Dore Brandt. Alice Berend
die großen, zwischen den Hinauseilenden schwerfällig sich auf und zu bewegenden Glastüren drang frische Winterluft herein, und als Dore in das Freie gelangte, sah sie über dem hellen trockenen Pflaster der Straße die Sterne blinken und sich im kalten Wasser der Spree spiegeln. Der frische Wind war eisig geworden, der erste Frost war da.
»Hab' ich Sie also doch erwischt?« Hinter einer der Säulen, welche den Eingang des Theaters umfaßten, trat Bergmann mit schnellen Schritten hervor. Seine Stimme hatte im Unterschiede zu sonst einen lebhaften Klang. Gang und Sprache waren hastig. Sein ganzes Wesen glühte und zitterte noch von dem eben beendeten Spiel.
»Nun, was sagen Sie zu dem Weihnachtswetter«, sagte er froh und zog seinen Arm durch Dores Arm, als wäre dies ganz etwas Selbstverständliches.
»Ich bin froh, wieder die Sterne zu sehen«, antwortete Dore und versuchte, ihrer Stimme einen muntern Klang zu geben. Das Herz klopfte ihr bis zum Halse.
Arm in Arm gingen sie schweigend weiter den dunklen Weg am Spreeufer entlang. Vor ihnen, immer näher rückend, lag wie eine große erleuchtete Butterglocke der Friedrichstraßen-Bahnhof, und Gebrause und Getöse drang dumpf von dort herüber. Um sie herum war es still. Nur das dunkle Wasser der Spree gluckste und platschte.
»Sie überlegen doch nicht etwa, wie Sie mir auf geschickte Weise ein Kompliment beibringen können«, unterbrach Bergmann das Schweigen.
Dore lachte. »Ich glaube, ich dachte an gar nichts« sagte sie. »Aber es scheint mir, daß Sie darauf warten?« Sie sah lächelnd zu ihm auf.
Sie reichte Bergmann gerade bis zu den Schultern und nahm sich neben seiner breiten Gestalt doppelt schlank und zierlich aus.
»O, nein, nein«, rief Bergmann sich zu ihr niederbeugend. »Aber ich werde Ihnen jetzt ein solches machen. Ich habe Sie neulich als Elvstedt gesehen. Alle Hochachtung. Ich erwarte viel von ihrer Klara.«
»Wirklich?« Dora sah glücklich zu ihm auf.
»Allerdings haben Sie auch ganz das irritierende Haar, das diese kleine Elvstedt braucht.« Bergmann versuchte eine der Locken zu haschen, die der Wind hervorgezaust hatte und an seine Schulter wehte.
Sie kamen langsam dem Bahnhof näher.
»Sehen Sie«, sagte Bergmann, »jetzt hören die Sterne auf, und die Bogenlampen beginnen.« Er deutete auf den hellen Lichtschein, der über der Friedrichstadt lagerte und die Sterne unsichtbar machte. »Ganz als wüßte der Himmel, daß alles, was da unten nach Nachtvergnügen giert, doch nicht hinaufschaut, ob seine Kerzen brennen.«
Jetzt standen sie an der Treppe zum Bahnhof, die Züge brausten über ihren Köpfen.
»Ich habe noch eine Verabredung in der Stadt«, sagte Bergmann hastig nach kurzem Zögern. »Entschuldigen Sie daher, wenn ich Sie nicht weiter begleite, gnädiges Fräulein.«
»Ich danke Ihnen für den Abend«, erwiderte Dore leise und legte ihre Hand in seine.
Er hielt sie fest. »Ich hätte gern gehört, was sie über meinen Hjalmar denken, darf ich Sie einmal zu einem Spaziergang abholen?«
»Gewiß. Aber wann? Ich habe an allen Vormittagen Probe.«
»Wie wär's, wenn wir gleich den morgigen Sonntag benutzten, um irgendwo draußen den jungen Winter zu begrüßen?«
Dore nickte stumm. Von seiner Hand, die noch immer die ihre umschlossen hielt, ging eine Wärme aus, die ihren ganzen Körper zu überfluten schien.
