Lu die Kokotte. Artur Landsberger

Lu  die Kokotte - Artur Landsberger


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Fanny erstaunt aufblickte und ihr in die Augen sah.

      »Sonderbar! Daß der Vater nie auf den Gedanken kam, dich so zu malen! Ich gäbe etwas darum, wenn ich das festhalten könnte.« Sie stand auf und trat auf sie zu: »Keines der vielen Bilder, die er von dir malte, ist so schön wie dies!« Dabei fuhr sie ihr mit der Hand übers Haar und küßte sie auf die Stirn:

      »Vergiß nie die sonnige Jugend, die du ihm verdankst. Solche Erinnerung reicht oft fürs ganze Leben. Denke in Liebe an ihn, mein braves Mädel!« Luise erschrak; das klang ja wie Abschied vom Leben.

      »Warum so feierlich, Mama? Du willst ihm doch nicht etwa . . .?« Sie scheute sich den Gedanken auszusprechen.

      Aber Fanny beruhigte sie: »Aber nein! Glaubst du, ich werde dich allein lassen? Du würdest dich in dieser schlimmen Welt ja gar nicht zurecht finden ohne mich.«

      »Sag’ das nicht«, erwiderte Luise; »ich habe mehr über das Leben nachgedacht als du glaubst.«

      »Sieh mal an!« rief Fanny ganz erstaunt. »Wann hattest du denn Zeit dazu? Ich habe dich immer nur strahlend gesehen. Des Tags über tolltest du im Garten; gleich ob es Sommer oder Winter war. Und des Abends saßest du beim Vater, und ihr erzähltet euch Geschichten, die gewiß nicht traurig waren. Wo blieb meinem Sonnenkinde denn da noch Zeit, über das Leben nachzudenken?«

      Luise wurde verlegen. »Dann war es wohl doch mehr mit dem Herzen, wenn ich dachte . . . als mit dem Verstande.« – Sie wurde nachdenklich. »Da magst du schon recht haben, Mütterchen, daß alles dann mehr Gefühle als Gedanken waren . . .«; und fast traurig fuhr sie fort: »Und da Vater mich nur mit dem Herzen denken lehrte, was wohl recht gut für frohe Zeiten war, so werde ich mich jetzt, wo ich kalt denken und berechnen muß, womöglich schwer im Leben zurecht finden.« Trostlos klang es, als sie sagte: »Oder gar nicht.«

      Fanny faßte sie an die Schultern:

      »Darum eben bin ich da«, sagte sie bestimmt, »und bleibe da! Denn jetzt brauchst du jemand, der für dich denkt; einen ganz kalten, nüchternen Menschen – weißt du, so einen, wie du ihn nie leiden mochtest.«

      Luise wollte widersprechen – aber Fanny sagte:

      »Gewiß, ich weiß ja; daß ich dich lieb habe, hast du trotz allem am Ende doch immer herausgespürt.«

      »Ja, Mutter«, bestätigte Luise leidenschaftlich; »wenn ich auch . . .«

      »Wenn du mit deinem heitren Sinn auch mehr zum Vater paßtest . . . Natürlich!« unterbrach sie Fanny. »Aber jetzt ist meine Stunde da, wo ich mein Kind so sicher durch alles Trübe und Schwere führen muß, daß es sich sein goldnes Gemüt erhält. Bis es eines Tages wieder ohne ernste Gedanken nur mit dem Herzen leben darf.«

      »Statt, daß du mich teilnehmen läßt an deinen Sorgen«, antwortete Luise unzufrieden; »ich bin auch zu anderem gut als nur zum Lachen und Scherzen. Gerade weil ich leichter und heiterer bin als du und alles nicht so ernst nehme, gerade darum kann ich dir jetzt mehr sein als du mir.«

      Fanny war starr: »Nein, wie du sprichst, Luise! Das kenne ich ja gar nicht an dir, als ob du in den paar Tagen ein anderer Mensch geworden wärest.«

      »Durchaus nicht!« erwiderte Luise. »Oder hat es etwa schon einmal eine Situation in meinem Leben gegeben, in der du Gelegenheit hattest, mich kennenzulernen? Gerade im Unglück wird sich mein Temperament am besten bewähren, versuch’s mir!«

      Sie ging an den Schreibtisch. Fanny sah sie noch einmal an, als stände sie vor einem Wunder. Aber Luise hielt bereits den großen Bogen mit den vielen Zahlen in der Hand, den ihre Mutter gerade vor ihr verbergen wollte.

      »Was? Mit 150 Mark soll der Harry in Rom leben? Das ist ganz unmöglich!« rief sie. »Wo er bis jetzt monatlich 1000 hatte.«

      »Wir werden uns alle an ein anderes Leben gewöhnen müssen«, sagte Fanny.

