Die Schlucht. Иван Гончаров
Sie mich ganz gern von Zeit zu Zeit einmal sehen möchten?«
»Um Sie zu hören. Sie übertreiben ja etwas stark, aber zuweilen sprechen Sie doch richtig und klar über viele Dinge, die ich zwar begreife, jedoch nicht so in Worte zu kleiden weiß . . .«
»Ah, endlich ein offenes Wort! Darum also bedürfen Sie meiner: Sie schauen in mich hinein wie in ein arabisches Lexikon . . . eine wenig beneidenswerte Rolle!« fügte er mit einem Seufzer hinzu.
»Aber Sie sagten doch eben selbst, Cousin, daß Sie gar nicht hoffen, einmal General zu werden, und daß alle miteinander bereit sind, für eine noch so kleine Aufmerksamkeit von meiner Seite wer weiß was zu tun . . . Ich verlange das gar nicht – aber schenken Sie mir doch wenigstens ein klein wenig . . .«
»Freundschaft?« fragte Raiski.
»Ja!«
»Das wußte ich! Ach, diese Freundschaft!«
»Ich sehe, Cousin, daß Sie Ihre Hoffnung auf den Generalsrang durchaus noch nicht aufgegeben haben! . . .«
»Nein, nein, Cousine, ich hege durchaus keine Hoffnung – und darum eben, ich wiederhole es: darum eben reise ich fort. Aber Sie sagten mir, daß Sie Langeweile haben würden ohne mich, daß ich Ihnen fehlen würde, und so fasse ich eben, wie der Ertrinkende, nach dem Strohhalm.«
»Und Sie sollen nicht umsonst danach gefaßt haben. Ich biete Ihnen meine Freundschaft an, was doch immerhin etwas ist. Wenn es Leute gibt, die allein für ein freundliches Wort oder einen freundlichen Blick von mir wer weiß was geben würden, wie Sie soeben versicherten, dann sollte doch für meine Freundschaft, die ich nicht so leicht jemandem anbiete . . .«
»Die Freundschaft, Cousine, ist eine schöne Sache, wenn sie der erste Schritt zur Liebe ist – sonst ist sie einfach ein Widersinn, ja zuweilen sogar eine Beleidigung.«
»Wieso?«
»Was ist denn solch eine Freundschaft? Sie werden mir das Recht einräumen, Sie unangemeldet zu besuchen, und auch das nicht immer: heute zum Beispiel sind Sie darüber ungehalten gewesen; Sie werden mich mit allerhand Aufträgen in der Stadt herumschicken – das ist ja das alte Vorrecht der Cousins; Sie werden sich sogar, falls ich Geschmack habe, mit mir beraten, was Sie anziehen sollen; Sie werden mir Ihre aufrichtige Meinung über alle Verwandten und Bekannten sagen, und schließlich werden Sie sogar – und darin sehe ich die Beleidigung – mich zum Mitwisser Ihrer Herzensgeheimnisse machen, wenn Sie sich einmal verlieben sollten . . .«
Er bemerkte, daß Sophie sich mit Gewalt zu beherrschen suchte, und daß sie, um ihre wahre Empfindung zu verbergen und Gleichgültigkeit zu heucheln, sich abwandte und gähnte.
»Sie sind vielleicht schon verliebt?« fragte er plötzlich.
»Wie kommen Sie zu dieser Annahme?«
»Was hätte sonst Ihre Verwirrung zu bedeuten?«
»Verwirrung? Ich soll verwirrt sein?« sprach sie und blickte in den Spiegel. »Nicht im geringsten – ich erinnerte mich nur, daß wir übereingekommen sind, nicht mehr über Liebe zu sprechen. Ich bitte Sie, Cousin,« fügte sie plötzlich in ernstem Tone hinzu, »dieses Übereinkommen nicht zu verletzen. Sprechen wir, bitte, nicht mehr darüber.«
Er war verwundert über ihre Bitte und versank in Nachdenken. Sie hatte diese Bitte auch schon früher geäußert, doch nur im Scherz, mit lächelndem Munde. Seine Eigenliebe flüsterte ihm zu, daß er vielleicht nicht vergeblich an der Tür ihres Herzens angeklopft habe, daß es sich melde, daß ihre Verwirrung und diese plötzliche, ungeschickt vorgebrachte Bitte, nicht von Liebe zu sprechen, nur auf ihre Furcht und Vorsicht zurückzuführen sei.
Doch verwarf er diesen Gedanken sogleich wieder – er mußte sich errötend sagen, daß nur ein eitler Geck so denken könne, und daß er nach anderen Gründen ihres Verhaltens suchen müsse. Schon empfand er im Herzen ein peinliches, nagendes Gefühl, seine Augen blickten ihr unverwandt, fast zudringlich fragend ins Gesicht, und die Zunge wollte reden, reden und wagte es nicht. Die Eifersucht hatte ihn gepackt, mit all ihren Folterqualen.
