Lu die Kokotte. Artur Landsberger

Lu  die Kokotte - Artur Landsberger


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Bub heut’ früh, während du seine Kameraden mit Herodot traktiertest, in knapp zwei Stunden fertiggebracht – da sitzt noch das Modell!« – und er wies mit dem Pinsel auf einen Diwan, auf dem halbentkleidet eine junge . . .« – der Professor räusperte sich, der Oberlehrer besann sich – »und wenn du mir die Krone Frankreichs für meinen Harry brächtest: ich und mein Sohn schlügen sie aus, und er würde Maler!«

      »Unverantwortlich!« – »Skandalös!« – »Ein netter Vater!« – »Das grenzt an Verbrechen!« surrte es durcheinander.

      Aber Frau Fanny strahlte über das ganze Gesicht, auf dem breit der Kummer lag. Wie ein Regenbogen über trübe Wolken fährt, also spielten tausend Lichter jetzt in Fannys Augen, die in Gedanken an ihrem Manne hingen, ihm ins Atelier folgten, dort den Knaben sahen, sein Bild, das der beglückte Vater in den Armen hielt . . .

      »Recht so!« schrie sie. »Ja, mein Harry wird Maler, wie es sein Vater war!«

      »Du weißt nicht, was du sprichst!« brüllte der Professor.

      »Die Aufregung ist ihr in den Kopf gestiegen«, schrie die Frau des Oberlehrers.

      »Ich habe es gleich gesagt, man hätte ja auch bis morgen warten können«, zitterte die Frau des Hofbankiers.

      Aber Fanny richtete sich auf:

      »Nicht nötig, meine lieben Verwandten,« rief sie, »ich bin mir niemals über etwas so klar gewesen. Ihr habt mir heute erst so recht deutlich gezeigt, was ich an meinem Manne verloren habe. Wie sehr er Mensch war im Vergleich zu euch! Ihr hättet es nie gewagt, in seiner Gegenwart so zu reden, denn ihr wußtet, er wäre euch die Antwort nicht schuldig geblieben. Und wenn ihr gegangen wäret, dann hätte er hinter euch hergelacht, so herzlich, wie nur er lachen konnte, und hätte sich geschüttelt vor Vergnügen, wie er es oft tat, über eure Beengtheit, eure Vorurteile und die große Würde und Wichtigkeit, die ihr in alle äußerlichen Dinge legtet, eben weil es euch an jeder Innerlichkeit fehlt! – Heute zum ersten Male verstehe ich ganz, was er mit alledem meinte! – Und ihr wollt über ihn zu Gericht sitzen? Ihn schlecht machen vor mir? Ihr ihn? – Ich lache euch aus. – Ich weiß zwar nicht, was morgen wird. Aber hunderttausendmal lieber, als daß einer von euch heute mein Mann und der Vater meiner Kinder wäre, ist mir das Bewußtsein, daß er, der heute fortlebt in meinen Kindern, ein ganzer Kerl war!«

      »Ein Verbrecher war er, der sich nur dadurch dem irdischen Richter entzogen hat, daß er sich eine Kugel in die Schläfe schoß«, schrie der Professor.

      »Ich und seine Kinder verzeihen ihm! Und nur darauf kommt es an! Um eure Achtung und die der Welt hat er sich nie gekümmert. – Was er getan hat, das macht ihn mir und den Kindern auch nicht um so viel weniger liebenswert. Daß diese Margot, die er aus dem Dreck der Straße auflas, die so sündhaft war und so schön, die ihm den ganzen Sommer über zu seinen Bildern saß, der er das Höchste und Herrlichste, was er geschaffen hat, verdankt, die sich ihm an den Hals warf Tag für Tag und darum bettelte, daß er sie nahm« – sie lachte wehleidig – »nun, ich wußte es, als ich im Sommer in die Berge fuhr, daß es eines Tages dazu kommen würde. Es waren ja nur Menschen; Menschen von Fleisch und Blut. Und es hätten Gestalten sein müssen wie ihr, wenn es hätte anders kommen sollen. – Also es geschah, was so furchtbar und doch so natürlich war! Es geschah, ohne daß das Mädchen, noch er, noch ich, noch unsere Ehe, noch sonst jemand daran Schaden nahm. Im Gegenteil: in dieser Margot erwachte gerade jetzt so etwas wie ein moralisches Bewußtsein; ich habe mit ihr gesprochen. – Nun, ich lege meine Hand dafür ins Feuer, daß diese Margot zeit ihres Lebens nie einem Manne angehören wird, den sie nicht liebt. Ihr möget das beurteilen wie ihr wollt; für mich ist das jedenfalls der einzige Gradmesser für die Tugend einer Frau!«

      Sie saßen alle da, sahen sich an und brachten vor Entsetzen kein Wort heraus.

