Frau Dirne. Artur Landsberger

Frau Dirne - Artur Landsberger


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      Frau Dirne

      Erstes Kapitel

      Eine gute, aber anrüchige Gesellschaft

      Dieser Teetisch ist nicht zu überbieten,« flüsterte Frau Olga Herzog dem Grafen Scheeler zu, an dessen Arm sie den Salon der Frau Baronin von Waltner betrat.

      »Fabelhaft!« näselte der und klemmte sich das Monocle fester ins Auge.

      Frau Olga wandte sich um und rief – ihre Stimme war schrill und scharf –:

      »Werner, so komm' doch!«

      »Schlagt den Juden tot!« grellte die Stimme eines blaugelben Papageis, den Werner Herzog auf einer silbernen Stange trug.

      »Wie reizend, daß Sie das entzückende Tier mitgebracht haben!« sagte Frau von Waltner und warf dem blaugelben Papagei ein Petitfour aus Schokolade zu.

      Der kreischte, flatterte auf, fing und fraß. Die gelbe Creme, mit dem das Petitfour gefüllt war, glitt auf Werner Herzogs Cuttaway.

      Baronin von Waltner und Olga reichten sich die Hände.

      »Sie kennen meine Tochter und meinen Schwiegersohn?« fragte die Baronin und wies auf Heinz und Ina.

      Rittmeister Mertens küßte Frau Herzog die Hand und sagte:

      »Aber natürlich! Wir hatten ja im letzten Frühjahr das Vergnügen . . .«

      ». . . in Davos,« ergänzte Frau Olga. »Ihrer Frau Tochter verdanke ich die Bekanntschaft mit dem Grafen Scheeler.«

      »Ich habe zu danken,« sagte der; und Ina Mertens, die gut gewachsen, schlank und, obgleich im Verblühen und beinahe zehn Jahre älter als ihr Mann, noch immer hübsch und von eigenem Reiz war, tat, als könne sie sich nicht daran erinnern und sagte:

      »In diesem Sodom und Gomorrha lernt man so viele Menschen kennen . . .«

      »Aber Ina,« parierte Heinz, »erinnerst du dich denn nicht mehr, daß du von Frau Herzog sagtest, sie habe ihren Mann noch besser dressiert als ihren Papagei?«

      »Sei nicht so taktlos,« flüsterte Frau von Waltner ihrem Schwiegersohne zu. Ina berührte leise ihre Mutter und dachte: »so ist er immer;« warf ihrem Manne einen Blick zu, der ihn wie spitzige Nadeln traf, verzog den Mund und sagte lächelnd:

      »Daß du doch immer spaßen mußt, Heinz.«

      »Nun,« erwiderte Professor Reger, ein ansehnlicher und soignierter Mann in der Mitte der fünfziger Jahre, und wies auf Werner Herzog, der mit dem blaugelben Papagei auf der silbernen Stange, ratlos und servil und mit nicht gerade klugem Gesichtsausdrucke da stand – »die Hauptsache ist, daß diese Tätigkeit ihren Herrn Gemahl ausfüllt und befriedigt.«

      Frau Herzog, der man nachsagte, daß sie einst schön gewesen sei und in einer europäischen Hauptstadt ein großes Haus ausgemacht habe, empfand den Spott, lächelte und sagte:

      »Alles Gute, das man meinem Papagei erweist, erweist man mir. Und Sie werden nicht so unhöflich sein, zu bestreiten, daß selbst ein anspruchsvoller und kluger Mann darin seine Befriedigung finden kann.«

      Das Erscheinen der hübschen Frau Mira und ihres Gatten Doktor Rießer ersparte dem Professor eine Antwort.

      Frau Ina stellte vor und goß Tee ein; Schüsseln mit kleinen Kuchen, Torten und Sandwichs, silberne Schalen mit Früchten und Kompott gingen herum; ein Diener reichte Liköre und Heinz Mertens bot Zigarren, Zigaretten und Feuer an.

      Frau Ina saß neben dem Grafen.

      Als sie ihm mit der Gabel ein Sandvich mit Gänseleber reichte, zitterte ihre Hand. Er nahm das Brot von der Gabel und führte es, ohne es auf den Teller zu legen, in den Mund. Das geschah von ihm aus völlig unbewußt; sie aber empfand es wie eine zärtliche Berührung, hielt den Atem an und schloß für einen Augenblick die Augen. Tausend Jahre alt waren diese Scheelers!

      »Ich muß es Ihnen immer wieder sagen,« wandte sich Baronin Waltner an ihren Nachbarn, den Professor Reger, und lorgnettierte ihn mit Wohlgefallen, »wie sehr Sie mich in jeder Bewegung an den vorzüglichen Marquis d'Ormilly erinnern. Sie sollten doch einmal unter Ihren Ahnen nachforschen.«

      »Aber gnädigste Baronin,« erwiderte der Professor, »die Wiege meiner Vorfahren steht in Gleiwitz. Und wenn Sie mich französisch sprechen hörten, so würden Sie sich Antiphone in die Ohren stecken.«

      »In meinem Hause verkehrte früher ein Chevalier de Pontignan, der im dritten Gliede mit den d'Ormilly's verwandt war,« sagte Frau Olga.