      »Wir schon! Aber er? Niemals! Schon wenn er sein Atelier aufgibt, an das er gewöhnt ist, wird seine Kunst leiden. Harry muß weiterleben wie bisher«, erklärte sie ganz bestimmt; »sobald der bei seiner leichten und unpraktischen Art anfangen muß, mit Kleinigkeiten zu rechnen, verliert er sich. Ich kenne ihn! Tausende, die es könnten, deren Entwicklung es nichts schaden würde; aber niemals er! Verlaß dich darauf. Erst wird’s ihn amüsieren, und er wird denken: Pah, als ob es darauf ankäme! Dann aber wird’s ihm unbequem werden; ihn schließlich verstimmen, unlustig zur Arbeit machen! – Erst einmal muß er durch sein! Nachher, da kann man an seinem äußeren Leben so viel Änderungen vornehmen, wie man will. Bis dahin aber muß alles bleiben, wie es ist!«

      Fanny hatte bis zu dieser Stunde ihr Kind nicht gekannt; hatte geglaubt, es werde nun wie ein Vögelchen mit gebrochenen Flügeln scheu und zaghaft umherflattern und nie mehr seine helle Stimme erheben. Sie hatte sich schon ein ganzes Programm zurechtgelegt, wie sie ihr Kind erheitern, alles Häßliche und Schmutzige, was nun kommen mußte, von ihm fernhalten würde. Und nun? – Dankbarkeit für ihren Mann war das erste, was sie empfand. Ja, in Luise lebte sein aufrechter Geist. Ein ganzer Kerl war sie mit ihren 19 Jahren, der das Leben gerade da bejahte, wo es am schwersten wurde; der sich nicht zimperlich den Verhältnissen unterwarf. Der seinen Willen erzwang! Wenn es sein mußte, auch gegen die Verhältnisse! – Ja, das war das Kind ihres Mannes. Und erst jetzt kam ihr so recht zum Bewußtsein, was auf seiten des Professors dazu gehört haben mußte, um den Widerstand ihres Mannes, der dem Leben selbst da, wo es nichts mehr bot, noch Reize abrang, zu brechen.

      »Du willst mir also helfen?« sagte sie bloß.

      »Welche Frage!« erwiderte Luise. »Harry darf nichts von den Verhältnissen erfahren. Wir dürfen überhaupt nicht über Geld mit ihm sprechen. Denn sobald er auch nur ahnte, wie es bei uns aussieht, gäbe er die Malerei auf . . .«

      »Du meinst, er täte das?« unterbrach sie Fanny und schüttelte den Kopf.

      »Bestimmt! Aber was innerlich aus ihm würde, ist eine andere Frage; froh würde er nie mehr!«

      »Und leisten würde er auch nichts«, fügte Fanny hinzu.

      »Und darum ist darüber überhaupt kein Wort zu verlieren«, bestätigte Luise, die noch immer den großen Bogen in der Hand hielt. »Damit freilich« – und sie vertiefte sich in die Zahlen – »werden wir nicht weit kommen. Aber hör’ mal, Mama,« sagte sie beinahe gekränkt, »da unterschätzt du Papa denn doch gewaltig, wenn du seine beiden letzten Bilder mit 8000 Mark ansetzt. Das Doppelte sind sie wert; und vielleicht das Vierfache, da es seine letzten sind.«

      Fanny ging zum Schreibtisch; nahm aus einem Stoß von Papieren einen Brief heraus, gab ihn Luise und sagte:

      »Lies!«

      Und Luise las:

      »Liebe Fanny! Da ich die prekäre Lage kenne, in die Du durch den Tod Deines Mannes geraten bist, so will ich Dir die letzten beiden Bilder Deines Mannes aus besonderem Entgegenkommen, und obgleich ich nicht recht weiß, wohin damit, abkaufen. Den Kaufpreis, den ich Deiner augenblicklichen Lage entsprechend ziemlich hoch bemessen habe, lege ich Dir in einem Scheck über 8000 Mark  bei; setze aber voraus, daß es sich dabei wirklich um die letzten Bilder Deines seligen Mannes handelt, und behalte mir vor, falls sich etwa noch spätere Bilder von ihm vorfinden sollten, den Kauf rückgängig zu machen. Mit Gruß Dein Vetter

Theodor Walther.«

      »Pfui Deibel!« rief Luise. »Wo ist der Scheck? Gib ihn mir; er muß ihn zurücknehmen und uns die Bilder wieder herausgeben.«

      »Wir brauchen das Geld, Luise, das weiß er; bedenke, ehe wir die Bilder woanders unterbringen . . .«

      »Das laß meine Sorge sein! . . . Noch heute, wenn es sein muß!«

      Fanny stand nur immer und staunte ihr Kind an. Luises Lebhaftigkeit und Bestimmtheit gab auch ihr wieder Mut und Zutrauen; und was mehr war: sie fühlte, daß sie nicht mehr allein war. Daß ihr Kind, um das sie sich am meisten bangte, fester stand als sie; daß sie eine Gefährtin hatte in ihrer Sorge um Harrys Zukunft.

      »Du bist ein Optimist, mein Kind! Vorläufig reißt man sich noch nicht um Vaters Bilder; im Gegenteil.«

      »Was heißt das?«

      »Denke


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