Die Schlucht. Иван Гончаров
erhob sie sich rasch.
»Wenn Ihnen an meiner Freundschaft etwas liegt, Cousin,« versetzte sie mit ein wenig veränderter, leicht zitternder Stimme – »und wenn Sie einigen Wert darauf legen, hier ein und aus zu gehen und . . . mich zu sehen . . . dann. . . nennen Sie keinen Namen!«
»Ja, ich habe das Richtige getroffen: sie liebt ihn!« entschied Raiski im stillen, und es war ihm leichter ums Herz, da die Frage nun doch wenigstens, wenn auch gegen ihn, entschieden und das Geheimnis heraus war. Er konnte nun schon auf Sophie, auf Milari und sogar auf sich selbst als objektiver Betrachter, gleichsam von der Seite her, blicken.
»Haben Sie doch keine Furcht, Cousine – nur um Gottes willen keine Furcht!« sagte er. »Eine schöne Freundschaft – den Freund wie einen Spion zu scheuen, sich vor ihm zu verstecken . . .«
»Ich brauche niemand zu scheuen und nichts zu verstecken!«
»Wie denn – und die Welt? und diese da?« Er zeigte nach den Ahnenbildern an der Wand. »Da, wie sie die Augen aufreißen! Aber bin ich denn einer von ihnen? Bin ich denn die Welt?«
»Ich hätte allerdings wohl Ursache, mich vor den Ahnen zu verstecken!« versetzte Sophie ganz ruhig und sicher – »wenn sie Sie hier gesehen und gehört hätten! Was hat es hier heut nicht alles gegeben: Vorwürfe und Liebeserklärungen und Eifersuchtsausbrüche . . . ich dachte, so etwas gäbe es nur auf der Bühne . . . Ach, Cousin! . . .« rief sie im Tone scherzhaften Vorwurfs und war wieder ganz Herrin ihrer selbst.
Sie hatte in der Tat nichts zu scheuen oder zu verstecken: Graf Milari war vielleicht sechsmal mit ihr zusammengewesen, stets in Gesellschaft anderer, er hatte gesungen, hatte ihr Spiel gehört und sich mit ihr unterhalten, doch war ihr Verkehr nie über die Grenze der gewohnten Höflichkeit, der höchstens eine ganz feine Nuance von seiner Schmeichelei beigemischt war, hinausgegangen.
Einer anderen hätte das vielleicht genügt, um den Namen des schönen Grafen beständig auf den Lippen zu tragen, sich durch seine Aufmerksamkeit geschmeichelt zu fühlen und mit ihm ein wenig zu kokettieren. Sophie jedoch wollte nicht einmal seinen Namen genannt haben und wußte nicht, wie sie Raiskis Redefluß hemmen sollte, als er so zur Unzeit mit seinem »erratenen Geheimnis« herausplatzte. Es lag kein Geheimnis vor, und wenn sie dieses »Erraten« nicht ganz gleichgültig hinnahm, so geschah es jedenfalls nur, um auch den letzten Schatten eines Verdachts bei ihm zu beseitigen.
Sie sollte verliebt sein – wie abgeschmackt! Gott möge sie davor bewahren! Und kein Mensch würde es ja auch glauben. Kühn und sicher, wie zuvor, hob sie wieder den Kopf empor und sah ihm ruhig ins Gesicht.
»Leben Sie wohl, Cousine!« sagte er in lässigem Tone.
»Bleiben Sie denn heut nicht bei uns?« fragte sie freundlich. »Wann reisen Sie?«
»Wie sie schmeichelt – wie pfiffig: sie will mir die Pille vergolden!« dachte Raiski.
»Was soll ich Ihnen?« versetzte er auf ihre Frage.
»Ich sehe, daß Sie auf meine Freundschaft keinen großen Wert legen!« sagte sie.
»Ach, reden Sie nicht von Freundschaft, Cousine! Seien Sie doch offen: Sie fürchten mich!«
»Ich habe, Gott sei Dank, noch nichts zu fürchten.«
»Noch nichts? Und wenn Sie doch einmal etwas zu fürchten haben sollten – werden Sie mich dann mit Ihrem Vertrauen beehren?«
»Aber Sie sagten doch, dieses Vertrauen würde für Sie beleidigend sein! Ich müßte doch fürchten . . .«
»Fürchten Sie nichts! Ich sagte bereits, daß meine Hoffnungen nur dann weiter grünen würden, wenn eine Gegenseitigkeit möglich wäre – und das ist doch nicht der Fall?« fragte er schüchtern und sah sie dabei forschend an, während er zugleich fühlte, daß trotz aller Aussichtslosigkeit seines Bemühens die Hoffnung noch nicht ganz in ihm erloschen war, weshalb er sich im stillen einen Dummkopf nannte.