      »Und daß diese Margot«, fuhr Frau Fanny fort, »erst vier Wochen später sechzehn Jahre wurde – nun, ich glaube nicht, daß er es wußte – aber das ist auch gleich, denn hätte er es gewußt« – sie schüttelte den Kopf – »es wäre darum nicht anders gekommen. Ein unglücklicher Zufall: der Eklat war da! Ohne ihn war er noch heute – auch wenn längst alle darum wußten – der große, von allen gefeierte und umworbene Meister. Für euch mag dieser Zufall der Regulator eurer Gefühle sein! Ihr werdet das von mir und seinen Kindern nicht verlangen! – Ich bat, ich flehte ihn an, er möge die Folgen auf sich nehmen, suchte ihm klarzumachen, daß sie ja nichts an seinem Menschen, nichts an seiner Kunst, an meiner Liebe und der seiner Kinder ändern könnten. – Aber« – und sie richtete sich stolz vor dem Professor auf, der zornig vor ihr stand und sich nur schwer beherrschte – »er wollte die Hintertüren nicht benutzen, die ihr ihm botet. Er zog den freiwilligen Tod vor! Und wenn es einen Richter gibt dort oben – ich weiß es nicht – um seine Seele ist mir nicht bange!«

      Sie war mit ihrer Kraft zu Ende, zitterte am ganzen Körper und wankte; die Frau des Hofbankiers stand auf und wollte sie stützen; der Anwalt hielt sie zurück; die Gattin des Regierungsrates faßte die Hand ihres Mannes und suchte Schutz; die Frau des Oberlehrers sah beschämt zur Erde; ihr Mann rückte an seinem Kneifer; der Hofbankier saß gelangweilt; der Regierungsrat schüttelte den Kopf und tat entrüstet – aber der Professor trat vor, stellte sich kerzengerade und sprach:

      »Der Auftritt, dessen Zeugen wir und leider auch unsere Frauen soeben waren, und der so recht die Schamlosigkeit der Gesinnung, die hier herrscht, zum Ausdruck bringt, enthebt uns der Pflicht und Mühe, uns weiter um euch zu bekümmern. Ja, dieser Auftritt macht es mir und, wie ich glaube, auch den andern geradezu unmöglich, diese Schwelle noch einmal zu betreten.«

      Diese Sätze sprach er ruhig und bedächtig; jetzt aber erhob er die Stimme, als spräche er in einem Riesensaale vor seinen Wählern:

      »Damit du dich aber über den freiwilligen Abtritt deines sauberen Herrn Gemahls nicht täuschst, dessen Tod für dich noch etwas besonders Großes zu haben scheint, so will ich dir verraten, daß dein Mann auf deine Bitten hin allen Ernstes gewillt war, den Dingen ihren Lauf zu lassen;« – Fannys Ausdruck wurde zu Stein – »ich aber zwang ihn, sich und uns alle vor der Schmach einer Verhandlung und sicheren Verurteilung zu bewahren – ich habe ihm die Waffe in die Hand gedrückt und – dein Sohn wird es mir einmal danken —«

      Fanny war unwillkürlich nahe an ihn herangetreten; sie wußte nicht, daß sie sich bewegte; auch jetzt, als sie die Faust erhob und sie dem Professor ins Gesicht schlug, wußte sie nicht, was sie tat.

      Ein kräftiger Stoß des Professors warf sie zu Boden; alle stürzten hinaus.

      »Im Kern verdorben!« sagte Dr. Heinrich an der Haustür.

      Sonst sprach niemand was; und sie trennten sich ohne ein Wort des Abschieds. —

      Oben im Saal roch es noch immer nach Lorbeerblättern, Rosen und Veilchen. Neben den letzten Kränzen, die wohl zu spät gekommen oder, weil der Wagen sie nicht mehr faßte, aus Not zurückgeblieben waren, lag regungslos Fanny.

      II

      Fanny saß im Salon an ihrem Schreibtisch; vor ihr lag ein großer Bogen, der mit Hunderten von Zahlen vollgeschrieben war. Sie rechnete; zum ersten Male seit Jahren. Addierte und subtrahierte, aber es wollte nicht stimmen.

      Sie drückte auf die Klingel; der Diener kam.

      »Rufen Sie meine Tochter; aber sie soll gleich kommen.«

      »Sehr wohl, gnädige Frau!«

      Sie begann von neuem; schrieb Zahlen um Zahlen; strich sie wieder aus; schüttelte den Kopf; gab es dann auf; trat an einen Bulschrank; öffnete ihn; schraubte eine schwere Kassette los, stellte sie auf den Tisch, schloß sie auf, entnahm ihr eine Reihe von Schachteln und Kästen, die sie zum Schreibtisch trug.

      Luise trat ins Zimmer; schritt auf die Mutter zu, legte ihren Arm um sie, warf einen Blick auf das Papier, sah die Schachteln und Kästen und wußte, was vorging.

      »Armes Mütterchen«, flüsterte sie. »Ja, wer das Rechnen nicht gewöhnt ist, wie wir, dem fällt’s schwer!«

      Sie sah ihr Kind traurig an. »Es ist noch weit weniger, als ich dachte«, sagte sie.

      »Wenn’s


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