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zwei Mal anzusehen, um es zu erkennen.
Es war ein ungeheurer Wolf!
Ach! wenn ich meine Flinte, oder meinen Karabiner, oder auch nur meinen Feuerstahl und Feuerstein gehabt hätte! Aber ich hatte kein Pistole, kein Messer, nicht einmal ein Federmesser.
Glücklicherweise kannte ich, da ich schon im fünfzehnten Jahre seit fünf Jahren Jäger war, die Art des nächtlichen Herumschweifers, mit dem ich zu tun hatte; ich wußte, daß ich, so lange ich mich aufrecht halten und nicht fliehen würde. Nichts zu fürchten hatte. Aber siehe, liebes Kind, der Berg war mit Löchern ganz bedeckt, ich konnte in ein solches Loch fallen, dann wäre der Wolf mit einem Sprung auf mir gewesen und wir hätten sehen müssen, wer von uns beiden bessere Nägel und Zähne gehabt hätte.
Mein Herz klopfte stark; ich fing an zu singen, ich habe aber immer gräulich falsch gesungen; ein nur etwas musikalischer Wolf hätte Reißaus genommen; der Meinige war es durchaus nicht; die Musik schien ihm vielmehr zu gefallen; er machte die zweite Stimme mit klagendem und hungrigem Heulen. Ich schwieg und ging still weiter, den Verdammten ähnlich, denen Satan den Hals umgedreht hat und denen Dante in der dritten Höllenregion begegnet, wie sie vorwärts gingen und rückwärts sahen.
Aber ich bemerkte bald, daß ich eine große Dummheit beging; weil ich nach den Wolf hin sah, sah ich nicht auf meine Füße und stolperte; der Wolf nahm einen Anlauf.
Glücklicherweise fiel ich nicht ganz, aber der Wolf war mir zehn Schritte näher gekommen. Einige Sekunden lang konnte ich mich fast nicht mehr auf den Beinen halten, trotz einer Kälte von achtzehn Grad rann der Schweiß von meiner Stirn. Ich blieb stehen; der Wolf gleichfalls.
Ich brauchte fünf Minuten, um mich wieder etwas zu erholen; diese fünf Minuten schienen meinem Reisegefährten lang zu werden; er setzte sich auf seinen Hintern und stieß ein noch hungrigeres und kläglicheres Heulen aus als das erste war.
Bei diesem Heulen schauderte ich bis in das Mark.
Ich ging weiter, indem ich von nun an auf meine Füße sah und jedes mal stehen blieb, wenn ich sehen wollte, ob der Wolf mir noch immer folge, näher käme, oder zurück bliebe.
Als ich wieder anfing zu gehen, fing auch der Wolf wieder an; er blieb stehen, wenn ich stehen blieb, ging weiter, weim ich weiter ging, aber immer in derselben Entfernung; ja er näherte sich sogar mehr, als er sich entfernte.
Nach einer Viertelstunde war er nur noch fünf Schritte von nur entfernt.
Ich näherte mich dem Parke, d. h. ich war jetzt kaum eine halbe Stunde von Villers-Cotterets entfernt; aber hier war der Weg von einem breiten Graben unterbrochen, – dem berühmten Graben, bei dem ich, als ich ihn übersprang, um der schönen Laurentia eine Idee von meiner Beweglichkeit zu geben, unglücklicherweise die Nankinbeinkleider zerplatzte, in denen ich zum ersten Male zur Kommunion gegangen war; erinnerst Du Dich? – Diesen Graben hätte ich ganz gut übersprungen und gewiß mit mehr Behändigkeit noch, als an dem fraglichen Tage, aber zu dem Sprunge mußte ich einen Anlauf nehmen und ich wußte, daß der Wolf auf meiner Schulter sein würde, bevor ich den vierten Theil gelaufen hätte.
Ich mußte also einen Umweg machen und durch ein Drehkreuz gehen. Das wäre Alles ganz leicht gewesen, wenn das Drehkreuz nicht in dem Schatten der großen Bäume des Parks gelegen hätte. Was konnte in diesem Schatten geschehen?! Konnte die Dunkelheit nicht ganz anders auf den Wolf einwirken, als auf mich? Sie er« schreckte mich; konnte sie ihn nicht kühn machen? Je dichter die Finsternis ist, desto heller sieht da der Wolf.
Aber ich durfte nicht zögern; ich wagte mich in die Dunkelheit; ich übertreibe nicht, wenn ich sage, daß jedes von meinen Haaren einen Tropfen Schweiß trug, daß jeder Faden meines Hemdes naß war. Als ich durch das Drehkreuz ging, warf ich einen Blick hinter mich. Die Dunkelheit war so groß, daß die Gestalt des Wolfes nicht mehr zu erkennen war; man sah nur in der Finsternis zwei glühende Kohlen.