»Was ist denn das?« sagte er sich – »bin ich im Ernst verliebt? Nein, nein! Was geht’s mich denn schließlich an?«. . . Ich habe mich doch nicht um meinetwillen bemüht, es handelt sich immer nur um sie . . . um ihre Entwicklung, um die Erweckung ihres sozialen Gefühls . . . Noch ein letzter Versuch . . .«
»Eine Frage noch, Cousine,« sagte er laut – »wenn ich . . .« Er überlegte einen Augenblick: die Frage war für ihn entscheidend. »Wenn ich nun die Freundschaft nicht annehme, die Sie mir gleichsam als Belohnung für mein Wohlverhalten anbieten – wenn ich den Gedanken nicht ganz aufgebe, es vielleicht doch noch einmal bis zum General zu bringen: was würden Sie dann sagen? Darf ich wohl . . . kann ich? . . .« – »Sie ist keine Kokette, sie wird mir die Wahrheit sagen!« dachte er im stillen. Und laut fuhr er dann fort: »Würden Sie mich zu solchen Hoffnungen ermutigen, Cousine?«
Er sprach diese letzten Worte mit leisem Zittern und wagte nicht, sie anzusehen.
Sie lachte.
»Sie haben nicht die geringste Hoffnung, Cousin,« versetzte sie gleichgültig.
Er machte eine ungeduldige Bewegung, schwieg jedoch.
»Es ist ganz ausgeschlossen!« wiederholte sie in entschiedenem Tone. »Sie müssen immer übertreiben: eine einfache Liebenswürdigkeit erscheint Ihnen schon als entrainement, in irgendeiner kleinen Aufmerksamkeit sehen Sie die Zeichen einer Neigung, und Sie selbst sind wie in einem Traum befangen. Sie fallen ganz aus der Rolle eines Cousins und Freundes – verübeln Sie es mir nicht, daß ich Ihnen das sage.«
»Sie wollen mich also mit den faden Courmachern Ihrer großen Welt über einen Kamm scheren?«
»Fi, quelles expressions!«
»Mit diesen Schwätzern, die sich in den Salons und Theaterlogen herumdrücken und mit ihren süßlichen Blicken, ihren verfänglichen Schmeicheleien und auswendig gelernten Witzen die Unterhaltung bestreiten? Nein, Cousine – wenn ich von mir selbst rede, dann sage ich, wie es mir wirklich ums Herz ist; die Stimme meines Herzens ist es, der meine Zunge Worte leiht. Ein Jahr lang verkehre ich nun in Ihrem Hau se: so lange trage ich Ihr Bild in Gedanken mit mir herum, und ich spreche nur aus, was ich tief innerlich fühle.«
»Was soll mir dieses Bekenntnis?« fragte sie plötzlich. Der Ton ihrer Frage machte ihn betroffen, und er schwieg. Da hatte er ja nun eine klare Antwort auf seine Frage, wie es um seine Hoffnungen auf die Generalschaft stände! Und er hätte sich damit begnügen können, ohne noch weiter zu fragen, aber er bohrte und fragte weiter.
»Sie . . . lieben mich nicht, Cousine?« fragte er leise, mit einschmeichelnder Stimme.
»O, sehr!« antwortete sie heiter.
»Scherzen Sie nicht, um Gottes willen!« sagte er erregt.
»Ich gebe Ihnen mein Wort, daß ich nicht scherze.«
»Sie jetzt zu fragen, ob sie in mich verliebt ist, wäre albern,« dachte er – »so albern, daß es immer noch klüger wäre, abzureisen, ohne überhaupt etwas zu erfahren. Nein, das darf ich sie auf keinen Fall fragen . . . Da seh’ doch einer: sie, die über alles in der Welt, über alle Leidenschaft erhaben sein will, verlegt sich auf Kniffe und Schliche wie die erste beste Kokette! Aber ich werde schon herausbekommen, was dahinter steckt! Ich habe so meine Vermutung – ganz plötzlich will ich damit herausplatzen . . .«
Während er so im stillen seinen Monolog hielt, sah sie ihn mit schelmischem Lächeln an und schien nicht abgeneigt, ihn ein klein wenig zappeln zu lassen und zu quälen. Da platzte er plötzlich mit einer unerwarteten Frage heraus.
»Sie sind in diesen Italiener, den Grafen Milari, verliebt?« fragte er, seinen Blick tief in ihr Antlitz versenkend. Er fühlte, wie er selbst bei seiner Frage erblaßte, und es war ihm, als hätte er sich plötzlich eine zentnerschwere Last auf die Schultern geladen.
Ihr Lächeln, der freundschaftliche Ton, die ungezwungene Haltung – alles das verschwand momentan, als er seine Frage gestellt hatte. Vor ihm saß eine kalte, strenge, fremde Frau. Sie, die ihm bisher so nahe gestanden, schien jetzt plötzlich irgendwo in weiter