Die Gräfin von Charny Denkwürdigkeiten eines Arztes 4. Александр Дюма
zu vollbringen? Unser Brutus wird also in keiner Hinsicht dem Brutus des Altenhums gleichen.«
»Ein Grund mehr, daß ich begierig bin, ihn zu sehen.«
»Nun, so schau, dort ist er!« versetzte Cagliostro.
Und er streckte die Hand in der Richtung eines an die Kanzel angelehnten Mannes aus, dessen Kopf sich in diesem Augenblick allein im Lichte fand, indeß der übrige Körper im Schatten verloren war.
Dieser bleiche Kopf sah aus wie, in den alten Tagen der Proseriptionen, ein abgeschnittener, an die Rednerbühne genagelter Kopf.
Nur die Augen schienen zu leben, mit einem beinahe verächtlichen Ausdrucke des Hasses, mit dem Ausdrucke der Schlange, welche weiß, daß ihr Zahn ein tödtliches Gift enthält; sie folgten bei seinen zahlreichen Evolutionen dem lärmenden und geschwätzigen Barnave.
Gilbert fühlte etwas wie einen Schauer seinen ganzen Leib durchlaufen.
»In der That,« sagte er, »Sie haben mich zum Voraus darauf aufmerksam gemacht; das ist weder der Kopf von Brutus, noch der von Cromwell.«
»Nein,« versetzte Cagliostro; »doch es ist vielleicht der von Cassius. Sie wissen, mein Lieber, was Cäsar sagte: »»Alle diese fetten Leute, alle diese Wohllebemenschen, welche ihre Tage bei der Tafel, ihre Nächte in Orgien hinbringen, fürchte ich nicht: nein, was ich fürchte das sind die Träumer mit magerem Leibe und bleichem Gesichte.«
»Derjenige, welchen Sie mir zeigen, entspricht den von Cäsar gestellten Bedingungen.«
»Kennen Sie ihn denn nicht?« fragte Cagliostro.
»Doch!« erwiederte Gilbert, indem er ihn aufmerksam anschaute, »ich kenne ihn oder ich erkenne vielmehr in ihm ein Mitglied der Nationalversammlung.«
»So ist es!«
»Einer der weitschweifigsten Redner der Linken.«
»So ist es!«
»Den Niemand anhört, wenn er spricht.«
»So ist es!«
»Ein kleiner Advocat von Arras, nicht wahr? er heißt Maximilian von Robespierre.«
»Ganz richtig! Nun wohl, schauen Sie diesen Kopf mit Aufmerksamkeit an.«
»Ich schaue ihn an.«
»Was sehen Sie daran?«
»Graf, ich bin nicht Lavater.«
»Nein, doch Sie sind sein Schüler.«
»Ich sehe den gehässigen Ausdruck der Mittelmäßigkeit gegen das Genie.«
»Das heißt, Sie beurtheilen ihn auch wie die ganze Welt. Ja, es ist wahr, seine schwache, ein wenig herbe Stimme, sein mageres, trauriges Gesicht, die Haut seiner Stirne, welche an seinen Schädel wie ein gelbes unbewegliches Pergament geklebt zu sein scheint; sein glasiges Auge, das nur zuweilen einen grünlichen Flammenstrahl hervorspringen läßt, welcher sogleich wieder erlischt; diese beständige Spannung der Muskeln; diese gerade durch ihre Unbeweglichkeit ermüdende Physiognomie; dieser unveränderlich olivenfarbige Rock, ein einziger, dürrer, scharfgebürsteter Rock; ja, Alles dies, ich begreife es wohl, muß wenig Eindruck aus eine an Rednern reiche Versammlung machen, die das Recht hat, schwierig zu sein, gewohnt, wie sie es ist, an das Löwengesicht von Mirabeau, an die verwegene Anmaßung von Barnave, an die scharfe Gegenrede des Abbé Maury, an die Wärme von Cazalès und an die Logik von Sieyès; diesem aber wird man nicht, wie Mirabeau, seine Immoralität vorwerfen; dieser ist der redliche Mann; er geht nie aus den Principien heraus, und geht er je aus der Gesetzlichkeit heraus, so wird es geschehen, um den alten Text mit dem neuen Gesetze zu tödten!«
»Aber wer ist denn dieser Robespierre?«
»Ah! da bist Du, Aristokrat des 17. Jahrhunderts! »»Wer ist denn dieser Cromwell?«« fragte der Graf von Strafford, dem der Protector den Kopf abschlagen sollte; »»ich glaube, ein Bierschenk.««
»Wollen Sie damit sagen, mein Kopf lause dieselbe Gefahr, wie der von Sir Thomas Wentworth?« fragte Gilbert, der ein Lächeln versuchte, welches sich auf seinen Lippen in Eis verwandelte.
»Wer weiß?« versetzte Cagliostro.
»Ein Grund mehr, daß ich mich erkundige,« sprach der Doctor.
