Die Gräfin von Charny Denkwürdigkeiten eines Arztes 4. Александр Дюма
Jacobiner-Klosters hin.
Haben unsere Leser, wie dies wahrscheinlich ist, errathen, daß diese zwei Männer der Doctor Gilbert und der Graf von Cagliostro oder der Banquier Zannone, wie er sich zu jener Zeit nennen ließ, waren, so brauchen wir ihnen nicht zu erklären, warum sie vor der kleinen Thüre stehen blieben, da diese Thüre das Ziel ihres nächtlichen Ganges war.
Uebrigens hatten die zwei Ankömmlinge nur der Menge zu folgen, denn die Menge war groß.
»Wollen Sie in das Schiff eintreten, oder werden Sie sich mit einem Platze auf den Tribunen begnügen?« fragte Cagliostro Gilbert.
»Ich glaubte, das Schiff sei einzig und allein den Mitgliedern der Gesellschaft vorbehalten?« erwiederte Gilbert.
»Allerdings; aber bin ich nicht Mitglied von allen Gesellschaften?« versetzte Cagliostro lachend; »und da ich es bin, sind es nicht auch meine Freunde? Hier ist eine Karte für Sie, wenn Sie wollen; ich, was mich betrifft, ich habe nur ein Wort zu sagen.«
»Man wird uns als Fremde erkennen und weggehen heißen,« bemerkte Gilbert.
»Vor Allem, mein lieber Doctor, muß ich Ihnen Eines sagen ., . was Sie nicht wissen, wie es scheint, nämlich, daß die seit drei Monaten gegründete Gesellschaft der Jacobiner schon ungefähr sechzigtausend Mitglieder in Frankreich zählt und, ehe ein Jahr vergeht, viermal hundert tausend zählen wird; überdies, mein Theuerster,« fügte Cogliostro lächelnd bei, »überdies ist hier der wahre Große Orient, der Mittelpunkt aller geheimen Gesellschaften, und nicht bei dem Dummkopf Fauchet, wie man glaubt. Wenn Sie nun nicht das Recht haben, unter dem Titel eines Jacobiners einzutreten, so haben Sie hier Ihren Platz in der Eigenschaft eines Rosenkreuzers anzusprechen.«
»Gleichviel,« erwiederte Gilbert, »ich ziehe die Tribunen vor.
Von den Tribunen herab werden wir über der ganzen Versammlung schweben, und bietet sich eine gegenwärtige oder zukünftige Illustration, die ich nicht kenne, so werden Sie mich mit ihr bekannt machen.«
Die Tribunen waren voll, doch bei der ersten, nach der er sich wandte, brauchte Cagliostro nur ein Zeichen zu machen und leise ein Wort auszusprechen, und zwei Männer, welche vorne standen, zogen sich aus der Stelle zurück, als wären sie nur hierher gekommen, um seinen Platz und den des Doctor Gilbert zu hüten.
Die Ankömmlinge nahmen ihre Plätze ein.
Die Sitzung war noch nicht eröffnet; die Mitglieder der Versammlung waren in Unordnung im dunkeln Schisse verbreitet; die Einen plauderten in Gruppen; die Andern gingen in dem engen Raume, den ihnen die große Anzahl ihrer Collegen ließ, aus und ab; wieder Andere träumten vereinzelt, entweder im Schatten sitzend oder stehend und an einen massiven Pfeiler angelehnt.
Spärliche Lichter goßen in Streifen einige Helle auf diese Menge, deren Individualitäten nur hervortraten, wenn sich ihre Gesichter oder ihre Personen zufällig unter einer von diesen schwachen Flammen befanden.
Nur war selbst im Halbschatten leicht zu sehen, daß man sich mitten in einem aristokratischen Vereine befand. Die gestickten Röcke und die Uniformen der Land- und Seeofficiere waren, die Menge mit Reflexen von Gold und Silber besprenkelnd, im Ueberflusse vorhanden.
Zu jener Zeit demokratisirte in der That nicht ein Arbeiter, nicht ein Mann aus dem Volke, wir möchten sagen, beinahe nicht ein Bürger die illustre Versammlung.
Für die Leute von der kleinen Welt gab es einen zweiten Saal unter dem ersten. Dieser zweite Saal wurde zu einer andern Stunde geöffnet, damit das Volk und die Aristokratie nicht mit dem Ellenbogen an einander stießen. Für die Unterweisung dieses Volkes hatte man eine brüderliche Gesellschaft gebildet.
Die Mitglieder dieser Gesellschaft waren beauftragt, ihm die Constitution zu erklären und ihm die Menschenrechte auseinanderzusetzen.
Die Jacobiner waren, wie gesagt, zu jener Zeit eine militärische, aristokratische, intellectuelle und besonders gelehrte und künstlerische Gesellschaft.
Die Gelehrten und die Künstler sind wirklich in der Mehrheit da.
