Dore Brandt. Alice Berend

Dore Brandt - Alice Berend


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drinnen. Langsamen Schrittes ging sie in dem feinen Sprühregen dem Theater zu.

* * *

      Tag für Tag rieselte der feine Regen in kalten, peinigenden Tropfen hernieder. Wie eine große Wolke Mißmut lag der Himmel über der brausenden Stadt. Man sah aus dem rastlos brodelnden Dampfkessel der Arbeit finster nach oben. Wenn das so weiter geht, ist das Weihnachtsgeschäft verdorben, dachten die Leute.

      Den Theaterdirektoren war dieses Wetter willkommen. Wie nasse Pudel, die einen Unterschlupf suchten, kamen die Menschen in Scharen herbeigeströmt, sobald die elektrischen Lampen über den Eingängen aufflammten.

      Das glattrasierte Patergesicht Gollbergs glänzte, als habe er eben ein Fläschchen köstlich süffigen Weines geleert. Er hatte den Kassenrapport erstattet bekommen und mit dem raschen Schritt der Freude eilte er über die dicken Teppiche des Foyerganges seinem Privatbureau zu. Von der Bühne drangen gedämpfte Worte heraus, der erste Akt mußte bald zu Ende sein.

      Er sah nach der Uhr, um neun Uhr wollte er bei Borchardt sein, um Käte Anker zu treffen. Er wußte selbst nicht, wie es gekommen war, daß sich dieses Verhältnis so fest geschmiedet hatte. Die Zeit, daß er bei Käte Ankers Anblick erbebte, war lange vorüber. Aber er liebte keine großen einschneidenden Veränderungen im Leben, ihm gab gerade die Gewohnheit Kraft zur Arbeit.

      Wenige Schritte vor der Tür seines Privatzimmers bemerkte er Dore Brandt, die im zweiten Akt aufzutreten hatte und darum jetzt erst kam. Im dunkelblauen Jacketkleid, schlank und leicht kam sie die Treppe empor, ernst vor sich hinblickend.

      »Sie ist doch ganz entzückend«, dachte Direktor Gollberg in seiner frohen Laune und blieb stehen.

      »Nun, kleine Brandt, so ernsthaft?«

      Dore fuhr zusammen.

      »Guten Abend, Herr Direktor«, sagte sie dann, den feinen Kopf ein wenig verlegen neigend.

      »Ich erwarte jetzt Werkenthin, um Hebbels Maria Magdalene zu besprechen. Wie wär's, wenn wir Sie die Klara versuchen ließen?« Er faßte Dore leicht unters Kinn und sah ihr lächelnd in die Augen, die ihm in unfaßbarem Glück entgegenleuchteten.

      »Na wollen sehen«, fügte Gollberg hinzu, indem er in der Tür seines Zimmers verschwand.

      Daß der Direktor seinen plötzlichen Einfall nicht geändert hatte, erfuhr Dore schon am nächsten Tage, als man ihr die Rolle der Klara ins Haus brachte. Gerade, als sie sich anschickte, in das Café Metropol zu fahren, das sie jetzt jeden Nachmittag aufsuchte.

      Sie legte voll stiller Freude das umfangreiche Rollenheft auf den Tisch, und gefeit gegen Wind und Regen wanderte sie unter den entlaubten Bäumen des Tiergartens den langen Weg zur Stadt hinein. Sie ging als Klara. Dreimal hatte sie seit gestern Abend dieses Werk Friedrich Hebbels gelesen. Eigentlich nichts anderes seitdem getan und gedacht. Ein starkes Glücksgefühl durchschwellte sie.

      Als sie vor der Tür des Cafés stand, hatte sie eigentlich gar nicht mehr den Wunsch, hineinzugehen. Aber nach einigem Zögern schritt sie doch durch die Tür und auf den ersten Blick sah sie, daß Bergmann heute da war. Das erste Mal wieder, nachdem sie vor bald einer Woche miteinander gesprochen hatten.

      »Da kommt ja Käte Anker Nachfolger«, sagte die Hollwitz, die heute hellblau erschienen war, mit spitzer Stimme. Trotzdem die Rolle, die Dore zuerteilt war, gar nicht ihr Fach betraf, beneidete sie Dore brennend.

      »Gratuliere,« rief Bergmann, als Dore an den Tisch trat, »man hat eine große Rolle bekommen, nicht wahr?«

      »Ja, aber woher wissen Sie?« . . .

      »Ach, Fräulein Hollwitz deutete es eben an«, sagte Bergmann ruhig, worauf ein allgemeines Gelächter ausbrach.

      Dore war verwirrt. Es rauschte in ihren Ohren, sie hatte Bergmanns Stimme gehört, ohne die Worte zu erfassen.

      Man lachte noch immer und sprach durcheinander.

      »Bin ich das Karnickel, das herhalten muß«, sagte sie lächelnd, als sie auf ihrem gewohnten Platz saß und die Befangenheit sich verlor.