      »Sie kennen ihn gewiß?« wandte sich Ina, deren Augen strahlten, an den Grafen Scheeler.

      »Im Stammbaum meiner Mutter kommt er irgendwo vor,« erwiderte der Graf gleichgültig, und Inas Augen strahlten noch heller.

      »Darf man wissen, für wen?« fragte Frau Mira und wies auf drei leere Sessel, die zwischen dem Teetisch und einer schmalen Anrichte standen. Der Tonfall, der lebhafte Blick und die ganze Haltung verrieten, daß es mehr als eine konventionelle Frage war.

      »Für Erdt-Brückner's,« erwiderte Frau Ina und freute sich, als sie Frau Miras enttäuschtes Gesicht sah.

      »Die machen wie immer erst große Toilette,« meinte Baronin Waltner, und Frau Olga spottete:

      »Was die so große Toilette nennen. Hier ein Schleifchen, da ein Schleifchen; in jeder Farbe eins.«

      »Und ein paar Ketten um den Hals, um die Taille und die Gelenke . . .« ». . . die nicht einmal schön sind,« fiel Frau Mira dem Professor ins Wort und schlug die Beine übereinander, so daß man mehr als nur die schlanken Gelenke sah; während Frau Ina, die fühlte, daß der Graf Frau Miras Bewegung folgte, die Füße unter den Tisch schob.

      »Wird Frau Brückner uns etwas vorsingen?« fragte Professor Reger. »Für mich ist sie trotz ihres Alters noch heute in Deutschland die Erste.«

      Es widersprach niemand. Nur Frau Mira sagte:

      »Der Ansicht bin ich auch. Aber, daß sie uns etwas vorsingt, glaube ich nicht. Die Tochter liebt es nicht, daß sie sich vor ihren Mann stellt.«

      »Sie meinen ihn verdunkelt?« fragte Frau Olga.

      »Ja!« erwiderte statt Miras der Professor. »Er hat sich trotz seines starken Könnens noch immer nicht durchgesetzt. Und es mag für einen Mann auch nicht leicht sein, im Schatten seiner Frau zu stehen.«

      »Ja aber,« warf Frau Ina ein, »diese Nelly ist doch Hedwig Brückners Kind aus erster Ehe. Die Mutter müßte ihr demnach doch näher stehen als der Stiefvater.«

      »Müßte,« erwiderte Frau Mira. »Tut es aber nicht.«

      Baronin Waltner wies zur Tür. Im selben Augenblick stockte das Gespräch. Frau Ina gab ihrem Manne ein Zeichen. Der sprang auf.

      Erdt-Brückners hielten ihren Einzug. Wie ein nach qualvollen Versuchen von einem Photographen der siebziger Jahre gestelltes Bild. Vorn die allerliebste Frau Mathilde, eine Art Bovary, jenseits des gefährlichen Alters. Mit natürlicher Freundlichkeit nickte sie allen zu. Ein wenig zurück rechts daneben Nelly, ihre Tochter. Unscheinbar, aber mit einem hübschen Gesicht, das nicht erkennen ließ, ob sie schon verblüht war oder erst zu blühen begann. Auch Nelly lächelte; aber teils aus gêne, teils um als freundlich zu gelten und zu gefallen. Mutter und Tochter übersät mit Ketten, Münzen, Troddeln und Schleifen. Links von Nelly die hohe Gestalt Wolfgang Erdts. Ein feiner Kopf mit hoher Stirn, starker Nase, gewölbten Lippen und ein Paar Augen, mit denen man nicht recht etwas anzufangen wußte. Frau Mathilde schienen sie tief und verträumt; den Kollegen, die seinen Aufstieg fürchteten, bös und verbittert, den Frauen, die er unbeachtet ließ, herausfordernd und brutal, Nelly, die an ihn glaubte, durchgeistigt und genial, dem Unbeteiligten nichtssagend und dunkelbraun.

      »Grade sprachen wir von Ihnen,« sagte Baronin Waltner.

      »Schlechtes natürlich,« erwiderte Nelly.

      »Das wird in unserem Hause niemand wagen,« beteuerte Frau Ina. »Wir unterhielten uns von dem eigenen Geschmack Ihrer Toiletten« – dabei nahm sie eine lila Kette, die Nelly um den Hals trug und die ihr bis auf die Knie herabhing, auf und sagte: »Wie apart. Diese Münze scheint die Imitation einer Reliquienkapsel aus dem fünfzehnten Jahrhundert, nur paßt sie nicht recht an diese undefinierbare Kette.«

      »Wenn


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