Der Geizhals. Hendrik Conscience
erlauben wir uns auch Wein – und ein Pferd – und dann bin ich gnädiger Herr, und halte mir einen Bedienten und mache mich über die Bauern lustig. Trotzdem will ich immer sparsam leben, um lange auszukommen – Cäcilia erbt die Hälfte von Allem; sie ist die einzige Nichte – und wenn mir die andern Verwandten nicht in den Weg treten, denke ich die andere Hälfte zu erhaschen, obgleich ich nicht zur Familie gehöre. Wir werden schon sehen! Als ich mich hierher in den Klosterhof begab, um dem Onkel Jan als Sklave seiner Wünsche und Grillen zu dienen, berechnete ich eine Lebenszeit auf vier bis fünf Jahre. Seitdem sind volle zehn Jahre verflossen, die mich sehr erschöpft haben – die Hälfte ist nicht mehr hinreichend: ich muß Alles bekommen. Aber Cäcilia? Da steckt der Knoten. Ich muß mit ihr recht freundlich sein und ihr von Heirath sprechen. Wie fange ich das an? Wenn ich sie wirklich liebte? Ich glaube fast, daß sie mir nicht gleichgültig ist. Doch in meinen alten Tagen will ich nicht zum Narren werden; es würde auch so nicht gelingen; denn ich bin doch nicht hübsch genug, um ein Mädchen zu bethören. Aber es gibt andere Mittel, die eben so sicher, wo nicht sicherer, zum Ziele führen.«
Da umdüsterte sich plötzlich sein Gesicht und er schlug die Augen zu Boden:
»Wenn sie aber doch nicht zu gewinnen wäre und mein Vorhaben so scheiterte!«
Dabei bekämpfte er den aufsteigenden Unmuth und sprach hohnlächelnd weiter:
»Doch warum soll man sich böse stellen, ehe es wirklich Noth thut? Zuerst wollen wir Alles in Güte versuchen, und erst, wenn das nichts fruchtet, andere Saiten aufziehen . . . Indessen will ich in den Garten und dort für Onkel Jan etliche Rüben aus dem Schnee hervorsuchen: unterwegs sinne ich auf ein paar schöne Sprüchlein, die ich bei Cäcilia anbringe, sobald sie nach Haus kommt.«
Damit entfernte sich Thys durch die Hinterthür.
II
In einiger Entfernung von der unheimlichen Behausung des alten Knickers, ganz am Rande der nackten Haide, stand ein geringer Pachthof, dessen lehmene Mauern zur Genüge bewiesen, daß seine Bewohner recht arme Bauern waren. Doch trotz des ärmlichen Aeußern, trotz der einförmig weißen Felder, herrschte rund um die niedere Wohnung ein Ton von regem Leben und selbst von Freude, wie ihn die poetische Einbildung eines Künstlers nur hätte wünschen können.
An dem Ziehbrunnen, der seine langen Arme durch die Lüfte streckte, stand ein Bauermädchen und schöpfte Wasser, um darin die Wurzeln für das Vieh auszuwaschen. Ihr frisches Gesicht blühte wie eine Rose; sie fürchtete nicht, ihre Arme in dem halb gefrorenen Wasser zu rühren, und sang dazu so laut ein munteres Lied, daß man dadurch unwillkührlich an den kommenden Mai gemahnt wurde.
An der Thüre der Wohnung zeigte sich ein Bauernjunge, nicht minder frisch und gesund als das Mädchen. Seine schönen, sanften Augen verriethen ein friedliches Gemüth und eine liebende Seele; der Ausdruck eines ganzen Gesichts wies auf eine Lebensfülle. Das Ebenmaß seiner Glieder, seine freie, hübsche Haltung hätten ihn unfehlbar, unter hundert Bauern seines Alters, als Denjenigen bezeichnet, der in Hinsicht auf Herz und Verstand allen andern überlegen sein mußte.
Er war damit beschäftigt, die Aeste eines Haselnußbaumes zu Reifen zu spalten, und förderte rasch eine Arbeit. Seine Bewegungen waren ungehindert, und die Reife schienen durch seine Hände zu fliegen. Auch seine Füße blieben keinen Augenblick ruhig; es war als ob er Lust hätte, zu einer Arbeit zu tanzen. Und, während seine Schwester ihr munteres Lied sang, pfiff er ihr nach, und bewegte unwillkührlich Hand und Fuß im Takte des Gesanges.
Ein schwarzer Hund wedelte um den jungen Mann, sprang ihm dann zum Spiele nach den Händen, und bellte zuweilen, um in dem Concerte auch eine Stimme ertönen zu lassen.
In dem Kirschenbaume daneben saß das zarte Rothkehlchen; im Gebüsche fang die Bachstelze ihr frohes Lied, und der kleine Zaunkönig hüpfte durch die Hecken und Sträuche.
