Dore Brandt. Alice Berend

Dore Brandt - Alice Berend


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sie heut zum Nachtmahl zu ihm käme!« »Ach, Unsinn«, rief Kinkel. »Gollberg ist zu viel berechnend, um sich von irgendeiner Leidenschaft beeinflussen zu lassen.«

      »Eine Frechheit, eine Unverschämtheit ist diese Kritik von dem kleinen Judenbengel«, stieß der semmelblonde Werner, der neben Kinkel saß, hinter seiner Zeitung hervor. »Wasserblonde Auffassung«, schreibt er. »Solch' Stumpfsinn, Jud' muß man sein, wenn man heut beim Theater Glück haben soll. Alles Cliquenwirtschaft«, und er warf die Zeitung weit von sich. »Ist Gollberg eigentlich Jude«, fragte jemand am Tische.

      »Na ob.«

      »Dafür schaut er blond aus und is a sakrisch tüchtiger Kerl, daß muß man ihm lassen«, sagte Grete Hollwitz wichtig.

      »Der Löwe ist gelb und großmütig. Sie haben eine wunderbare Art, sich auszudrücken, teure Hollwitz«, rief Ingler, während er behäbig fünf Stück Zucker nacheinander in eine kleine Tasse Mokka plumpsen ließ.

      »Pfui Teufel«, rief Werner, der ihm verärgert zusah. »So viel Zucker.«

      »Tät Ihnen heute gut, Sie Gallapfel«, sagte Ingler gemütlich und rührte mit dem Löffel den Zucker um.

      »Werner, ärgern Sie sich noch immer, daß Sie kein Jude sind?« rief Dore lachend. »Trösten Sie sich mit mir.«

      »Lassen Sie sich taufen«, sagte Ingler zwischen den kleinen Schlucken, in denen er mit Behagen seinen Mokka trank. »Is mal was anders. Das Umgekehrte kommt häufiger vor, was, Kinkel?« Ingler grinste boshaft.

      Kinkel, aus Galizien stammend, war vor Jahren zum Katholizismus übergetreten und liebte es nicht, an seine Herkunft erinnert zu werden. Im Gegenteil machte er gern kleine maliziös-antisemitische Bemerkungen.

      Mit langen Schritten nahte sich jetzt der skelettartig magere Lyriker Haller, den großen »Bismarckhut« schief auf das wirre, strähnige Haar gedrückt, dem Tische.

      »Mit Schrecken seh' ich den von weitem«, zitierte Liebrecht und erhob sich eilig. »Hollah, Franzel, meine Zeche zahlt der Herr Kinkel«, rief er dem herbeistürzenden Zahlkellner zu, stülpte den schmutzig grauen Filz auf den schwarzen Haarbusch und verschwand.

      »Dös nenn ich gescheidt«, wienerte die Hollwitz. »So muß man's machen.«

      »Ach,« sagte Kinkel, »wenn er mich nur im Wachen anpumpt, bin ich schon zufrieden. Aber denken Sie, meine Herrschaften, was mir passiert ist. Als ich gestern früh erwache und die Augen aufschlage, denke ich, ein Wahnbild narrt mich. Liebrecht sitzt auf meines Bettes Rand, natürlich schließe ich sie sofort wieder. Nach einer Weile blinzle ich mutig: Liebrecht sitzt auf meines Bettes Rand und nun höre ich, ist es kein Traum, denn jetzt sagt er: ›Pumpen Sie mir fix zehn Mark, Kinkel, ich habe eine reizende Kleine zu einem Ausflug nach dem Treptower Park eingeladen. Aber rasch, Mensch, denn um 8 Uhr muß ich schon auf der Jannowitzbrücke sein.‹«

      »Sehen Sie, so etwas passiert nur einem, der eine Ministergage hat«, rief, nachdem sich das Lachen gelegt hatte, Haller herüber, der mit seinen mageren Händen hastig einen Stoß Wochenschriften durchblätterte, um zu erfahren, ob etwas von seinen Produktionen erschienen sei. Er hatte stets vierzig Briefe unterwegs, die, Manuskripte im Bauch, den Weg zu Redaktionen und Druckerpressen suchten.

      »Sie fliegen aus, sie fliegen ein«, pflegte Ingler von ihnen zu sagen.

      Hans Jäger sprach unaufhörlich zu Dore, die mehr den Scherzen am Tische zuhörte als ihm.

      Kinkel, die Hollwitz, Werner waren gegangen, andere gekommen. Franz'l flog mit Tabletts und Zeitungen her und hin. Er wußte von jedem, welche geistige und leibliche Nahrung er einzunehmen wünschte.

      »Sagen Sie mal, Aristokratin, Sie sprechen wohl nur noch gegen Entree seit Ihrem Elvstedt-Erfolg«, rief Ingler zu Dore herüber.

