Der Geizhals. Hendrik Conscience
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Der Geizhals
I
Es war Winter; der Schnee deckte die Natur wie das Bahrentuch einer Jungfrau; Felder und Wiesen waren eingeschlummert: doch war ihr Schlaf so ruhig und so voll Hoffnung auf ein fröhliches Erwachen, daß selbst der Anblick dieser einförmigen Leblosigkeit das Herz nicht ganz trostlos ließ.
Und es war kein Wunder! Am blauen Himmel glänzte heiter die Wintersonne, die ihr Licht über die ruhende Natur goß. Tausende von funkelnden Perlen schimmerten im unermeßlichen Schneefeld; in jedem Flocken spiegelte sich das Sonnenbild, und die Farbengluth, die daraus entsprang, schien dem Schnee selbst Leben und Seele zu verleihen.
Nichts unterbrach die weite weiße Fläche – auch Dorf und Kirche hüllten sich in die Falten ihres Wintergewandes – nur die düsteren Tannen erhoben ihre Kronen über den Schnee und standen unbeweglich da, wie die Schildwachen um ein Lager in tiefem Schlummer.
So herrschte in der äußern Natur eine vollkommene Stille; aber der Mensch hatte seine rege Thätigkeit nicht ausgesetzt; aus jedem Bauernhof, aus jedem Hause im Dorfe erhoben sich Stimmen und Lärmen aller Art. Hier erdröhnten die Dielen unter dem Schlage des Dreschflegels, dort rasselten ungeduldig die Mühlen; etwas weiter wurde Flachs gebrochen und die Milch zu Butter gerührt.
Dazu kam der liebliche Gesang der Mädchen, das helle Pfeifen der Männer – das Gewieher der Pferde, das Gebrülle der Kühe und das klägliche Geblöke der Schafe . . .
Alles vereinigte sich zu einem Lobgebet, das zu Gott aufstieg, um ihm zu sagen, wie seine Geschöpfe sich der Arbeit freuen und ihr Loos auf Erden preisen!
Ein einziges Haus blieb, in diesem Getümmel, still und stumm wie ein Grab. Es stand einige Bogenschüsse weit vom Dorfe und war offenbar der Ueberrest eines alten Klosters, wovon der größte Theil abgebrannt oder abgebrochen war; ringsum lagen noch, hie und da, die Schutthaufen der gewaltigen Mauern.
Als Wohnung diente eine übriggebliebene Seite des Klosters; die gothischen Fenster waren mit aufgerafften Ziegelsteinen grob zugemauert; und hohe Mauern, mit vorspringendem Gesimse, umschlossen das Haus und den anliegenden Garten.
Doch war es nicht dieß Alles, das den Vorbeigehenden an dem sonderbaren Hause zum Stehen brachte und ihm düstere Gedanken einflößte.
Der traurige Rest ehemaligen Reichthums und Glanzes war so erbärmlich im Verfalle, daß der Anblick dem Herzen wehe that. Der Boden ringsum war völlig unangebaut; hohe Steinhaufen und tiefe Gruben machten ihn fast unwegbar. Die nackten Mauern waren durch die Zeit ausgefressen und mit langen Rissen durchzogen; hie und da waren die Stützen eingestürzt. Nirgends merkte man, daß eine Menschenhand gesucht hätte, den Schaden herzustellen oder dem völligen Ruin zuvorzukommen.
Aus der Todtenstille, die hier herrschte, hätte man auf ein unbewohntes Haus schließen können, wenn man nicht im Schnee eine Bahn erblickt hätte, die sich von der Thüre gegen das Dorf richtete und sich hierauf in dem breiten Fahrweg verlief. Eine gespanntere Aufmerksamkeit machte auf dem Schnee, zwischen größeren männlichen Tritten, die Stapfen eines niedlichen Frauenfußes erkennbar.
In dem Hause saßen unter einem geräumigen Kamine zwei Personen; schweigend streckten sie die Füße in den Heerd und klemmten den Kopf in ihre Schultern ein; die Kälte schien sie fast gefühllos gemacht zu haben.
Die eine war ein Mann in vorgerücktem Alter, mit grauen Haaren, erloschenen Augen und bleichen hohlen Wangen; ein Rücken war gewölbt, und bei jeder Bewegung zitterten eine schwachen Hände.
Die andere war ein Mann in den Vierzigern, der sich seiner vollen Lebenskraft erfreute. Die befremdende Unregelmäßigkeit einer Gesichtszüge mußte Mißtrauen und selbst Abscheu erregen. Seine kleinen grauen Augen lagen tief unter einer hohen Stirn und dichten Brauen, und glänzten aus ihren Höhlen, wie Glühwürmer im Dunkeln; seine Nase, nach unten breit, regte sich mit jedem Athemzuge; der weite Mund spaltete ihm fast die Hälfte der Wangen; ein beständiges Lächeln um eine dicken Lippen verrieth Gierigkeit und manchen andern niederen Hang.
