Der Held von Garika. Adolf Mützelburg

Der Held von Garika - Adolf Mützelburg


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Wohin mein Pferd gekommen, wusste ich nicht, von meinen Kleidungsstücken verschwand eins nach dem andern. Einmal ertappte ich einen jungen Kurden dabei, mir meine Beinkleider zu stehlen, als ich eben des Morgens erwachte; wahrscheinlich wollte er sie wie einen Schal als Siegestrophäe um seine Filzmütze binden. Ich gab dem Jungen eine Ohrfeige; die Natter fuhr mit dem Messer auf mich zu. Da ergriff ich seine Hand und renkte ihm das Handgelenk aus. Nun heulte er durch das ganze Dorf. Ich begab mich sogleich nach der Wohnung des Häuptlings, denn es war uns gestattet, frei im Dorf herumzugehen, und beklagte mich durch den Armenier bei Kaschir-Aga. Aber ich kam übel an. Der Junge war ein Vetter Kaschir-Agas, und wenig fehlte, so hätte man mir Nase und Ohren abgeschnitten. Fürs erste verurteilte man mich, die Hütte nicht zu verlassen, und das war streng genug, denn nun konnte ich weder Mr. Hywell noch Miss Mary mehr sprechen. Letztere war immer noch entstellt, aber, wie mir Mr. Hywell klagte, ging die Tinktur zu Ende, und dann gab es kein Mittel mehr, Mary hässlich zu machen, wollte man nicht zugleich ihre Gesundheit untergraben. In meiner Hast fasste ich nun den felsenfesten Entschluss, sobald als möglich zu fliehen. Ich zeigte mich sehr gefügig, ließ Kaschir-Aga um Gnade bitten und erhielt denn auch nach ungefähr einer Woche die Erlaubnis, die Hütte wieder verlassen zu dürfen. Inzwischen waren jene kurdischen Boten, von denen ich gesprochen, nach Bajazid und Erzerum mit Briefen Mr. Hywells abgesandt worden. Dieser bestärkte mich in meinem Entschluss, das Dorf zu verlassen und in Bajazid schnelle Hilfe zu suchen. Denn mich nach Urmiah zu den nordamerikanischen Missionären zu wenden, hatte ich aufgegeben, da ich einsehen gelernt, wie gering der Einfluss dieser Männer hier im Gebirge sei. Vielleicht konnten sie indessen später als Unterhändler gute Dienste leisten. Zuerst hatte ich daran gedacht, mit den vier europäischen Dienern gemeinsam zu fliehen. Aber der Gedanke, dass dann Mr. Hywell ganz allein allen Möglichkeiten ausgesetzt sei, änderte meine Ansicht. Auch waren diese Diener jetzt nicht mehr im Dorfe, sondern im Hause des Häuptlings einquartiert. Mir allein gönnte man noch einige Freiheit, ich vermute, weil man mich für den Bräutigam der Miss Mary hielt und glaubte, ich würde nicht ohne sie fortgehen. Miss Hywell, die der Kurde mit Recht für die wertvollste Person hielt, durfte das Haus niemals verlassen. So beschloss ich denn, nachdem ich noch einmal mit Mr. Hywell alles verabredet und wir Miss Mary Trost und Mut eingesprochen, mein Heil zu versuchen. Geld konnte mir Ihr Pflegevater leider nicht geben, da man auch ihm allmählich alles gestohlen. Ich besaß nur noch einige türkische Goldmünzen, die ich mir in Tauris eingewechselt, und ein Messer, das ich bis dahin sorgsam verborgen gehalten. In einer sehr dunklen Nacht entwich ich aus der Hütte; heute sind es gerade vierzehn Tage, und gelangte unbemerkt aus dem Dorfe. Ich wanderte immer nach Norden, mich nach den Sternen richtend. Nun, ich will Sie mit dem Bericht meiner Wanderung nicht ermüden. Wahrscheinlich bin ich verfolgt worden, aber man hat mich nicht entdeckt. Bei Tage hielt ich mich verborgen, fand auch zuweilen Gastfreundschaft bei armen Nestorianern. Mein vollständig zerrissener und beschmutzter Anzug. dessen Lücken ich, wie Sie sehen, durch Tücher, die ich mir kaufte, zu ergänzen suchte, schützte mich wahrscheinlich vor räuberischen Angriffen. So erreichte ich den Wansee und die Stadt Wan, fand hier jedoch zu meinem Leidwesen keinen Menschen, dem ich mich in englischer oder französischer Sprache hätte verständlich machen können, und kaufte für ein Billiges dieses Tier, das ich reite, das damals krank und hinfällig war, sich jetzt aber erholt hat. Nun lag es mir vor allen Dingen daran, eine Stadt zu erreichen, in der sich ein vernünftiger Kommandeur befand. Ich musste abermals meinen Weg durch das Gebirge nehmen; als ich aber die große Karawanenstraße erreichte, erfuhr ich, dass ich fast ebenso weit von Bajazid als von Erzerum entfernt sei, und beschloss deshalb, nach letzterer Stadt zu reiten, wo sich einige Kaufleute befinden, die meinen Namen kennen. Ich nahm mir, um sicher zu sein, einen Führer, und unser beiderseitiges Glück wollte es, dass wir uns trafen. Das ist meine einfache Geschichte. Nun lassen Sie uns zusammen überlegen, was zu tun ist!«

      George hatte der ganzen Erzählung mit derselben trüben und wehmütigen Miene gelauscht. Jetzt, als Edmund Wiedenburg schwieg, fuhr er wie aus einem Traume auf, fast als habe er den Schluss gar nicht gehört.

