Der Graf von Monte Christo. Александр Дюма
und des Languedoc. Die Bergbewohner sind Bonapartisten. Sire.«
»Er war also gut unterrichtet,« murmelte Ludwig XVIII. »Und wie viel Mann hat er bei sich?«
»Sire, ich weiß es nicht,« sagte der Polizeiminister.
»Wie, Sie wissen es nicht? Sie haben vergessen, über diesen Umstand Erkundigungen einzuziehen? Er ist allerdings von geringer Bedeutung,« fügte er mit einem niederschmetternden Lächeln bei.
»Sire. ich konnte mich hierüber nicht belehren. Die Depeche brachte einfach die Nachricht von dem Landen des Usurpators und von dem Wege, den er eingeschlagen.«
»Und wie ist Ihnen diese Depeche zugekommen?« fragte der König.
Der Minister senkte den Kopf. und eine lebhafte Röte übergoß seine Stirne.
»Durch den Telegraphen, Sire.« stammelte er.
Ludwig XVIII. machte einen Schritt vorwärts und kreuzte die Arme, wie es Napoleon getan hatte.
»Also,« sprach er, vor Zorn erbleichend, »also sieben verbündete Heere haben diesen Mann gestürzt, ein Wunder des Himmels hat mich nach fünf und zwanzigjähriger Verbannung auf den Thron meiner Väter gesetzt, ich habe diese fünf und zwanzig Jahre hindurch die Menschen und Dinge des mir verheißenen Frankreichs studiert, erforscht, analysiert, damit, wenn ich an das Ziel meiner Wünsche gelangt, eine Gewalt, die ich in meinen Händen hielt, losbreche und mich niederwerfe!«
»Sire. das ist ein Unglück,« murmelte der Minister, welcher wohl fühlte, daß ein solches Gewicht, wenn auch leicht für das Geschick, einen Menschen zu zermalmen hinreichend war.
»Was unsere Feinde von uns sagen, ist also wahr: Nichts gelernt und nichts vergessen. Wenn ich noch verraten wäre, wie er, wollte ich mich trösten; aber mitten unter Leuten zu sein, welche durch mich zu ihren Würden erhoben worden sind und sorgfältiger über mich wachen sollten, als über sich selbst! denn mein Glück ist das Ihrige: vor mir waren sie nichts, nach mir werden sie nichts sein. Elend umkommen durch Unfähigkeit, durch Albernheit, das ist schauderhaft!«
Der Minister hielt sich gebeugt unter diesem furchtbaren Anathem. Herr von Blacas trocknete sich seine mit Schweiß bedeckte Stirne ab. Villefort lächelte in seinem Innern, denn er fühlte die Zunahme seiner Wichtigkeit.
»Fallen,« fuhr Ludwig der XVIII. fort, der mit dem ersten Blicke den Abhang ermessen hatte, an welchem die Monarchie stand, »fallen und seinen Sturz durch den Telegraphen erfahren! Oh, ich wollte lieber auf das Blutgerüste meines Bruders, Ludwig XVI. treten, als so die Treppe der Tuilerien hinabsteigen, vertrieben durch die Lächerlichkeit . . . durch die Lächerlichkeit, mein Herr, Sie wissen nicht, was das in Frankreich ist und sollten es doch wissen.«
»Sire, Sire,« murmelte der Minister, »ich bitte um Gnade.«
»Nähern Sie sich, Herr von Villefort,« fuhr der.König fort, sich an den jungen Mann wendend, der unbeweglich und im Hintergrunde den Gang dieses Gespräches betrachtete, in welchem halb verloren die Zukunft eines Königreiches wogte, »nähern Sie sich und sagen Sie diesem Herrn, daß man zum Voraus Alles wissen konnte, was er nicht gewußt hat.«
»Sire, es war materiell unmöglich, die Pläne zu erraten, welche dieser Mann vor aller Welt verbarg.«
»Materiell unmöglich! das ist ein großes Wort, mein Herr, leider gibt es große Worte, wie es große Männer gibt, ich habe sie ermessen. Materiell unmöglich für einen Minister, der eine Verwaltung, Bureau, Agenten und fünfzehnmal hunderttausend Franken geheime Fonds hat, zu wissen, was auf sechzig Meilen von Frankreich vorgeht? Hier steht ein Herr, der über keines von diesen Mitteln zu verfügen hatte, ein einfacher Beamter, der mehr wußte, als Sie mit Ihrer ganzen Polizei, der meine Krone gerettet haben würde, hätte er wie Sie das Recht gehabt, einen Telegraphen zu leiten.«
Der Blick des Polizeiministers richtete sich mit einem Ausdrucke des tiefsten Ärgers auf Villefort, der das Haupt mit der Bescheidenheit des Triumphes neigte.