Ganz verwirrt eilte sie einige Minuten später die Stufen zum Bahnhof hinauf. Sie wußte von dem, was nun gesprochen worden war, nur, daß Bergmann sie morgen treffen wollte. –
Noch lange stand Dore diesen Abend an dem Fenster ihres Zimmers, ließ sich den kalten Wind um die Stirne streichen, sah die Sterne und weiter dort über der Spree den hellen Lichtschein der Stadt.
Als sie schlafen gegangen war, flatterte die Wildente, die nicht mehr das Meer finden konnte, durch ihre wirren Träume.
In einem dunstigen Caféhaus saß Bergmann an einem klebrigen Tisch, der von vergossenen Spirituosen tropfte, Schulter an Schulter mit Leuten, die er am Tage kaum grüßte. Die Karten flogen und klappten, nur heisere, unartikulierte Ausrufe unterbrachen hier und da die gespannte Stille. Bergmanns Gesicht war rot und aufgedunsen, sein Atem keuchte, sein Rock war über und über mit Zigarrenasche bestaubt, und seine Hände, die zitternd die beschmutzten Karten hielten, sahen breit und gewöhnlich aus, man konnte zweifeln, ob dies wirklich Ernst Bergmann war.
Erst als der klare, frostige Wintermorgen über den Dächern zu fahlen begann, schwankte Bergmann nach Hause, um sofort in schweren, traumlosen Schlaf zu sinken.
Als Bergmann am anderen Tage in der klaren Wintersonne, Dore erwartend, auf und ab schritt, schämte er sich wie immer der durchwüsteten Nacht. Es schien ihm unbegreiflich, warum er nicht, wie er beabsichtigt hatte, das liebe Mädchen bis zur Haustür begleitet hatte, statt die Nacht mit den Schmutzgesellen zu verbringen und neue Schulden auf die alten zu häufen. Diese wilde Spielwut war stärker als alles. Sie trieb ihn, Vergessenheit suchend, von einem Weibe zum andern, und doch vermochte auch die Liebe ihn niemals länger als einige Tage vom Spieltisch fernzuhalten. Sobald der erste Rausch vorbei war, siegte die Leidenschaft zu den Karten und trieb ihn fort. Immer wiederholte sich das Gleiche. Jeden Morgen war er sich selbst zum Ekel, schwor keine Karte mehr zu berühren, und jeden Abend fand er sich wieder in einem Wirtshauszimmer, die schmutzigen Karten in den gierigen Händen. Wenige kannte ihn von dieser Seite, die meisten konnten sich ihn wohl nicht anders denken, als wie er hier daherschritt, ruhig, gemessen, kein Stäubchen auf Hut und Rock. –
Inzwischen bemühte sich Dore ein wenig, wenigstens ein ganz klein wenig, zu spät zu kommen. So schwer es war. Denn eigentlich war Dore schon seit dem frühen Morgen fertig und zum Ausgehen gerüstet. Seit sie sich gleich nach dem Erwachen überzeugt hatte, daß die Sonne da war, hatte sie nichts anderes tun können, als sich auf den Spaziergang zu freuen. Zu arbeiten war ihr ganz unmöglich, und in süßer Ruhelosigkeit ging sie in dem kleinen Zimmer umher. Sie holte ein Buch hervor, blätterte gedankenlos darin und steckte es fort. Sie fädelte eine Nadel ein, nähte summend ein paar Stiche und ließ die Nadel sinken, sie ging an das Fenster, öffnete es, sog mit Behagen ein paar Züge der frischen Luft ein, fing ein paar Glockentöne auf und schloß es wieder, um wieder weiter ruhelos zwischen den engen vier Wänden umherzuwandern. Endlich schlug es elf. Wenn sie nun ging, kam sie gerade recht, das heißt, fünf bis zehn Minuten nach der verabredeten Zeit. Jetzt befiel sie eine fieberhafte Eile. Wenn sie den Zug versäumte und viel zu spät kam? Würde Bergmann warten?
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