      »Seltsam! Traurig!« sagte er. »Hat Mr. Hywell zuweilen mit Ihnen von mir gesprochen? Hat Miss Mary sich meiner erinnert?«

      »Nun sicherlich!« antwortete der Deutsche. »Mr. Hywell und seine Tochter sprachen stets mit der größten Teilnahme von Ihnen. Ich glaubte anfangs, als ich so oft den Namen George hörte, Sie seien wirklich ein Sohn oder Neffe Mr. Hywells, bis er mir später sagte, Sie hätten ihm geschrieben, Sie wollten nach dem Orient gehen und sich, wenn es möglich sei, an dem Kampf gegen die Russen beteiligen, und er könne dies nur billigen, da Sie ja ein Sohn Kaukasiens seien. Miss Mary sprach stets von Ihnen wie von einem Bruder. Beide freuten sich innig darauf, Sie in Sinope oder Konstantinopel zu finden!«

      George versank wieder auf einige Minuten in seine Träumerei. Dann aber schien er sich aufzuraffen.

      »Dank Ihnen, Dank, Mr. Wiedenburg«, rief er lebhaft, »dass Sie sich meines Pflegevaters und Miss Marys so warm angenommen. Die teuren, unglücklichen Menschen, was müssen sie erdulden! Was können wir tun, Sir, sie zu befreien? Ich bin zu allem bereit! Ich scheue kein Opfer, nichts, ich gebe jeden andern Plan auf, bis Mr. Hywell und seine Tochter befreit sind.«

      »Ja, Sir, die Antwort ist leider nicht leicht«, antwortete Wiedenburg, »und wir müssen sehr reiflich jeden Schritt überlegen, denn das Leben Mr. Hywells und seiner Tochter schwebt in Gefahr, sobald die Kurden die Absicht wittern, die Gefangenen zu befreien, ohne Lösegeld zu zahlen. Das letztere war, wie ich von Mr. Hywell hörte, für uns alle auf dreißigtausend türkische Dukaten angesetzt. Wie sollen wir diese oder auch eine weit geringere Summe auftreiben! Und anders als in gemünztem Gelde nimmt der Kurde keine Zahlungen. Auch dürfte sich der mutige Mr. Hywell kaum dazu verstehen, den Räubern eine solche Summe zu gewähren, falls sich irgendein anderer Weg zur Befreiung zeigt. Nur der Gedanke an Miss Mary könnte ihn zur Zahlung eines Lösegelds geneigt machen. Ich denke, wir senden einen Boten nach Sinope zu meinem Verwandten, teilen ihm das Vorgefallene mit und bitten ihn, für alle Fälle möglichst viel gemünztes Gold zu sammeln und in Bereitschaft zu halten, zugleich aber nach Konstantinopel einen Bericht an den englischen und österreichischen Gesandten zu senden und sie zu bitten, die Pforte zum schleunigsten Handeln aufzufordern. Es ist möglich, da ja doch jetzt des Kriegs wegen eine Menge Menschen auf den Beinen sind und eine gewisse Rührigkeit selbst in diesen Gegenden herrscht, dass man sich schnell entschließt, etwas für Mr. Hywell und seine Tochter zu tun. Wir aber müssen uns nach Bajazid oder irgendeinem Ort begeben, an welchem sich ein vernünftiger Kommandeur befindet, womöglich zu Guyon oder, wie er jetzt heißt, Churschid-Pascha. Dieser muss es übernehmen, Mr. Hywell, seine Tochter, die Diener und Dienerinnen den Händen Kaschir-Agas zu entreißen, sei es·in Güte oder mit Gewalt. Ich denke, die unmittelbares Einwirkung eines hochstehenden Kommandeurs und das Versprechen einer Geldsumme werden ihren Einfluss aus Tamir-Aga, den Alten, nicht verfehlen. Im Notfall müsste man ihn als Geißel festhalten, bis Kaschir-Aga die Gefangenen herausgegeben hat. Aber das alles bedarf der ruhigsten und nüchternsten Überlegung, und vor allem haben wir Geld nötig. Das Dringendste erscheint mir also, einen von unsern Führern nach Sinope zu senden, um meinen Oheim zu bitten, uns eine Anweisung auf irgendeinen Kaufmann in Bajazid, Erzerum oder Kars zu senden. Denn in diesem Lande kann man nichts ausrichten, ohne nicht immer die Hand in der Tasche zu haben.«

      Das wurde denn auch sogleich getan. Wiedenburg schrieb einen Brief an seinen Oheim, dem George einige Zeilen hinzufügte, und damit man sicher sei, dass der Bote den Brief wirklich in Sinope abliefere, gab man ihm nur eine kleine Summe, mit dem Bedeuten, dass, Mr. Wiedenburg ihm das Dreifache in Sinope auszahlen werde. Georges Führer ritt sogleich mit dem Briefe die Straße zurück. Wiedenburg aber bat George, sich der Ruhe hingeben zu dürfen. Denn jetzt, zu einem Resultat und einer gewissen Beruhigung gelangt, fühlte er sich nach so vielen Wochen körperlicher Anstrengung und geistiger Aufregung plötzlich von unwiderstehlicher Ermattung überwältigt.

      IV. Die Rettung

      Wenn auch nicht warm, doch hell und freundlich schien die Januarsonne durch das kleine Fenster in das geräumige Gemach, das die Wohnung Mary Hywells bildete. Als es Mary zuerst betrat, hatte es nur aus den rohen Steinwänden bestanden, mit einer schmalen Leiste am Fuße der Wände, um Kissen zum Diwan darauf zu legen. Jetzt war es durch Marys und ihrer Dienerinnen Bemühungen


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