»Wer dieser Robespierre ist? In ganz Frankreich weiß es vielleicht Niemand als ich. Ich liebe es, damit bekannt zu sein, woher die Auserwählten des Verhängnisses kommen; das hilft mir errathen, wohin sie gehen. Die Robespierre sind Irländer. Ihre Vorfahren gehörten vielleicht zu jenen irischen Colonien, welche im 16. Jahrhundert herüberkamen und die Seminarien und Klöster unserer nördlichen Küsten bevölkerten; dort werden sie von den Jesuiten die starke Widersprecher-Erziehung erhalten haben, die diese ihren Zöglingen gaben; sie waren Notare vom Vater auf den Sohn. Ein Zweig der Familie, der, von welchem dieser abstammt, ließ sich in Arras, einem, wie Sie wissen, großen Centrum des Adels und der Geistlichkeit, nieder. Es waren in der Stadt zwei Herren oder vielmehr zwei Könige: der Eine, der Abt von Saint-Wast; der Andere, der Bischof von Arras, dessen Palast die Hälfte der Stadt in den Schatten stellt. In dieser Stadt ist derjenige, welchen Sie dort sehen, im Jahre 1758 geboren. Was er als Kind gethan hat, was er als junger Mann gethan hat, was er in dickem Augenblicke thut, will ich Ihnen mit zwei Worten sagen; was er thun wird, habe ich Ihnen schon mit einem gesagt. Es waren vier Kinder im Hause. Der Chef der Familie verlor seine Frau; er war Advocat beim Rathe von Artois; nach dem Tode seiner Frau versank er in eine tiefe Traurigkeit; er hörte auf zu plaidiren, unternahm eine Zerstreuungsreise und kam nicht mehr zurück. Mit elf Jahren war der älteste Sohn, – dieser hier, – ebenfalls Familienhaupt, Vormund von einem Bruder und von zwei Schwestern; in diesem Allen begriff, seltsamer Weise, das Kind seine Aufgabe und machte sich sogleich zum Manne. In vier und zwanzig Stunden wurde er das, was er geblieben ist: ein Gesicht, was zuweilen lächelt, ein Herz, das nie lacht. Er war der beste Zögling vom Collegium. Man erhielt für ihn vom Abte von Saint-Wast eines von den Stipendien, über welche der Prälat beim Collége Louis-le-Grand verfügte. Er kam allein nach Paris, empfohlen an einen Domherrn von Notre-Dame; im Verlaufe des Jahres starb der Domherr. Beinahe zu gleicher Zeit starb in Arras seine jüngere Schwester, die er am meisten liebte. Der Schatten der Jesuiten, die man aus Frankreich vertrieben hatte, fiel noch auf die Mauern von Louis-le-Grand. Sie kennen das Gebäude, wo zu dieser Stunde Ihr Sebastian heranwächst; düster und tief wie die der Bastille, entfärben seine Höfe die frischesten Gesichter: das des jungen Robespierre war bleich, sie machten es leichenfarbig. Die anderen Kinder gingen zuweilen aus; für sie hatte das Jahr Sonntage und Feste; für den verwaisten, jeder Protection entbehrenden Stipendiaten waren alle Tage dieselben. Während die Anderen die Luft der Familie athmeten, athmete er die Lust der Einsamkeit, der Traurigkeit und der Langweile: drei schlimme Hauche, welche in den Herzen den Haß und den Neid entzünden und der Seele ihre Blüthe rauben. Dieser Hauch verschmächtigte den Knaben und machte einen faden jungen Mann aus ihm. Eines Tags wird man nicht glauben, daß es ein Portrait von Robespierre im Alter von vier und zwanzig Jahren gibt, wo er eine Rose in einer Hand hält und die andere an seine Brust drückt mit der Devise: »Alles für meine Freundin!«
Gilbert lächelte traurig, indem er Robespierre anschaute.
»Es ist wahr,« fuhr Cagliostro fort, »als er diese Devise nahm und sich so malen ließ, schwor diese Freundin, nichts auf der Welt werde ihr Schicksal trennen; er schwor auch, und zwar als ein Mann, der gesonnen ist, seinen Schwur zu halten. Er machte eine Reise von drei Monaten und fand sie verheirathet wieder. Der Abt von Saint-Wast war übrigens sein Gönner geblieben; er hatte seinem Bruder das Stipendium vom Collége Louis-le-Grand zukommen lassen und ihm die Stelle eines Richters beim Criminaltribunal gegeben. Es kam ein Prozeß zur gerichtlichen Entscheidung, ein Mörder war zu bestrafen; Robespierre, voller Gewissensbisse, daß er, selboritte, es gewagt, über das Leben eines Menschen zu verfügen, obgleich dieser Mensch als schuldig erkannt war, Robespierre nahm seine Entlassung. Er wurde Advocat, denn er mußte leben und seine junge Schwester ernähren; der Bruder wurde schlecht genährt im Collége Louis-le-Grand, aber er war doch am Ende genährt. Kaum hatte er sich in die Liste einschreiben lassen, als ihn Bauern baten, für sie gegen den Bischof von Arras zu plaidiren. Die Bauern waren in ihrem Rechte; Robespierre überzeugte sich hiervon durch die Prüfung der Acten,