken antworteten, dass eine große russische Flotte die türkische Flottenabteilung auf der Reede von Sinope angegriffen, und gurgelten ein Allah! über das andere, fluchend und betend.

      Inzwischen lichtete sich der Nebel ein wenig.

      Vielleicht zerriss ihn der Donner der Kanonen, der grausenerregend herüberdröhnte. Die Küste wurde sichtbar.

      »Können wir nicht hier landen?« rief George. »Ich will hinein nach Sinope. Oder setzt mich und meinen Begleiter allein ans Land und kreuzt, bis Ihr eine Gelegenheit findet, irgendwo anzulegen. O Johnny«, fuhr er auf Englisch fort, »wenn die Russen die Stadt besetzten, was würde dann aus Master Hywell und seiner Tochter!«

      »Nun, Goddam«, rief Johnny verwundert, »was können die Russen unserm Master anhaben? Wofür ist der Konsul in der Stadt? Oder ist keiner da?«

      »Ich weiß nicht«, erwiderte George. »Ich soll Erkundigung bei einem deutschen Herrn einziehen. Aber was nutzt ein Konsul gegen Kanonenkugeln?«

      Johnny machte ein Gesicht, als ob man noch gar nicht wissen könne, wie weit sich in dieser Hinsicht die Macht Englands erstreckte, und der Steuermann antwortete jetzt dem jungen Manne, dass gar keine andere Möglichkeit sei, als im großen Bogen die beiden Flotten zu umkreisen und den Versuch zu machen, südwestlich von Sinope, an einer Stelle, die ihnen bekannt war, zu landen. George nahm das Anerbieten an und das Boot flog in südlicher Richtung davon, gejagt von dem günstigsten Winde.

      Inzwischen dröhnte ununterbrochener Geschützdonner. Plötzlich zerriss ein Krachen, stärker als alles vorhergegangene, die Luft. Die Türken fuhren zusammen und beteten. Johnny deutete ernst nach oben.

      Er wollte ausdrücken, es sei ein Schiff in die Luft gegangen. Und bald darauf fielen in der Tat hier und dort einige Fetzen Holz und Segeltuch neben dem Boot ins Meer. George stand auf und blickte nach Westen.

      Das hohe Ufer versperrte die Aussicht; auch war die Luft noch immer trübe. Aber es zeigte sich deutlich eine Wolke in einiger Entfernung, deren Farbe von derjenigen des Nebels und der Wolken verschieden war – der Pulverdampf über der Kampfstätte. Sie sahen auch die beiden Schiffe, deren Umrisse sie vorher bemerkt und die mit dem herrlichsten Winde zum blutigen Handwerk in die Bucht von Sinope hineinsegelten.

      Pfeilschnell schoss das Boot vorwärts. Bald lag die Bai auf ihrer Nordseite – noch heller wurde die Luft – sie sahen eine Reihe von Schiffen, über ihnen eine schnell vom Winde zerrissene, aber sich stets erneuernde Dampfwolke.

      »Wie viel Schiffe haben die Türken auf der Reede, Sir?« fragte Johnny.

      George antwortete, dass die Flottille, wie er in Konstantinopel gehört, aus zehn Kriegsschiffen zweiten, dritten und vierten Ranges bestanden, die Truppen und Munition für die Armee in Kleinasien und die kaukasischen Bergvölker an Bord gehabt, dass er aber nicht wisse, ob diese ganze Flottille im Hafen von Sinope vor Anker gegangen sei.

      »Nun, wenn es auch die ganze ist«, sagte Johnny, »so wird sie doch nichts gegen die Russen ausrichten können. Ich zähle acht bis neun große russische Schiffe, darunter fünf oder sechs ersten Ranges. Die Russen sind den Türken fast ums Doppelte überlegen. Ja, wenn es Engländer und keine Türken wären!«

      Es war jetzt mehr als eine halbe Stunde seit dem Beginn des Kampfes vergangen, der noch immer mit derselben Heftigkeit fortwährte. Der nördliche Wind trug das Krachen der Geschütze so deutlich herüber, dass die Luft erzitterte.

      Das Boot näherte sich der Küste. Johnny lugte aus. Die Brandung musste jeden Landungsversuch an den steilen Ufern verhindern. Die Türken schienen jedoch ihrer Sache gewiss zu sein; sie mussten das Ufer kennen. Und in der Tat erreichten sie nach einer viertelstündigen, zuletzt wieder sehr vorsichtigen Fahrt den Eingang einer kleinen Bucht. Johnny nickte beistimmend, als der türkische Steuermann das kleine Fahrzeug glücklich durch die Brandung in die kleine Bucht lenkte, die durch einen hohen Felsengrat, der


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