»Ich sage dies nicht in Beziehung auf Sie, Blacas,« fuhr Ludwig XVIII. fort, »denn wenn Sie auch nichts entdeckten, so waren Sie doch wenigstens so gescheid, in Ihrem Argwohne zu verharren, ein Anderer als Sie hatte vielleicht die Enthüllung von Villefort als unbedeutend betrachtet oder ihr einen käuflichen Ehrgeiz unterschoben.«
Diese Worte spielten auf diejenigen an, welche der Polizeiminister eine Stunde vorher mit so viel Vertrauen ausgesprochen hatte.
Villefort begriff das Spiel des Königs. Ein Anderer hätte sich wohl durch die Trunkenheit des Lobes hinreißen lassen, aber er befürchtete, sich aus dem Polizeiminister einen unversöhnlichen Feind zu machen, obgleich er fühlte, daß dieser unwiderruflich verloren war. Der Minister, der im vollen Besitze seiner Macht das Geheimnis von Napoleon nicht zu erraten gewußt hattet konnte in den Convulsionen seines Todeskampfes das von Villefort durchdringen: er brauchte nur Dantes zu befragen. Villefort kam also dem Minister zu Hilfe, statt ihn vollends niederzudrücken.
»Sire,« sprach Villefort,« der rasche Gang des Ereignisses muß Eurer Majestät beweisen, daß Gott allein, einen Sturm erhebend, dasselbe verhindern konnte. Was Euere Majestät als die Wirkung einer tiefen Scharfsichtigkeit von meiner Seite betrachtet, habe ich ganz einfach dem Zufalle zu verdanken; als ergebener Diener benützte ich diesen Zufall, und nicht weiter. Bewilligen Sie mir nicht mehr, als ich verdiene, Sire, um nimmer auf den ersten Gedanken zurückzukommen, den Sie über mich gefaßt haben werden.«
Der Polizeiminister dankte dem jungen Manne mit einem beredten Blicke, und Villefort begriff, daß ihm sein Plan gelungen war, das heißt, daß er, ohne die Dankbarkeit des Königs zu verlieren, sich einen Freund gemacht hatte, auf den er vorkommenden Falles zähen konnte.
»Es ist gut,« sagte der König. »Und nun, meine Herren,« fuhr er, sich an Herrn von Blacas und den Polizeiminister wendend, fort, »nun bedarf ich Ihrer nicht mehr, und Sie können sich entfernen: was noch zu tun ist, geht den.Kriegsminister an.«
»Zum Glücke, Sire, können wir auf die Armee zählen, sprach Herr von Blacas. »Euere Majestät weiß, wie sehr sie alle Berichte als Ihrer Regierung ergeben schildern.«
»Sprechen Sie mir nicht von Berichten: ich weiß nun, welches Vertrauen man ihnen schenken darf. Doch bei Gelegenheit der Berichte, mein Herr Baron, was haben Sie in Beziehung auf die Angelegenheit der Rue Saint Jacques erfahren?«
»Auf die Angelegenheit der Rue Saint-Jacques!« rief Villefort, der sich eines Ausrufes nicht enthalten konnte.
»Um Verzeihung, Sire,« sagte er, »meine Ergebenheit für Euere Majestät läßt mich beständig, nicht die Achtung, welche ich für dieselbe hege, denn diese Achtung ist zu tief in mein Herz eingegraben, sondern die Regeln der Etiquette vergessen.«
»Sprechen Sie immerhin, mein Herr,« erwiderte Ludwig XVIII.., »Sie haben heute das Recht zu fragen erlangt.«
»Sire,« antwortete der Polizeiminister, »ich kam gerade heute, um Eurer_Majestät die Kunde mitzuteilen, die ich über dieses Ereignis eingezogen hatte, als die Aufmerksamkeit Eurer Majestät durch die furchtbare Katastrophe des Golfs abgelenkt wurde. Nun hatten diese Mitteilungen keine Interesse mehr für den König.«
»Im Gegenteil, mein Herr, im Gegenteil,« sprach Ludwig XVIII., »diese Sache scheint mir eine unmittelbare Beziehung zu derjenigen zu haben, welche uns beschäftigt, und der Tod des General Quesnel wird uns vielleicht auf den Weg zur Entdeckung eines großen inneren Complottes führen.«
Bei dem Namen des General Quesnel bebte Villefort.
»In der Tat, Sire.« versetzte der Polizeiminister, »Alles könnte glauben machen, dieser Tod sei nicht das Resultat eines Selbstmordes, wie man Anfangs meinte, sondern einer Ermordung. Der General Quesnel kam, wie es scheint, aus einem bonapartistischen Clubb, als er verschwand. Ein unbekannter Mann hatte ihn am Morgen aufgesucht und eine Zusammenkunft in der Rue Saint-Jacques für den Abend mit ihm verabredet. Leider hat der Kammerdiener des Generals, der ihn in dem Augenblick, wo der Unbekannte in das Cabinet geführt wurde, frisierte, wohl verstanden, daß derselbe die Rue Saint-Jacques bezeichnete, aber die Nummer nicht behalten.«
Je länger der Polizeiminister in seinen Mitteilungen fortfuhr, desto mehr