      »Wo haben Sie denn gestern Abendbrot gespeist, Brandt?« rief die Larsen, die ihre überschlanke Burne-Jones-Gestalt mit einem glatten Stück schwarzen Taffet umhüllt hatte, das nicht einmal mit dem reformiertesten Reformkleid mehr etwas gemeinsam hatte und höchstens mit einem Schirmbezug vergleichbar war. Dazu trug sie auf dem blondgescheitelten Haar einen großen roten Hut mit grünen Weintrauben.

      »Ich will Sie nur zu der neuen Rolle beglückwünschen«, fügte sie den Lärm durchkreischend hinzu, denn sie glaubte, nicht deutlich gewesen zu sein.

      Die Hollwitz quiekte vor Vergnügen.

      »Sie wissen ja, daß ich Gollbergs Schülerin war, ehe er Direktor wurde. Vielleicht hat er daher Interesse für mich«, sagte Dore ruhig zu der neben ihr sitzenden Hollwitz.

      »Schülerin is jut«, rief die Larsen, die mit der Hand am Ohr Dores Worten gelauscht hatte.

      »Zankt Euch in Eurer Garderobe, Weibsvolk«, brummte Ingler, der ganz in eine Kritik über seinen Falstaff vertieft war.

      »Sehen Sie,« sagte Bergmann leise, »das kommt davon. In dem kleinen möblierten Zimmer, hoch oben, würden Sie so etwas nicht zu hören bekommen.« Er sah Dore herzlich in die Augen.

      Dore schwieg. Sie fühlte sich erniedrigt und kämpfte stark mit Tränen. Am Tisch drehte sich das Gespräch schon längst um anderes. Nur die Larsen sah noch giftig zu Dore herüber.

      »Da werden Weiber zu Hyänen«, zitierte etwas verspätet Haller, der mit weit über die mageren, gelblichen Hände gerutschten Manschetten weiße Papierstreifen mit Versen füllte.

      »Mensch, dichten Sie doch nicht in einem fort. Es kann einem ja übel werden«, warf Köhler, der Dramaturg, hinter einem großen Zeitungsblatt dazwischen. Er war, wie Ingler feststellte, jetzt bei der siebzehnten Zeitung angelangt. Boshafte Leute sagten von ihm, daß seine Haupttätigkeit darin bestand, Zeitungen aus aller Welt nach Berichten über das Theater, dem er angehörte, zu durchsuchen.

      »Na, Köhler, wie wär's mit einem Tarok? Gerad' ein Stündchen hätt' ich noch Zeit«, rief Ingler herüber. »Oder müssen Sie sehen, ob in Hongkong einer über unseren Direktor schimpft, Sie Papierratte?«

      »Haben wir denn einen Dritten?« Köhler fuhr aus seiner Zeitung hervor.

      »Ja, ja, nur los.« Und beide begaben sich in das Spielzimmer.

      Dore und Bergmann blieben allein am Ende des Tisches.

      »Spielen Sie heute Abend?« fragte Bergmann.

      »Nein, heute nicht.«

      »Würde es Ihnen Spaß machen, in das Theater zu kommen und mich als Hjalmar Ekdal zu sehen?« Bergmann sprach ruhig und gleichgültig. Dore aber war dunkel errötet.

      »Sehr gern«, sagte sie hastig und bereute im selben Augenblick ihre ungeschickte Schnelligkeit. »Ich wollte heute allerdings mit dem Studium der Klara beginnen«, fügte sie hinzu.

      »Ganz wie Sie wollen«, sagte Bergmann liebenswürdig und erhob sich. »Ich muß jetzt gehen. Wenn Sie kommen wollen, lasse ich ein Billet für Sie an der Kasse zurücklegen?«

      »Ja, dann bitte ich darum«, sagte Dore leise.

      »Das ist nett. Sie können noch gut eine halbe Stunde hier sitzen.« Bergmann drückte ihr herzlich die Hand, warf bei dem Mantelüberziehen noch ein Scherzwort zu Grete Hollwitz herüber und ging.

      Auch die Larsen und Grete Hollwitz erhoben sich bald darauf. Die Larsen spielte heute und Grete Hollwitz wollte mit ihrem Fritz in das ›Trianon‹ gehen.

      Dore saß still versonnen da und wartete, daß die Zeiger der gegenüberliegenden Uhr vorrückten.

      Als Dore aus dem Café trat, war der Regen versiegt, ein kühler Wind versuchte, die Straßen zu trocknen, und die Leute gingen, die Köpfe endlich wieder unbeschirmt in die frische Luft erhoben, mit raschen Schritten.

      »Wie ist man vom Wetter abhängig«, dachte Dore und schob auch ihre frohe Stimmung dem frischen Winde zu, der droben an dem abendlichen Himmel die Wolken zerteilen half. –

      Und


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