Im Hause des Kommerzienrates. Eugenie Marlitt

Im Hause des Kommerzienrates - Eugenie Marlitt


Скачать книгу
wohl gewusst, dass er seinen Liebling, der sich stets scheu von den weit älteren Stiefschwestern ferngehalten, dieses Schutzes nicht berauben dürfe, und deshalb verfügt, dass Katharina mit nach Dresden gehen solle, wo die Erzieherin nach langjährigem Brautstand mit einem Arzte gerade um jene Zeit ihren eigenen Hausstand begründete. … Das junge Mädchen hatte in ihren Briefen an den Vormund nie den Wunsch ausgesprochen, die Heimat wiederzusehen; ebenso wenig war es ihrem Großvater, dem Schlossmüller, eingefallen, sie je zurückzufordern; er war damals vollkommen mit ihrer Übersiedlung nach Dresden einverstanden gewesen, weil ihr Anblick den Gram um das einzige Wesen, das er geliebt, um seine Tochter, stets erneute. Nun, nach seinem Tode, hatte der Vormund ihre Rückkehr auf einige Zeit gefordert; er hatte ihr zugleich mitgeteilt, dass er sie selbst mit Eintritt der wärmeren Jahreszeit, Ende April, abholen wolle, weil – was er selbstverständlich verschwieg – die Präsidentin Urach sich entschieden gegen eine etwaige Begleitung der ehemaligen Gouvernante verwahrte. Die Mündel war mit allem einverstanden gewesen, und hatte ihn nur auf seine Frage, ob sie bei Ausführung der testamentarischen Bestimmungen irgendeinen persönlichen Wunsch habe, dringend gebeten, bei Verpachten der Schlossmühle die große Eckstube nebst Alkoven zu reservieren und beide Räume genau zu belassen, wie sie zu des Großvaters Lebzeiten eingerichtet gewesen seien. Das war geschehen. – –

      Es war im Monat März, da kam eine junge Dame von der Stadt her. Sie ging auf der Chaussee, die mit den letzten vereinzelten Ausläufern der Straße, hübschen, kleinen Landhäusern, zu beiden Seiten besetzt war, und bog in den breiten Fahrweg ein, der nach der Schlossmühle führte. Noch war das Schmelzwasser des letzten Schneefalles nicht ganz versickert; es stand in den breiten Furchen, welche die Räder der Mühlenwagen gewühlt hatten, und in den tiefeingedrückten Spuren der vielen Sohlen, die hier verkehrten; aber die schlanken Füße des junge Mädchens steckten in festen Lederstiefelchen, und das schwarze Seidenkleid war so hoch aufgeschürzt, dass der elegant bordierte Saum mit dem triefenden Geröll nicht in Berührung kam. Es war durchaus keine Elfe oder Sylphide, das Menschenkind, das so kräftig und sicher dahergeschritten kam, weit eher eine Gestalt, wie man sich ein schönes Schweizermädchen denkt, dem die kräuterwürzige Alpenmilch und der reine Atem der Bergluft das Blut mischen und Adern und Sehnen vor Gesundheit strotzen machen. Eine anliegende, mit Pelz besetzte schwarze Sammetjacke bezeichnete die kräftigen, aber schön geschwungenen Linien der Taille und des Busens, und auf dem lichtbraunen Haare saß, ein wenig schief gerückt, eine Mütze von Marderfell. Das Gesicht war weit entfernt, proportioniert oder gar klassisch regelmäßig zu sein – das gebogene Näschen war zu kurz im Verhältnis zur Wölbung und Breite der Stirn, der Mund zu groß, das runde Kinn mit dem Grübchen ein wenig zu kräftig vorgeschoben, der Bogen der Brauen nicht bestimmt genug, aber diese Mängel wurden aufgewogen durch die reine, von den breiten Schläfen ausgehende Ovallinie und die unvergleichliche Jugendfrische und Blüte der Gesichtsfarbe.

      Die junge Dame trat in das offene Hoftor der Schlossmühle. Eine Schar Hühner, die, einer Spur verstreuter Getreidekörner nachgehend, eben auf den Fahrweg hinausspazieren wollte, stob gackernd vor ihr auseinander, und die Hofhunde fuhren mit wütendem Gebelle aus ihrem trägen Halbschlummer empor. Wie floss das neue Frühlingssonnenlicht goldglänzend über die Mauern des alten, prächtigen Hauses, deren gewaltige Quadern vor alten Zeiten unter den Augen des fürstlichen Erbauers aufeinander getürmt worden waren! Vorgestern erst war die letzte dicke Eiszacke klingend von dem aufgesperrten Löwenrachen der blechernen Dachrinne gefallen, und heute zitterte und flimmerte die Luft über dem sonnenerhitzten Schiefer des Daches. Aus den dicken, braunen Knospen der Kastanien quoll das Harz und ließ sie glitzern, als seien sie mit Diamantenstaub bestreut; ein paar Töpfe mit halbverkümmerten Stubenpflanzen standen, zum ersten Male wieder in die laue freie Luft gerückt, vor dem einen Fenster der Knappenstube, und auf dem hölzernen, ausgetretenen Freitreppchen, das von dieser Stube direkt in den Hof führte, saß ein weißbestäubter Müller und schnitt sich tüchtige Brocken von Brot und Käse.

