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Erbarmen mit mir! Die andern Menschen wünschen meinen Tod – selbst Cäcilia, die ich doch wie mein eigen Kind liebe, ist undankbar. Oh weh! Das bisschen Geld, das ich mir durch so viele Entbehrung abgespart habe, soll nach meinem Tode verschleudert werden! Diese Befürchtung wird meine letzte Stunde vergällen . . . Wie kann man nur sagen, daß ich reich bin, Thys?«
»Man heißt Euch den reichen Knauser.«
»Man denkt vielleicht, daß ich hunderte von Gulden besitze?«
»Auf fünfzigtausend schätzt Euch die Wittwe.«
»So verläumdet man leider die arme Tugend! Doch Ihr wißt es wohl besser, Freund Thys, der Ihr mein Elend theilt und mir in der Noth beisteht?«
»Es wäre an den Lästerzungen wenig gelegen, Onkel Jan, wenn wir nur die arme Cäcilia vor den Fallstricken der Verführer zu retten vermöchten!«
»Ja, die arme Cäcilia und mein armes Geld!« seufzte der Greis. »Wahrhaftig, Thys, wenn ich jünger wäre, wollte ich das Geld verprassen und vergeuden! Doch nein – denn ich möchte nicht gern vor Hunger sterben!«
Nach diesem Ausrufe schwiegen Beide eine Weile lang. Der alte Onkel schien das Fieber zu haben und seine bösen Ahnungen peinigten ihn sichtlich.
»Ihr müßt frischen Muth schöpfen, Onkel Jan,« sprach endlich Thys mit tröstender Stimme; »die Betrüger sind noch so weit nicht. Vielleicht weiß Cäcilia noch nicht das mindeste von ihrem schlimmen Vorhaben. Das arme Mädchen ist verführt. Es ist wahr, sie steht am Rande des Abgrunds; doch mit gutem Willen und muthigem Entschluß wird sie noch leicht zu retten sein.«
Der Onkel blickte ihm voll Hoffnung in die Augen und antwortete:
»Um Gotteswillen, Freund, rathet mir, was ich thun soll; mein Verstand ist schwach, und der Kummer nimmt mir vollends alle Besinnung.«
»Das Mittel ist einfach genug, Onkel Jan. Wenn Ihr verhindern wollt, daß Cäcilia nach Euerem Tode einem Verschwender zufalle, der ihr Erbtheil vergeudet und sie in’s Elend stürzt, so laßt sie jetzt einen sparsamen Gatten wählen, der ihr Lebensglück sichern kann.«
»Einen sparsamen Gatten,« wiederholte der Onkel in Gedanken, »ja, das wäre nicht so übel.«
Doch nach längerer Betrachtung rief er niedergeschlagen:
»Umsonst! Ich suche vergebens im ganzen Dorfe und finde Niemanden. Die redlichen Leute, die ich kenne, stehen in meinem Alter; die jungen leben toll in die Welt hinein.«
»Das könnt Ihr von mir nicht sagen,« meinte Thys lächelnd.
Mit freudigem Staunen blickte ihn der Onkel an und sprach:
»Ich war wirklich blind! An Euch allein hatte ich nicht gedacht, und doch seid Ihr der einzige, der für sie paßt . . . Aber Ihr werdet sie nicht nehmen wollen, Thys; Ihr habt sie ja nicht gern.«
Thys senkte, wie beschämt, den Kopf über die Brust.
»Das weiß ich nicht recht; doch wäre ich reich, Hab und Gut würde ich darum geben, sie glücklich zu sehen!«
»Dann muß Euere Liebe zu ihr sehr groß sein, Thys; leider ist sie Euch abgeneigt – freilich gegen allen Grund. Dieser Abscheu scheint aus einer kranken Einbildung herzurühren.«
»Ich weiß, daß sie mich haßt,« fiel ihm Thys ins Wort, ich bin überzeugt, daß sie in diesem Hasse verbleibt, und ich an ihrer Seite unglücklich sein werde.«
»Und doch wollt Ihr Euch um sie bewerben?«
»Es treibt mich zu dem Opfer sowohl mein Mitleiden mit dem Kinde als meine Dankbarkeit gegen Euch. In ihrem falschen Wahne verabscheut sie mich; doch will ich sie retten, ihr im Leben als Schutzengel dienen, für sie sorgen und sparen, und ihr kleines Vermögen ehrlich zusammenhalten. Vielleicht – wer kann es wissen? – wird mich allmälig ihre Freundschaft belohnen.«
Diese Worte, mit Edelmuth und Stolz vorgebracht, machten auf den Alten einen tiefen Eindruck; gerührt nahm er Thys bei der Hand:
»Dank, Ihr edler Jüngling! Ihr seid die einzige rechtschaffene Seele, die ich kenne. So wollt Ihr Cäcilia heirathen, mit ihr meine Wohnung theilen, mir dazu verhelfen, daß ich ohne größeres Elend mein Lebensziel erreiche; auch nach meinem Tode werdet Ihr Sorge tragen, daß meine Ersparnisse, falls welche übrig bleiben, nicht verschwendet werden. Dafür segne Euch Gott, ich nehme Euer Opfer als eine Wohlthat an.«
»Ist Euer Entschluß gefaßt, Onkel Jan?«
»Unwiderruflich, lieber Thys!«
»Und wenn Cäcilia sich sträubt?«
Der Alte schob die Schultern in die Höhe und wäre die Antwort gerne schuldig geblieben.