Der obere Theil seines Kopfes wies auf schlimme List – nicht ganz ohne Verstand – der untere auf thierische Lüsternheit. Die Zusammenstellung bildete ein Ganzes, das, durch eine materiellen Formen schon häßlich, durch die sittliche Bedeutung noch häßlicher wurde.
Alles, was die beiden schweigenden Männer im Zimmer umgab, schien mit ihnen selbst und ihrem Gemüthe in Einklang zu sein.
Das Zimmer war groß und hochgewölbt; es empfing ein halbes Licht durch ein erhabenes Fenster, das mit dichten eisernen Stäben verschlossen, doch, in Mangel von Glasscheiben, dem Wind und Regen einen ungehinderten Einlaß bot.
Darinnen war Alles höchst schmutzig; eine Erdschicht bedeckte den Flur; lange Spinnweben hingen vom Gewölbe über die Wände; in den dunkeln Ecken lagen allerlei alte Gegenstände in ungeordneten Haufen, darunter viele verschlissene Schuhe. Die wenigen Hausgeräthe, die an der ausgebröckelten Wand hingen oder auf dem Kamine standen, waren so voll Staub, daß es außer allem Zweifel blieb, man habe sich ihrer seit Jahren nicht mehr bedient.
Trotz der unsaubern, aber schweren Kleider, die die beiden Männer trugen, waren sie vom scharfen Froste durchdrungen; auch war es komisch zu sehen, wie sie ihre Füße nach dem einzigen Torfstücke streckten, das im Heerde brannte; wie sie den ganzen Körper nach vorne krümmten, auf daß kein Wärmestrahl in den Schornstein fahre, ehe er seine Kraft an die abgegeben hatte. Sie fingen selbst mit den Händen die dünnen Dampfwolken auf, die sich aus einem steinernen Topf erhoben, der neben dem Torfe in der Asche stand.
Der Alte saß unbeweglich da und richtete den Blick nach dem Heerde; auch der Andere rührte sich nur wenig; doch zeigten eine verstohlenen Blicke, daß sein Geist ernst beschäftigt war. Er schien mit Ungeduld auf das Erwachen des Alten zu warten, und auf einem magern abgelebten Gesichte die geringste Empfindung ablauschen zu wollen.
Nach dem Verlauf einiger Augenblicke griff er nach dem eisernen Blasbalg und blies an dem Torfe, bis eine kleine blaue Flamme aus dem Heerde emporstieg.
Der Alte faßte fieberhaft seine Hand, um ihn von seinem Vorhaben abzuhalten, und sprach zitternd:
»Nun, Thys, [Matthias] wo denkt Ihr hin? Ist der Torf nicht in vollem Brande und wollt Ihr ihn in Stücken haben? Habt Ihr denn kalt?«
»Im Gegentheil,« erwiederte Thys, »aber es schlägt acht Uhr auf dem Kirchenthurme; es wäre Zeit an unser Frühstück zu denken.«
»Nun?«
»Und so meinte ich, daß ein guter warmer Imbiß Euch wohl bekommen würde, Onkel Jan.
« »Warmes Essen macht den Magen schwach,« murrte der Alte. »Und dazu ist der Torf so entsetzlich theuer!«
Inzwischen hatte Thys den Topf auf den Tisch gesetzt und dem Onkel einen Löffel gereicht. Dieser rührte und blies, als wäre ihm bange, sich an dem Gericht zu verbrennen. Dabei athmete er mit vielem Appetit und einem wohlgefälligen Lächeln den warmen Dampf ein; doch war die Kost nicht zu lecker, sie bestand aus lauem Wasser, worin große Stücke Schwarzbrod schwammen.
Kaum hatte er den ersten Löffel an seine Lippen gesetzt, so blickte der Alte ungehalten auf seinen Kameraden und sagte:
»Thys, Thys, ich begreife nicht, daß Ihr so viel aufs Salz gebt?«
»Fünf Körnchen, Onkel Jan.«
»Und, was seh’ ich da? Fettaugen? Butter in der Suppe? Wollt Ihr mich in meinen alten Tagen auf das Stroh bringen? Wahrlich, Thys, das ist Unrecht von Euch.«
»Vielmehr habt Ihr Unrecht, Euch zu betrüben,« entgegnete der Andere. »Cäcilia hat gestern ihre Kartoffeln in dem Topfe gewärmt und dazu ein großes Stück Butter geschmolzen.«
»Ein großes Stück?«
»Ich hätte den Topf waschen und spülen können.«
»Nein, nein, das durftet Ihr nicht thun.«
»Ich habe mich auch wohl gehütet; so haben wir etwas von dem Fette, das sonst verloren gegangen wäre.«
»Ich habe Euch falsch beurtheilt, Thys; Ihr seid ein braver Junge; falls mir auf meinem Sterbebette etwas übrig bleibt, will ich Euere Sorgfalt belohnen, Ihr könnt darauf rechnen.«
Da