Der Held von Garika. Adolf Mützelburg
Ihrer Tochter meine herzlichsten Grüße!«
»Sie kommen als ein Retter in der Not!« antwortete der Engländer, sich zurückziehend. »Aber seien Sie vorsichtig; die Gefahr ist größer, als Sie glauben!«
Die Kurden, mit denen Kaschir-Aga zuletzt gesprochen, näherten sich dem jungen Deutschen und boten ihm ihre Dienste an. Begleitet von der staunenden und unruhig bewegten Menge, ritt Wiedenburg bis an das niedrige Tor des steinernen Gebäudes, ließ sich dort aus dem Sattel heben, sprach mit seinen türkischen Dienern, von denen der eine etwas Englisch zu verstehen schien, und trat dann in das Innere des Hauses. Man führte ihn sogleich nach denjenigen Räumen, die zur Aufnahme von Gästen bestimmt waren. Einer besondern Vorbereitung bedurfte es nicht. Auch diese Räume enthielten nichts als einige Kissen zum Sitzen und einige der notwendigsten Geräte. Der Deutsche ließ sich von seinen Dienern sein Gepäck bringen und untersuchte namentlich das Schloss eines kleinen und schweren Koffers sehr genau. Dasselbe schien fest genug gearbeitet, um der Neugierde und wohl auch der Gewalt zu widerstehen. Dann nahm er die einfachen Gerichte in Empfang, die man ihm brachte, rauchte die dargebotene Pfeife und streckte sich auf die Kissen des Diwans. Zuweilen überflog ein Lächeln sein Gesicht, vielleicht, weil er an die eigentümliche Rolle dachte, die er hier spielen musste. Dann aber wurde seine Miene wieder sehr ernst, denn unmöglich konnte er sich die Schwierigkeiten und selbst Gefahren verbergen, denen er entgegenging. In dieser Stimmung empfing er den Armenier, der halb demütig, halb vertraulich sich nahte, um dem Fremden zu melden, dass Kaschir-Aga ihn besuchen würde.
»Der junge Anführer der Kurden wird mir willkommen sein«, antwortete Wiedenburg, den Armenier sehr ernst und fast drohend anblickend. »Ich hoffe, Ihr habt alles getan, um die Lage meines Freundes und seiner Tochter zu erleichtern; wenn nicht, so dürfte die Stunde der Vergeltung gekommen sein!«
Der Armenier schwur hoch und teuer, dass ihm das Geschick des Franken und seiner Tochter am Herzen liege wie sein eigenes, und wagte dann die Frage, wie der Fremde so schnell die Gunst des Padischah von Stambul erlangt.
»Nun« was denkt Ihr, was wir sind?« antwortete ihm Wiedenburg stolz und verächtlich. »Wir· sind die Botschafter eines Padischah, der tausendmal mächtiger ist als der Padischah von Stambul, und Kaschir-Aga mag sich vor jeder Übereilung hüten, jetzt, da der Padischah von Stambul weiß, dass die Gesandten seines mächtigen Freundes von diesem Volke überfallen und beraubt worden sind. Mehr Bewaffnete, als Ihr Haare in Eurem Barte zählt, sind bereit, die Schmach zu rächen, die uns angetan worden und der wir uns fügen mussten, weil wir zu schwach zum Widerstand waren. Treibt nicht etwa falsches Spiel, Mann, sondern helft aufrichtig unsere Sache fördern; es möchte Euch sonst übel ergehen! Zeigt Ihr Euch aber als ein redlicher Freund, so werden Euch Belohnungen von allen Seiten zuteilwerden.«
Der Armenier schien bestürzt und gelobte nochmals, alles zu tun, was in seinen Kräften stehe. Gleich darauf trat Kaschir-Aga ein, begleitet von zwei Ältesten der Kurden. Er war jetzt ruhig, stolz und zuversichtlich. Wiedenburg ging ihm einige Schritte entgegen, verneigte sich und deutete auf die Kissen, auf denen der Aga sich niederlassen möge.
»Sagt dem Sohne Tamir-Agas«, wandte er sich dann zu dem Armenier, »dass er mir verzeihen möge, wenn ich auch hier allen Gebräuchen meines Landes folge. Wir gestatten dies jedem Fremden, der uns in unserm Lande besucht. Und gebt dem Aga genau wieder, was ich Euch sagen werde! Er darf keinen Zweifel darüber hegen, dass ich nicht als ein Bittender und Hilfsbedürftiger zu ihm komme, sondern als der Sohn eines mächtigen Volkes und als der Gesandte des Padischah.«
Der Armenier, dem die ernste und feste Sprache Wiedenburgs Gehorsam und zugleich Vertrauen in die Macht desselben einzuflößen schien, wiederholte diesmal genau den Sinn der Worte. Wiedenburg, der in den letzten Wochen eifrig bemüht gewesen war, die türkische Sprache kennenzulernen, vermochte jetzt selbst den Worten des Armeniers zu folgen und die Art und Weise der Verdolmetschung im Allgemeinen zu prüfen. Kaschir-Aga blieb auch jetzt ganz ruhig; Wiedenburg glaubte zu bemerken, dass in dieser Ruhe etwas liege, was auf einen schon gefassten Entschluss deute, von dem der Kurdenhäuptling sich durch kein Hindernis ablenken lassen wolle.