»Immer derselbe,« scherzte Thys ungeduldig.
»Die Kleine übt einen Zauber über mich. Gönnt mir ein wenig Zeit, um sie zu überreden. Inzwischen thut auch Etwas dazu; beweist Euch freundlich, redet sie öfters an, lärmt nicht um ein Stückchen Butter, bewahrt den Torf im Kamin zu ihrer Zurückkunft.«
»Was seid Ihr doch schwach,« spottete Thys, »wo das Laster eingewurzelt ist, läßt es sich nicht mit einem Stückchen Butter bezwingen!«
»Und dann,« fuhr der Alte unwillig fort, »wenn die Güte nichts ausrichten sollte, so bleiben andere Mittel.«
Mit diesen Worten stand er auf, richtete sich hustend gegen die Thür und sprach:
»Ich gehe hinauf, denn ich fühle mich etwas matt. Um Mittag sehen wir uns wieder; thut nicht zu viel Salz in die Rüben.«
»Sie sind gefroren, Onkel Jan.«
»Das macht sie um so mürber, Thys. Und nehmt denselben Topf; das Fett hat ihn durchdrungen.«
Der Alte zog sich zurück, und bald darauf hörte man seine Schritte auf der Treppe.
Thys lauschte, bis er vernommen, daß zwei oder drei Thüren geschlossen wurden.
Da veränderte sich plötzlich eine ganze Haltung. Der halbgekrümmte Rücken wurde wieder kerzengerade, seine Lippen verzogen sich zu einem spöttischen Lachen, seine Augen rollten schnell unter den dichten Brauen. Innerlich schien er sich über einen davongetragenen Sieg zu freuen.
Auf den Fußspitzen schlich er zu einem Kasten, nahm daraus ein halbweißes Brod, schnitt davon ein tüchtiges Stück herunter, auf das er die Butter, wohl einen halben Finger hoch, schmierte. Bei dem ersten Bissen strahlten seine Augen vor Freude und er verschlang seine Schnitte mit unerhörter Gierde. Dann verschloß er den Kasten, setzte Alles an den früheren Platz und ging wieder zum Kamine, wo er ein anderes Stück Torf auf das Feuer warf und mit dem Blasbalg so lange blies, bis die Flamme hell aufloderte. Eine Zeit wärmte er sich die Hände mit dem Ausdruck des innigsten Vergnügens, ward hierauf ruhig und sprach zu sich selbst unter hämischem Lächeln:
»O der einfältige Kerl! Er ist im Stande, ein Stück Bindfaden in vier zu verschleißen, und ehe er einen Heller ausgibt, kehrt er ihn zehnmal um, als wäre es ein Stück seiner Seele! Bald wird er darauf kommen, seine alten Schuhe in die Suppe zu thun, weil sie vielleicht einmal mit Fett geschmiert waren. Dabei ist er so arm und elend! Als ob ich nicht wüßte, warum er alle Thüren verriegelt, sobald er oben ist. Jetzt wühlt der Geizhals in seinen Zehnguldenstücken. Doch um so mehr wird er zurücklassen, und ich will dafür sorgen, daß ich meinen Theil davon kriege.«
Nach einer kurzen Pause verfolgte er sein Selbstgespräch:
»Es ist doch seltsam, daß der alte Geldteufel sich so sehr darum kümmert, was nach seinem Tode aus seinem Gelde wird. Er könnte dann wohl aus dem Grabe steigen und hier zur Nachtzeit seinen Spuk treiben! Von allen Dummheiten der Welt ist doch der Geiz die größte. Wie kann man das Geld lieben, bloß weil es glänzt! Das heißt sich in Porzellanscherben verlieben. Ja, Geld regiert die Welt, aber ein Glanz macht dabei nichts aus. Es ist der Mephisto des Doktor Faustus; wem er zu Gebote steht, der braucht nur Etwas zu wünschen, und im Nu ist es da! Ja, so lieb auch ich das Geld, mehr noch als Onkel Jan. Laßt den alten Scharrer erst unter der Erde liegen – dann mag er sich erkundigen, ob ich mich noch mit dem Brei aus Roggenbrod und Wasser begnüge, das eigentlich den Hunden zukommt.