Der Geizhals. Hendrik Conscience

Der Geizhals - Hendrik Conscience


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ist brav von Euch, Bart. Was wird die Mutter froh sein!«

      »Und das ist noch lange nicht Alles, liebe Schwester,« fuhr Bart fort. »Wir werden auch wirkliche Blumen haben; dazu weiß ich drei Liedchen, vier Geschichten und sieben Räthel, alles funkelnagelneu. Ich habe sie zu Fleiß gelernt, und für den Tag der Bescheerung bewahrt. Wir werden recht von Herzen lachen und singen und fröhlich sein. Die Thränen kommen mir jetzt schon in die Augen, wenn ich mir vorstelle, daß Cäcilia, so mitten im Winter, mit ihrem Strauße schöner Blumen kommt, und ihr das schöne Tuch um die Schultern legt.«

      »Aber, Bart, ich sehe mich überall um – wo könnt Ihr jetzt Blumen finden? Ich glaube, daß Ihr von Sinnen seid.«

      Der Jüngling gab seinem Gesicht den Ausdruck eines freundlichen Scherzes und sprach lachend, indem er seiner Schwester in die Augen sah:

      »Wantje, Ihr kennt doch einen Jungen, der Franz heißt? Ein Blonder, mit großen Augen, der beim Schloßgärtner im Dienste ist?«

      Das Mädchen wurde bis hinter die Ohren roth und blickte verschämt zu Boden.

      »Nun, nun,« sprach Bart beschwichtigend, »Ihr müßt nicht erröthen, Wantje; es ist ein guter Junge, der sein Handwerk wohl versteht und gern heiter ist, wo er es sein darf. Glaubt Ihr nicht, Wantje, daß er mir die Blumen geben wird, weil ich Euer Bruder bin?«

      Ehe das eingeschüchterte Mädchen antworten konnte, klang eine Stimme aus dem Hause; es war die Mutter, die rief:

      »Bart, Wanna, kommt zum Essen!«

      Das Mädchen benützte die Gelegenheit, um ihrem Bruder zu entschlüpfen, und richtete sich nach der Thür; Bart, der ihr auf dem Fuße folgte, wiederholte halblaut:

      »Wantje, Cäcilia darf darum wissen, aber nicht die Mutter; kein Wort der Mutter!«

      Im Hause war die Mutter daran, die Suppe in eine große Schüssel zu schöpfen.

      Am Feuer saß ein junges Mädchen; in dem Schnitt ihrer Kleider, die fast so einfach waren, wie die der Wanna, in der Art, sie zu tragen, war die städtische Mode nicht ganz zu verkennen. Auch der minder gefärbte Teint, die feineren Züge, der zartere Gliederbau trugen nicht wenig dazu bei, daß man sie, auf den ersten Blick, von einer Bäuerin unterschied. Sanft war der Blick ihrer Augen, der Ausdruck des Gesichtes still und wehmüthig; über ihrem ganzen Wesen schwebte etwas Träumerisches, das bezaubern konnte – und dabei verrieth ihr ernstes Sinnen die Kraft und Tiefe ihres Gemüthes.

      Sie war beschäftigt, an einem Frauenkleide zu nähen.

      Die Mutter wandte sich zu ihr und sprach freundlich:

      »Kommt, Cäcilia, das Essen ist bereit.«

      Eben trat Bart herein, der noch immer sang:

      »Ach und Weh sei heut begraben,

      Weil wir morgen Kirmeß haben.«

      Doch kaum war ein Blick auf das ernste und doch freundliche Gesicht Cäcilia"s gefallen, so verstummte sein Gesang, seine Schritte wurden gemessener, die Gegenwart des Mädchens schien in ihm ein ehrfürchtiges Gefühl geweckt zu haben.

      Sie setzten sich Alle um den Tisch und begannen mit einem stillen Gebete, worauf sie die Löffel ergriffen und die schmackhafte Suppe mit wahrem Appetit verkosteten. Dann trug die Mutter eine große Schüssel Kartoffeln und etwas geschmorten Speck auf.

      Die ganze Versammlung sah recht glücklich aus; Gesundheit und dankbare Zufriedenheit strahlte aus jedem Gesichte. Bart trieb allerlei Schwänke, stellte sich, als ob er sich die Zunge verbrannt hätte, und machte flüchtige und versteckte Anspielungen auf das morgige Fest, so daß er die Tischgenossen sämmtlich zum Lachen brachte.

      Ein Millionär, dem es möglich gewesen wäre, diesem Mittagsmahle beizuwohnen, hätte die armen Leute vielleicht um ihr Loos beneidet.

      Sie waren eben an dem zweiten und letzten Gerichte, als ein leises, schüchternes Klopfen an der Thür sie unterbrach.

