Deportiert auf Lebenszeit. Marcus Andrew Hislop Clarke
für das »wir,« mein Lieber. Aber ich muß allein gehen,« sagte Viscount Bellasis trocken. »Morgen können Sie mit mir wegen der letzten Woche abrechnen. Horch, die Uhr schlägt neun. Gute Nacht.«
Um halb zehn Uhr verließ Richard Devine seiner Mutter Haus, um das neue Leben zu beginnen, das er gewählt hatte und so zu einander geführt durch die wunderbaren Schicksalsfäden, welche oft die Ereignisse verbinden, näherten sich Vater und Sohn.
Als der junge Mann ungefähr die Mitte des Weges erreichte, welcher nach der Heide führt, begegnete er Sir Richard, der von dem Dorfe zurückkehrte. Es lag nicht in seinem Plan, noch eine Unterredung mit dem Manne in suchen, dem seine Mutter so schweres Unrecht gethan und er wollte in den Schatten der Bäume treten, aber, da er ihn so allein sah, in das verödete Haus zurückkehrend, fühlte sich der verlorene Sohn versucht, einige Worte des Abschiedes und des Bedauerns auszusprechen. Doch zu seinem Erstaunen schritt Sir Richard schnell weiter, den Körper vorgebeugt, wie Einer, der im Begriff ist, zu fallen und mit Augen, welche in die Ferne starrend, nicht sahen, was in der Nähe vorging. Entsetzt über diese sonderbare Erscheinung, eilte Richard weiter und bei einer Biegung des Pfades stolperte er über Etwas, das wohl das sonderbare Benehmen des alten Mannes erklären mußte. Ein todter Körper lag im Haidekraut auf dem Gesicht; daneben eine schwere Reitpeitsche, deren Griff voll Blut war und ein offenes Taschenbuch. Richard hob das Buch auf und las aus dem Deckel unter dem goldnen Wappen »Viscount Bellasis.« Der unglückliche junge Mann warf sich neben dem Körper nieder und hob ihn auf.
Der Schädel war durch einen Schlag gespalten, aber es schien, als ob noch Leben in dem Körper sei. Von Entsetzen erfaßt, – denn er konnte nicht zweifeln, daß seiner Mutter schrecklichste Ahnung zur Gewißheit geworden, kniete er nieder und hielt seinen gemordeten Vater in seinen Armen. Er wartete bis der Mörder, dessen Namen er ja trug, in Sicherheit war. Es schien ihm fast eine Stunde zu vergehen in seiner Aufregung, ehe er ein Licht hinter den Fenstern des Hauses sich bewegen sah, das er so eben verlassen. Jetzt wußte er, daß Sir Richard sicher in seinen Zimmern war. Mit der undeutlichen Absicht Hilfe herbeizuholen, verließ er jetzt den Körper und schlug den Weg nach der Stadt ein. Als er auf dem Pfade weiter ging, hörte er Stimmen und in demselben Augenblicke stürzten ich etwa ein Dutzend Männer, von denen Einer ein Pferd hielt, auf ihn, ergriffen ihn wüthend und schlugen ihn zu Boden. Zuerst begriff der junge Mann, der so plötzlich angegriffen wurde, seine eigene Gefahr gar nicht. Seine Gedanken beschäftigten sich nur mit der einen schrecklichen Lösung des Verbrechens und wandten sich nicht derjenigen zu, die dem Wirth von den »Drei Spaniern« schon so schnell in den Sinn gekommen war.
»Gott schütze mich,« rief Mr. Mogford, indem er bei dem bleichen Lichte des Mondes die Züge des ermordeten Mannes prüfte; »es ist Lord Bellasis! O Du blutgieriger Schurke! Jem, bringe ihn heran, vielleicht erkennt ihn der Lord noch.«
»Ich war es nicht,« rief Richard Devine. »Um’s Himmels willen, Mylord, sagen Sie« – — er schwieg plötzlich und starrte, da ihn die Männer auf die Knie zwangen, den sterbenden Mann in haarsträubender Furcht an.