      »Der Jäger läßt mich ja nicht los«, rief Dore zurück, drehte sich von Hans Jäger fort und blickte mit munterem Blick über die Tische hinweg. Da erstarrte ihr Lachen. Sie spürte einen feinen Schmerz am Herzen. Dort drüben am Tische saß er, mit dem sie am Hafen von Allinge die wenigen Worte über Heimat gewechselt hatte. Er sah sie mit langen Blicken an und verneigte sich ein wenig.

      »Wissen Sie nicht, in welchem Alter Lenau wahnsinnig geworden ist?« fragte Haller, eifrig in seinem Notizbuch schreibend.

      »Haben Sie vielleicht ähnliche Gefühle?« rief Ingler herüber.

      Hans Jäger aber begann ausführlich über Lenau zu dozieren.

      Dore griff nach einem Journal und blickte hinein. Ihr Blick flog über die Zeilen, aber sie las nicht. Durch das Geschwirr der Stimmen glaubte sie das Meer rauschen zu hören. »Kennen Sie den großen, blonden Seemann da drüben am Tisch?« fragte sie nach einer Weile Jäger, während sie eifrig ein Bild in der Zeitschrift betrachtete.

      »Den da drüben? Das ist ja Bergmann«, rief Jäger erfreut aus. »Entschuldigen Sie mich einen Augenblick«, und er lief mit freudigen Schritten an den Tisch dort hinüber.

      Einige Minuten später kam er mit Bergmann zurück, der sich vor Dore verbeugte und seinen Namen nannte.

      »Ich habe einige Meeresgrüße zu bestellen, gnädiges Fräulein«, sagte er in einer sicheren, gleichmäßigen Weise sprechend, die ganz mit seiner großen, vornehm wirkenden Gestalt zusammenpaßte. Tadellos gekleidet, niemals den saloppen Schauspielerjargon gebrauchend, wirkte er mit seinem dünnen blonden Haar, dem glattrasierten Gesicht und den schlanken wohlgepflegten Händen eher wie ein Amerikaner, als wie ein Berliner Schauspieler.

      »Daß Sie der Bergmann sind,« lachte Dore, »das hätte ich auch nie erraten. Eher witterte ich einen Vanderbilt in Ihnen.«

      »O je! Ein Vanderbilt in Schulden vielleicht, meine Gnädigste. Also Berlin war die Stadt, von der Sie sprachen, dort unten am Hafen von Allinge?«

      Dore schwieg.

      »Dort auf den Steinen am Hafen machten Sie sich entschieden besser, als hier in Tabaksqualm und Kaffeeduft«, sagte Bergmann nach einiger Zeit, während er langsam eine Zigarette in Brand setzte.

      »Ja, Verehrtester, da ich aber in einer Stunde zehn Schritte von hier Komödie spielen soll, kann ich unmöglich jetzt auf einer Bornholmer Hafenmauer sitzen«, scherzte Dore.

      »Nein, da müssen Sie natürlich und unbedingt im Café sitzen und sich von jedem Flaps den Rauch ins Gesicht blasen lassen. Besonders seit Sie so eine halbe Berühmtheit geworden.«

      »Möchten Sie bei solchem Wetter hoch oben in einem kleinen möblierten Zimmer sitzen?«

      »Warum nicht?« Er blickte Dore ins Gesicht.

      »Finden Sie es so schlimm, hier mit klugen, heiteren Menschen zu plaudern?«

      »Klugen, heiteren Menschen? Egoistische Neidhammel würde ich sagen. Schlimm find' ich es nicht, aber unschön. Die Frau, die ich liebte, dürfte nicht hier sitzen.« Bergmann suchte bei diesen Worten gleichmütig in den Zeitungen, welche auf dem Tisch lagen.

      »Übrigens las ich zufällig die Kritik von Fritz Schmidt über Sie. Schmidts Kritiken sind die einzigen, die ich lese. Ich hatte beinahe Lust, mir diese Elvstedt anzusehen. Ohne daß ich ahnte, daß jene Dore Brandt meine Hafendame ist.«

      »Dann kommen Sie doch einmal hinein, wenn ich spiele.« Dores Stimme klang hell und froh. Ihre Augen strahlten, die zarten Wangen waren leicht gerötet, und eine kleine, krause Strähne ihres schönen Haares hing in die Stirn hinein.

      Bergmann sah sie lächelnd an. Dore schlug die Augen nieder und wiederholte unsicher, was sie eben gesagt hatte.

      »Ja, vielleicht«, sagte Bergmann, indem er sich lässig erhob. »Wenn man so ziemlich jeden Abend selber den Harlequin macht, meidet man an den wenigen freien Abenden gern jede Art von Kunststätte. Aber möglich ist alles.«

      Er verbeugte sich formell vor Dore, drückte einen leichten Kuß auf ihre Hand, rief den Kellner, zahlte, ließ sich in den Überzieher helfen und ging langsam durch den großen, stimmenerfüllten Raum zur Türe. Die eben geführte Unterhaltung schien lange vergessen zu sein.

      »Aber ich muß nun auch fort«, sagte Dore und verließ ihren Platz. Sie wehrte Hans Jägers


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