Nachdem ich hindurch war, drehte ich schnell das bewegliche Querholz um; das Geräusch dabei erschreckte den Wolf, und er blieb eine Sekunde stehen, aber fast in demselben Augenblicke sprang er so behend über das Kreuz, daß ich den Schnee unter seinen Tatzen nicht knirschen hörte. Er befand sich wieder in derselben Entfernung von mir.
Ich ging schnell wieder in die Mitte des Weges, befand mich wieder im Hellen, und sah, nicht mehr blos die beiden schrecklichen Augen, welche feurig im Dunkel glühten, sondern auch den ganzen Wolf.
Je mehr ich mich der Stadt näherte und sein Instinkt ihm sagte, daß ich ihm bald entgangen sein würde, desto mehr näherte er sich mir. Obgleich er aber höchstens nur noch drei Schritte von mir entfernt war, hörte ich doch weder seinen Gang, noch seinen Atem. Man hätte ihn für ein Geschöpf meiner Phantasie, für das Gespenst eines Wolfes halten können.
Nichts desto weniger ging ich immer weiter; ich durchschritt den Ballspielplatz; und kam zu jenem Teil, der Parterre heißt, einem weiten, offenen und ebenen Grasplatz, wo ich keine Löcher mehr zu fürchten hatte.
Der Wolf war mir so nahe, daß er, wenn ich plötzlich stehen geblieben wäre, mit seiner Nase auf meine Kniekehle hätte stoßen müssen. Ich hatte Lust, mit dem Fuße auszuschlagen, oder die Hände in einander zu schlagen und dabei irgend einen derben Fluch auszustoßen; aber ich wagte es nicht; wenn ich es gewagt hätte, wäre er zweifelsohne entflohen oder hätte sich wenigstens für einen Augenblick entfernt.
Ich brauchte zehn Minuten, um über den Grasplatz zu gehen, und kam an das Ende der Schloßmauer.
Da blieb der Wolf stehen; wir waren kaum hundertfünfzig Schritt von der Stadt entfernt.
Ich ging durchaus nicht schneller weiter; er setzte sich, wie früher, und sah zu. wie ich mich entfernte.
Als ich etwa hundert Schritte von ihm entfernt war, heulte er hungriger und kläglicher, als die beiden früheren Male. Die fünfzig Jagdhunde des Herzogs von Bourbon antworteten mit einstimmigem Bellen.
Dieses Heulen.war der Ausdruck seines Bedauerns, nicht etwas von meinem Fleisch fressen zu können, diese Hoffnung mußte er durchaus aufgeben.
Ich weiß nicht, ob er dort, wo er stehen geblieben war, die Nacht zubrachte, denn kaum fühlte ich mich sicher, als ich im schnellsten Laufe weiter eilte und bleich und fast todt in den Laden meiner Mutter kam.
Du hast meine arme Mutter nicht gekannt, sonst brauchte ich Dir nicht zu sagen, daß sie bei der Erzählung eine ganz andere Furcht empfand, als ich bei der Sache selbst.
Sie kleidete mich aus, ließ mich ein andres Hemd anziehen, wärmte mir mein Bett und brachte mich hinein, wie sie es zehn Jahre vorher getan hatte, dann brachte sie mir ein Glas Glühwein an das Bett, der nur in den Kopf stieg, und mein Bedauern verdoppelte, eine Tat, wie ich sie auf dem ganzen Wege im Kopfe gehabt hatte, nicht versucht zu haben, um mich meines Feindes zu entledigen.
Jetzt, liebes Kind, erlaube, daß ich als kluger Erzähler bei diesem Ereignisse abbreche; ich könnte Dir doch nichts Rührenderes erzählen. Außerdem ist diese Vorrede lang, und sogar länger geworden, als sie es sein sollte. Wähle aus allen den Geschichten, die ich Dir zehn Mal erzählt habe, diejenige aus, die ich dem Publikum erzählen soll. Aber wähle gut; denn, wenn Du schlicht gewählt hast, wird man nicht allein mich, sondern auch Dich, wegen der Langweiligkeit tadeln.
»Nun wohl, Vater, erzähle uns die Geschichte von Katharine Blum.«
»Diese wünschest Du vorzüglich?«
»Ja, sie gehört zu denen, die mir vorzugsweise gefallen.«
»Nun, weil Du sie so sehr liebst, mag es sein.«
Hören Sie also, meine lieben Leser, die Geschichte von Katharine Blum. Das Kind, dem ich Nichts abschlagen kann, das Kind mit den blauen Augen, will es, daß ich sie Euch erzähle!
Brüssel, den 2. September 1853.
Alexander Dumas.
Zweites Kapitel
Das neue Haus am Wege nach Seiffons
Gerade in der Mitte des Raumes, zwischen dem nördlichen und östlichen Theile des Waldes von Villers-Cotterets, den wir bei unsrer Übersicht vermessen haben, da wir im Schlosse