Sie schüttelte als Antwort auf seine Frage langsam den Kopf.
»Und . . . wird auch nie der Fall sein?« forschte er hartnäckig weiter.
Sie lachte.
»Sie sind unverbesserlich, Cousin,« sagte sie. »Jede andere würde unwillkürlich mit Ihnen zu kokettieren anfangen. Ich will das aber nicht und sage Ihnen rundweg: nein!«
»Dann brauchen Sie doch auch keine Angst zu haben, sich mir anzuvertrauen!« versetzte er düster.
»Parole d’honneur. ich habe nichts anzuvertrauen.«
»Doch, doch, Cousine!«
»Was soll ich Ihnen denn nun anvertrauen, dites positivement!«
»Wohlan denn: sagen Sie mir – fühlen Sie nicht, daß etwas sich in Ihnen gewandelt hat, seit dieser Milari. . .«
Der freundliche Ausdruck ihres Gesichtes verschwand, und sie nahm wieder eine gezwungene, kalte Miene an.
»Nein, nein, pardon – ich will ihn nicht nennen. . . seit er, will ich sagen, in Ihrem Hause verkehrt?«
»Hören Sie, Cousin . . .« begann sie, hielt einen Augenblick inne und war offenbar verlegen, wie sie fortfahren sollte – »angenommen, es wäre . . . enfin si c’etait vrai – aber das ist ganz ausgeschlossen,« fügte sie rasch wie in Parenthese hinzu – »was . . . was ginge es Sie an, nachdem Sie doch . . .«
Er brauste auf.
»Was es mich anginge?« fuhr er jäh heraus und sah sie mit großen Augen an. »Was es mich anginge, Cousine? Sie sollten zu einem ersten besten Parvenu, irgendeinem Milari, einem hergelaufenen Italiener hinabsteigen – Sie, eine Pachotina, Sie, der Stern, der Stolz, die Perle unserer Gesellschaft? Sie . . . Sie!« wiederholte er im Tone höchsten Erstaunens, ja fast mit Entsetzen.
Sie sah ihn ganz verwundert an, wie er so unerwartet aufbrauste und wütende Blicke um sich warf.
»Erstens ist er Graf . . . und nicht ein erster bester Parvenu . . .« sagte sie.
»Er hat den Grafentitel gekauft oder gestohlen!« rief er in heftiger Erregung. »Das ist einer jener Abenteurer, die nach Lermontows Worten zu uns kommen, ›um Glück und Ehren einzuheimsen‹, die sich in die vornehmen Häuser einschleichen, sich um die Protektion der Frauen bewerben, ein fettes Amt erwischen und dann später die Grandseigneurs spielen. Seien Sie auf der Hut, Cousine, ich halte es für meine Pflicht, Sie zu warnen! Ich spreche als Ihr Verwandter!« Alles das sagte er fast mit schäumendem Munde.
»Kein Mensch hat an ihm etwas Derartiges beobachtet!« sprach sie mit wachsendem Erstaunen. »Wenn Papa und mes tantes ihn empfangen . . .«
»Papa und mes tantes!« wiederholte er verächtlich. »Die wissen viel! Hören Sie nur auf sie!«
»Auf wen soll ich denn sonst hören – auf Sie?«
Sie lächelte.
»Ja, Cousine, und ich sage Ihnen: seien Sie auf der Hut, das sind gefährliche Eindringlinge! Hinter dieser interessanten Blässe, diesen katzenartig weichen Manieren verbirgt sich vielleicht Schamlosigkeit, Habgier und Gott weiß, was sonst noch! Er wird Sie kompromittieren . . .«
»Aber er ist doch überall eingeführt, er ist sehr bescheiden, zartfühlend, wohlerzogen . . .«
»Alles das sehen Sie nur in Ihrer Phantasie, Cousine – glauben Sie mir!«
»Aber Sie kennen ihn doch nicht, Cousin!« entgegnete sie lächelnd. Sein plötzlich erwachter Zorn begann sie zu belustigen.
»Ein Augenblick genügte mir, um sogleich zu sehen, daß er einer jener Industrieritter ist, die zu Hunderten aus Italien zu uns kommen, vom Hunger getrieben, um sich hier satt zu essen . . .«
»Er ist ein Künstler,« entgegnete sie – »und wenn er nicht öffentlich auftritt, so geschieht es nur, weil er ein Graf und ein reicher Mann ist . . . c’est un homme distingué!«
»Ah, Sie verteidigen ihn – ich gratuliere! Das also ist der Glückliche, auf den das Licht von den Höhen des Olymps gefallen ist! O, Cousine, Cousine – auf wem haben Sie da Ihren Blick ruhen lassen! Kommen Sie zur Besinnung, um Gottes willen!