      »Mohr! Wächter!« rief die junge Dame mit schmeichelnder Stimme über den Hof hinüber. Die Hunde gebärdeten sich wie toll und rissen winselnd an der Kette.

      »Was wünschen Sie?« fragte der Müller, sich schwerfällig erhebend.

      Sie lachte leise in sich hinein. »Ich wünsche gar nichts, Franz, als Ihnen und Suse guten Tag zu sagen.«

      Im Nu flogen Brot, Käse und Messer hinter das Treppengeländer. Der Mann war nicht groß. Er war kleiner als das junge Mädchen – er sah sprachlos in das blühende Gesicht, das er zum letzten Male gesehen, wie es, noch nicht einmal in der Höhe seiner breiten Schultern, auf einem schmächtigen Kindeskörper gesessen; sie hatte »das Müllermäuschen« geheißen und war ihm in der Mühle und auf dem Kornboden, in der Tat quecksilbern wie eine Maus, auf Schritt und Tritt nachgehuscht – und jetzt war sie die Herrin hier, und er, der ehemalige Obermüller, ihr Pächter. »Kurios«, sagte er, in unbeholfener Verlegenheit den Kopf schüttelnd, »die Grübchen in den Backen und die Augen sind’s noch, aber, aber das unmenschliche Wachstum!« Er ließ seine Augen scheu und ungläubig messend an der hohen Gestalt emporgleiten. »Na ja, da hat eben der Trieb von der Sommers-Großmutter her dahintergesteckt; die war auch so wie Milch und Blut und – wollt ihr wohl still sein, ihr Racker!« unterbrach er sich scheltend und drohte mit der Faust nach den unaufhörlich bellenden Hunden. »Die Schlingel kennen Sie wirklich noch, gnädiges Fräulein –«

      »Besser als Sie; das ›unmenschliche Wachstum‹ hat sie nicht irre gemacht«, versetzte sie, zu den Hunden tretend und die hoch an ihr aufspringenden Tiere streichelnd. »Sie titulieren mich ja wunderlich, Franz. Ich bin nicht avanciert in Dresden, das kann ich Ihnen versichern.«

      »Aber die Fräuleins drüben in der Villa lassen sich ja auch so benennen«, sagte er mit steifem Nacken und starrköpfig.

      »Ah so!«

      »Und Sie sind doch zehnmal mehr. So jung und schon so reich, so unmenschlich reich! Die Mühle da, die schönste weit und breit – Sapperment, das will was heißen! Herrje – nur ein Mädchen, und kaum achtzehn Jahre alt, und das Kommando über eine solche Mühle!«

      Sie lachte. »Das steht mir allerdings zu, und ich will Ihnen das Leben schon sauer machen, alter Franz. … Wo steckt denn Suse?«

      »Die hat Stubenarrest, hat’s wieder einmal in der rechten Seite, das arme, alte Frauenzimmer. Die Hausmittel wollen nicht mehr recht verfangen. Doktor Bruck ist eben bei ihr.«

      Die junge Dame reichte ihm die Hand und trat sofort in das Haus. Die schwere Bohlentür fiel rasselnd, mit gellendem Geklingel hinter ihr zu, und der Lärm hallte von allen vier Wänden des weiten Flurs zurück. … Unter den Füßen der Eingetretenen schütterte der Boden sehr stark. Das Tosen und Stampfen des Mahlwerkes dröhnte dumpf durch die kleine, klaffende Tür im gewölbten Steinbogen, und der Duft des frisch zermalmten Kornes füllte kräftig durchdringend die Luft. In tiefen Zügen sog ihn das junge Mädchen ein – eine ganze Flut von Erinnerungen überwältigte sie; sie wurde blass vor innerer Bewegung und blieb mit gefalteten Händen einen Augenblick stehen. Ja, sie war um alles gern in der alten Mühle »herumgekrochen«, wie die Präsidentin von ihr sagte, und der Papa hatte ihr oft genug den Mehlstaub von Zöpfen und Kleidern geklopft – er hatte sie lächelnd »sein weißes Müllermäuschen« genannt. Der finstere Mann, ihr Großvater, der meist von dort oben, über das Treppengeländer hinweg, mürrisch, mit herrisch polternder Stimme seine Befehle herabgerufen, er hatte sie nie geliebt. Sie war fast immer vor seinem feindseligen Blicke in Susens blanke Küche oder zu Franz geflüchtet, und doch dachte sie mit bitterer Wehmut seiner und wünschte, er möge wieder da herabsteigen mit den wuchtigen Tritten, unter denen die Treppenstufen geächzt; vielleicht fürchtete sie sich nicht mehr vor dem Gesichte, das, wie sie nun wusste, hauptsächlich Geldstolz und Protzentum so abstoßend gemacht hatten; vielleicht wäre er jetzt auch milder und zugänglicher, weil sie der Großmutter ähnlich geworden.

      Sie fand die Tür der Eckstube droben verschlossen, aber aus dem schmalen Gange, der das Hintergebäude mit dem Vorderhause verband, scholl Susens weinerlich klagende Stimme. Ach ja, dort war die Schlafkammer der alten Jungfer, das dunkle Stübchen mit den runden, in Blei gefassten Fensterscheiben und der Aussicht auf das graue Schindeldach eines Holzschuppens und das niemals trocknende Pflaster des Seitenhöfchens. Sie schüttelte unwillig den Kopf und betrat den Gang.

      Eine


Скачать книгу