Es sind hier an Literaten la Harpe, der Verfasser von Melanie; Chénier, der Verfasser von Karl IX.; Andrieux, der Verfasser der Etourdis, der schon im Alter von dreißig Jahren dieselben Hoffnungen gibt, die er noch im Alter von siebenzig gab, und der gestorben ist, nachdem er immer versprochen und nie gehalten; da ist auch Sedeine, der ehemalige Steinhauer, begünstigt von der Königin, ein Royalist seinem Herzen nach, wie die Mehrzahl der Anwesenden; Chamfort, der gekrönte Dichter, Exsecretär des Herrn Prinzen von Condé, Vorleser von Madame Elisabeth; Laclos, der Mann des Herzogs von Orleans, der Verfasser der Liaisons dangereuses, der den Platz seines Patrons einnimmt und je nach den Umständen beauftragt ist, ihn bei seinen Freunden in’s Gedächtniß zurückzurufen, oder von seinen Feinden vergessen zu lassen.
An Künstlern sind da Talma der Römer, der in seiner Rolle als Titus eine Revolution zu machen im Begriffe ist; durch ihn wird es kommen, daß man einstweilen die Haupthaare abschneidet, bis es durch Callot d’Herbois, seinen Collegen, dahin kommt, daß man die Köpfe abschneidet; ferner David, der Leonidas und die Sabinerinnen träumt; David, der sein großes Gemälde: der Schwur im Ballhause, anlegt und so eben vielleicht den Pinsel gekauft hat, mit dem er sein schönstes Gemälde und sein häßlichstes Bild: Marat in seinem Bade ermordet, machen wird; Vernet, der vor zwei Jahren von der Academie für sein großes Bild: der Triumph des Paulus Aemilius, aufgenommen worden ist; der sich damit belustigt, daß er Pferde und Hunde malt, ohne zu ahnen, daß vier Schritte von ihm, in der Versammlung, am Arme von Talma, ein junger corsischer Lieutenant mit glatten, ungepuderten Haaren ist, welcher ihm, ohne es selbst zu vermuthen, fünf von seinen schönsten Bildern, den Uebergang über den St. Bernhardsberg, die Schlachten vom Rivoli, vom Marengo, von Austerlitz und von Wagram vorbereitet; ferner Larive, der Erbe der declamatorischen Schule, der noch nicht geruht, in Talma einen Collegen zu sehen; den Voltaire Corneille und Belloy Racine vorzieht; ferner Lais, der Sänger, der das Entzücken der Oper in den Rollen des Kaufmanns in der Caravane, des Consul in Trajan und des Cinna in der Vestalin bildet; sodann Lafayette, Lameth, Duport, Sieyès, Thouret, Shapellier, Rabaut-Saint-Elienne, Lanjuinais, Monlesier; mitten unter Allem dem endlich, mit herausfordernder Miene und anmaßendem Gesichte, der Abgeordnete von Grenoble, Barnave, aus dem die mittelmäßigen Menschen einen Mirabeau machen, während Mirabeau ihn zermalmt, so oft er sich herabläßt, den Fuß auf ihn zu setzen.
Gilbert warf einen langen Blick auf diese glänzende Versammlung, erkannte Jeden, schätzte in seinem Geiste alle diese verschiedenen Fähigkeiten und war wenig durch sie beruhigt.
Diese royalistische Gesammtheit tröstete ihn indessen wieder ein wenig.
»Im Ganzen,« sagte er plötzlich zu Cagliostro, »welchen Mann sehen Sie unter allen diesen Männern, der wirklich feindlich gegen das Königthum gesinnt wäre?«
»Soll ich mit den Augen von Jedermann, mit den Ihrigen, mit denen von Herrn Necker, mit denen des Abbé Maury oder mit den meinigen sehen?«
»Mit den Ihrigen,« erwiederte Gilbert; »ist es nicht entschieden, daß es Zaubereraugen sind?«
»Nun wohl, es finden sich zwei hier.«
»Oh! das ist nicht viel unter vierhundert Männern.»
»Es ist genug, wenn Einer von diesen zwei Männern der Mörder von Ludwig XVI. sein soll, und der Andere sein Nachfolger.«
Gilbert bebte.
»Ho! hol« murmelte er, »wir haben hier einen zukünftigen Brutus und einen zukünftigen Cäsar!«
»Nicht mehr, nicht weniger, mein lieber Doctor.«
»Sie werden mich wohl beide sehen lassen, nicht wahr, Graf?« sagte Gilbert mit dem Lächeln des Zweifels aus den Lippen.
»O Apostel mit schuppenbedeckten Augen!« erwiederte Cagliostro, »ich werde etwas Besseres thun, wenn Du willst; ich werde Dich sie mit dem Finger berühren lassen. Bei welchem soll ich anfangen?«
»Bei dem Umstürzer, wie mir scheint; ich habe große Ehrfurcht für die chronologische Ordnung. Lassen Sie mich zuerst Brutus sehen.«
»Du