»Sage dem Fremden, er möge sprechen!« lautete die Antwort. »Ich werde hören.«
Wiedenburg setzte darauf auseinander, welche Stellung er und Mr. Hywell in ihrem Vaterlande einnähmen, schilderte den letztern als einen Abgesandten seines mächtigen Herrschers und hob die Schnelligkeit hervor, mit welcher man ihm selbst den Ferman von Stambul gesandt habe, als er nach seiner Flucht das Vorgefallene dorthin berichtet. Er versicherte mit großer Bestimmtheit, dass der Sultan sich dieser Sache sehr eifrig annehmen und selbst mit Gewalt dem Gesandten des ihm befreundeten Herrschers zu Hilfe kommen werde, hoffe aber, dass Kaschir-Aga sich mit einem Lösegeschenk begnügen und die fränkischen Gefangenen sofort freigeben werde. Auf die Frage des Kurden nannte er eine nicht unbedeutende Summe, die dem Häuptling oder dessen Bevollmächtigten ausgezahlt werden sollte, sobald die Franken in Sicherheit seien, also in Bajazid oder Erzerum. Kaschir-Aga ließ durch den Armenier antworten, dass er die Eigenschaft seines jetzigen Gastfreundes als Gesandten des Padischah von Stambul nicht eher anerkennen dürfe, als bis sein Vater und die Ältesten den Ferman geprüft. Bis dahin könne er den Fremden nur als einen einfachen Reisenden betrachten, dem er Schutz und Obdach gewähre. Doch könne er ihm auch schon jetzt so viel sagen, dass er selbst nichts gegen die Abreise sämtlicher Männer einzuwenden habe, vorausgesetzt, wie er vorsichtig hinzufügte, dass die genannte Summe gezahlt werde, dass er dagegen die Tochter des alten Franken nur in dem Falle ziehen lassen werde, wenn sein Vater ihm nicht die Einwilligung gebe, sie zu heiraten. Und es lag etwas in seiner Miene, was andeutete, dass er selbst in einem solchen Falle entschlossen sei zu trotzen.
Für Wiedenburg war diese Mitteilung eine neue und überraschende. Doch verbarg er die bösen Befürchtungen, welche diese Erklärung in ihm erweckte. So viel hatte ihn sein Aufenthalt im Orient bereits gelehrt, dass nur unerschütterliche Ruhe imstande sei, diesen Männern Achtung einzuflößen.
»So scheint Kaschir-Aga zu glauben, dass diese Angelegenheit allein von ihm und seinem Vater abhänge?« ließ er antworten. »Dann irrt er. Ich kenne das Herz der Tochter meines Freundes nicht und weiß nicht, ob es die Empfindungen Kaschir-Agas teilt. Sollte das aber nicht der Fall sein, so wird keine Macht die junge Frankin bewegen, das Weib des jungen Aga zu werden. In unserm Vaterlande haben die Frauen vollkommene Freiheit, eine Bewerbung anzunehmen oder nicht. Selbst wenn unser Padischah um die Hand der jungen Frankin anhielte, würde es ihr freistehen, sein Anerbieten zurückzuweisen; kein Zwang darf darin geübt werden. Und wollte selbst die Frankin einwilligen, so würde ihr Vater das Recht haben, sie an einer solchen Verbindung zu hindern. Kaschir-Aga vergisst, dass wir keine Kurden sind, dass wir nicht in diesem Lande geboren, dass wir uns hier nicht mit unserm freien Willen befinden und also in keiner Weise genötigt sind, den Gebräuchen dieses Landes zu folgen. Wenn die junge Frankin die Gattin Kaschir-Agas werden will und ihr Vater einwilligt, so mag diese Verbindung vollzogen werden; ich bin bei dieser Angelegenheit nicht beteiligt. Erhält er aber eine zurückweisende Antwort, so muss sich Kaschir-Aga damit begnügen und die Seele der jungen Frankin nicht länger beängstigen. Um den Willen Kaschir-Agas und seines Vaters wird sich weder die Frankin noch ihr Vater kümmern.«
»So meinst Du, es sei nicht eine große Ehre für ein fremdes Weib, wenn der einstige Häuptling der freien Kurden sie zu seiner Gattin begehrt?« ließ Kaschir-Aga fragen, und seine Miene verriet Zorn und Ungewissheit.
»Kaschir-Aga vergisst immer, wer wir sind«, antwortete Wiedenburg. »Die junge Frankin ist in ihrem Vaterlande so reich, mächtig und angesehen, wie es nur eine Tochter des Padischah von Stambul sein kann, und mehr noch. Die Frauen nehmen in unsern Ländern eine andere Stellung ein als hier, wo der Wille des Mannes und des Vaters in jeder Hinsicht über sie gebietet. Die junge Frankin wird nicht danach fragen, ob man ihr eine Ehre antun will, sondern ob sie dem Häuptling der Kurden geneigt ist, und danach wird sie handeln.«
»Und warum sollte sie mir nicht ebenso geneigt sein wie jedem andern Mann?« ließ der Aga fragen.
»Darauf kann ich nicht antworten«, erwiderte Wiedenburg; »ich bestreite auch nicht die Möglichkeit. Ich kann nicht in das Herz der jungen Frankin blicken, das ich nicht kenne. Aber Kaschir-Aga sollte wissen, dass die Herzen der Frauen unergründlich sind und dass sie ihre Neigung oft demjenigen zuwenden, der uns unwürdig