Auf das ganze Gemälde warf die Sonne ihre hellen Strahlen; der Schnee auf dem Dache der armen Wohnung glänzte in der Farbenpracht des Diamanten; und auch die Felder schienen in Rosa und Purpur gekleidet.
Das Mädchen war verstummt, sei es, daß ihr Lied zu Ende war, oder daß sie sich über die Kufe mit den Wurzeln zu tief beugen mußte.
Der Junge aber warf seine Mütze in die Luft, fing sie wieder auf und sang dazu nach einer heitern Melodie:
»Zum Henker fahre Sorg’ und Kummer,
Die schönste Schürze muß heraus!
Bald wecket mich aus sanftem Schlummer
Trompet’ und Flöte zu Saus und Braus!
Ach und Weh sei heut’ begraben,
Weil mir morgen Kirmeß haben.«
»Bart, Bart,« scherzte das Mädchen. »Ihr habt wieder Euere Narrenkappe aufgesetzt; Euere drolligen Verse bringen Einen zum Lachen!«
»Ja, liebe Wantje, [Johanna.] war die Antwort, »es wandelt mich die Luft an, ganz eigene Sprünge zu versuchen; ich fühle mich so aufgeräumt, als ob ich mehr Geld hätte als Cäcilias Onkel.«
»Und warum denn? Was gibt es Neues? Ihr wollt wohl Montag auf den Jahrmarkt gehen?«
»Ja, ich will dahin; es wird Zeit, Wantje, daß wir uns um ein Ferkel umsehen – doch hat meine Heiterkeit einen andern Grund – lange habe ich es geheim gehalten; jetzt aber dürft Ihr auch darum wissen.«
Damit ging er zu einer Schwester, nahm sie beim Arme und zog sie in eine Ecke des Hauses; seine Bewegungen waren so geheimnißvoll, daß Wantje ihn ganz verwundert mit großen Augen ansah.
»Nun, was soll das? Was geht denn vor?«
»Stille,« sagte Bart halblaut. Dann flüsterte er ihr ins Ohr: »In welchem Monat des Jahres sind wir, Wantje?«
»Laßt uns sehen! Die vorige Woche waren wir noch im ersten Monate; ich denke, daß wir jetzt im kurzen Monat sein müssen.«
»Ja, morgen ist der vierte Tag des kleinen Monats. Wißt Ihr, Wantje, welche Heilige an diesem Tage im Kalender steht?«
»Wie soll ich das wissen?«
»Es ist die heilige Johanna!« rief Bart ganz froh.
»Die heilige Johanna, die Schutzheilige der Mutter!« wiederholte das Mädchen, und blickte dazu neugierig auf ihren Bruder.
»Bin ich noch immer ein Narr, Wantje?« frug Bart lachend. »Ohne meine Mahnung hättet Ihr den Tag vielleicht vergessen.«
»Doch deswegen dürft Ihr nicht so ausgelassen sein, wenngleich die Nachricht erfreulich ist. Wir wollen Kuchen backen, Kastanien braten und Gerstenbier trinken, dazu Geschichten erzählen, und uns Räthel aufgeben. Ihr müßt an etwas Neues denken, Bart!«
»Und doch bin ich nicht darum allein so gut aufgelegt. Könnt Ihr schweigen? Werdet Ihr der Mutter nichts sagen?«
»Nein, kein Wort!«
»So hört denn. Meine Reife haben mir ein hübsches Sümmchen eingebracht, das wißt Ihr wohl. Dieses Jahr werden wir, zum ersten Male, etwas übrig behalten, nachdem Pachtzins und Abgaben bezahlt sind. Hier liegt noch ein Karren Reife bereit. Die Mutter weiß nicht, daß ich für jeden Bündel einige Cents mehr bekomme als vorhin. Morgen fahre ich in die Stadt, liefere meine Reife ab, bekomme das Geld – da kann ich etwas bei Seite legen, ohne daß die Mutter das Geringste merkt.«
»Pfui, Bart,« fiel ihm das Mädchen unwillig ins Wort, »das will ich sogleich der Mutter berichten!«
»Werdet nicht so geschwind böse, Wantje. Laßt mich aussprechen, und, so Ihr selbst nicht vor Freude tanzt, könnt Ihr mich einen Lügner schelten. Habt Ihr nicht bemerkt, Wanna, daß Mutters Halstuch so häßlich geworden ist und sie damit ganz ärmlich aussieht? Ich schäme mich fast, wenn sie so zur Kirche geht.«
»Da habt Ihr Recht, Bart; daran habe ich auch gedacht!«
Der Jüngling antwortete mit frohem Muthe:
»Ich will Euch noch mehr sagen, Wanna! Ich kaufe der Mutter ein großes, neues Tuch; Frau Meulemans auf dem Schloßhof soll kein schöneres haben. Darin sollen rothe, gelbe und