      »Das ist gewiß, die arme Wittwe des Maurers, der seit einigen Monaten todt ist,« meinte die Mutter; »ich habe sie Sonntag in der Kirche gesehen, und ihr gesagt, sie dürfe sich jeden Dienstag um ein Almosen melden. Wanna, schneidet ihr ein Stück Brod ab.«

      »Tretet nur ein!« rief sie gegen die Thür gewandt.

      Da zeigte sich eine Frau, die noch ziemlich jung war, aber deren bleiche, abgezehrte Wangen das bittere Elend lesen ließen. Ihre Kleider waren so erbärmlich dünn, daß es Einem bei ihrem Anblick eiskalt durch die Glieder fuhr. Ihre Züge hatten jedoch den Stempel eines kräftigen Verstandes, eines edeln Gemüths bewahrt: offenbar war die Frau nicht zum Betteln geboren.

      Neben ihr lief ein kleines Kind, dessen Zähne vor Frost klapperten.

      Mit gesenkten Augen fuhr die Frau fort das Vaterunser zu beten, das sie bereits an der Schwelle angefangen hatte.

      Wanna reichte ihr die Schnitte und sprach dazu: »Arme Kaet, [Katharine.] wer hätte das gedacht, daß Ihr zum Betteln kommen. Eine so kluge und thätige Frau, wie Ihr seid. Ihr thut mir herzlich leid!«

      »Der Winter ist so lang« seufzte die Wittwe, »und ich habe keine Arbeit. Der Hunger jagt mich jetzt zur Thür hinaus; im Sommer, wenn ich Beschäftigung finde, wird es wieder besser gehen!«

      Unterdessen richtete das Kind unverwandt seine Blicke auf den Tisch, und seine Lippen wurden von Eßluft feucht.

      Cäcilia blickte mitleidig auf das Mädchen. Mit einem Male warf sie einen bedeutungsvollen Blick auf Bart, in Folge eines Gedankens, der ihr durch die Seele fuhr. Bart verstand den Wink, oder folgte der Eingebung seines Gemüths – er ging auf die Wittwe zu, nahm sie bei der Hand und führte sie zu dem Stuhle, den er eben verlassen hatte.

      »Setzt Euch, liebe Kaet,« sprach er, »und eßt mit uns. Was für Fünf genug ist, wird auch für Sieben reichen . . . Und wenn die Rechnung nicht richtig ist, so wird sie Gott schon ausgleichen.«

      Cäcilia hatte die Kleine auf einen Stuhl gehoben.

      Nun rückten sie andere Stühle herbei und genossen fröhlich die gute Kost. Die Wittwe konnte ihren Dank nicht anbringen; aber, sobald ihr erster Hunger gestillt war, blickte sie mit unbeschreiblicher Zärtlichkeit auf ihr armes Kind, das glücklich und ohne Sorgen sich an dem leckeren Mahle labte; dabei schossen ihr stille Thränen in die Augen.

      Alle blickten sie mit Verwunderung an und schienen die Erklärung dieser plötzlichen Traurigkeit zu wünschen. Cäcilia allein verstand die Bewegung und frug die arme Wittwe:

      »Ihr habt noch mehr Kinder, liebe Frau?«

      »Ja, Fräulein, noch zwei. Dieses Mädchen ist das älteste. Die andern armen Geschöpfe sitzen zu Hause, ohne Feuer. Seit acht Tagen haben sie nichts gegessen, als etliche Bissen Roggenbrod.«

      »Und warum sind Euere Augen voll Thränen?« meinte Wanna.

      Die Frau senkte den Kopf und sprach, ohne aufzublicken:

      »Ihr könnt das Gefühl einer Mutter noch nicht recht ergründen. Wenn ich meine Mieke [Maria.] so essen sehe, muß ich an die armen Schäfchen denken, die daheim Hunger leiden.«

      Bart richtete sich auf, wischte sich den Mund und sagte:

      »Das begreife ich doch.«

      Dann wandte er sich zur Mutter:

      »Ich will jeden Tag zwei Stunden länger arbeiten und des Sonntags nicht mehr in die Herberge gehen; doch dann müßt Ihr auch erlauben, daß die arme Wittwe täglich mit einem ihrer Kinder hier ißt, so lange ich durch die neue Arbeit und meine Ersparnisse die Ausgaben decke.«

      Die Mutter blickte eine Weile auf ihren Sohn mit strahlenden Augen und sagte dann mit gerührter Stimme:

      »Bart, ich hatte Euch stets recht gerne; jetzt aber seid Ihr mir doppelt lieb.«

      Die Bettlerin war gleichfalls tief ergriffen; sie nahm den Jüngling bei der Hand und redete ihn feierlich an:

      »Gott im Himmel ist gerecht. Ihr gebt Eurem Nächsten


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