Die Menschen, deren Blut in Augenblicken der Erregung in schnelleren Lauf geräth, urtheilen rasch in der Gefahr und – so hatte Richard Devine in dem schrecklichen Augenblick, als seine Augen denen des Lord Bellasis begegneten, ganz und voll die Gefahr erkannt, in der er sich persönlich befand und die Wechselfälle seiner Zukunft ahnend vorausgesehen. Das fortgelaufene Pferd hatte die Leute beunruhigt. Die trinkenden Gäste in den Drei Spaniern waren ausgebrochen, um die Heide abzusuchen und hatten einen Menschen in gewöhnlicher Kleidung entdeckt, der ihnen unbekannt war und der eiligst einen Platz verließ, auf welchem neben einem geplünderten Taschenbuch und einer blutbefleckten Reitpeitsche der Körper eines sterbenden Mannes lag.
Ein Gewebe von anklagenden Umständen umspann ihn. Eine Stunde zuvor wäre das Entkommen leicht gewesen. Er hätte nur zu sagen brauchen: »Ich bin der Sohn von Sir Richard Devine. Kommt mit mir in jenes Haus und ich will Euch beweisen, daß ich es nur so eben verlassen habe.«
So hätte er seine Unschuld für den Augenblick beweisen können. Das war jetzt unmöglich geworden. So wie er Sir Richard kannte und da er überdies glaubte, daß der alte Mann in wüthender Leidenschaft dem Zerstörer seiner Ehre begegnet sei und denselben gemordet habe, sah sich der Sohn von Lord Bellasis und Lady Ellinor Devine in einer Lage, die ihm nur gestattete, sich schweigend zu opfern. Oder er hätte sich eine zweifelhafte Sicherheit erkaufen können durch ein Geständniß, das seiner Mutter Ehre bloßgestellt und dem Manne den Tod bereitet hätte, den seine Mutter betrogen. Wenn der verstoßene Sohn als Gefangener nach Nordend-Haus gebracht wäre, so würde Sir Richard, durch sein Schicksal jetzt doppelt niedergedrückt, ihn sicher verleugnet haben und er würde in seiner Selbstvertheidigung gezwungen gewesen sein, seine Mutter der öffentlichen Schande auszusetzen und den Mann an den Galgen zu bringen, der zwanzig Jahre lang betrogen wurde und dessen Güte er doch seine Erziehung und seinen Unterhalt bis jetzt verdankte. Er kniete noch immer, unfähig zu sprechen, oder sich zu bewegen.
»Hier, Mylord,« rief Mogford, »Mylord, sprechen Sie, ist dies der Schurke ?«
Lord Bellasis sammelte noch einmal seine schwindenden Sinne, öffnete die glasigen Augen, starrte mit angstvollem Eifer in seines Sohnes Antlitz, schüttelte den Kopf, hob den schwachen Arm, als ob er anderswohin zeigen wollte und fiel todt zurück.
»Wenn er ihn nicht gemordet hat, so hat er ihn doch beraubt,« murrte Mogford ärgerlich, »und er soll diese Nacht in Bowstreet schlafen. Tom, laufe nach der Wache und sage, sie sollen am Thor melden, daß ich Einen für die Kutsche habe. Bringe ihn jetzt mit, Jack! Wie heißt Ihr, he ?«
Er wie erholte die rauhe Frage zwei Mal, ehe der Gefangene antwortete. Endlich hob Richard Devine sein bleiches Antlitz, dem ein fester Entschluß den Ausdruck trotziger harter Männlichkeit ausgeprägt hatte und sagte,
»Dawes – Rufus Dawes.«
Sein neues Leben hatte jetzt begonnen; denn in dieser Nacht lag ein gewisser Rufus Dawes wachend im Gefängnis und wartete auf die Ereignisse des nächsten Tages. Er war des Mordes und des Raubes angeklagt.
Zwei andere Männer warteten auch ängstlich. Der Eine Mr. Lionel Crofton, der Andere jener Reiter, welcher mit dem ermordeten Lord Bellasis eine Zusammenkunft unter den Tannenbäumen auf der Hampstead-Heide verabredet hatte.
Was Sir Richard Devine anbetraf, so erwartete er Niemand. Als er sein Zimmer erreichte, war er besinnungslos niedergestürzt, von einem Schlaganfall getroffen.
Erstes Capitel.
Das Gefangenenschiff
Es herrschte eine Stille an diesem tropischen Nachmittage, die kein Hauch störte. Die Luft war heiß und schwer, der Himmel bleiern und wolkenlos und nur der Schatten des Malabar lag auf der Oberfläche des großen glänzenden Meeresspiegels.
Die Sonne, welche jeden Morgen zur linken Hand wie eine glühende Kugel aufging, um langsam durch das stets unveränderte Blau nach Rechts hinüber zu wandern, bis sie flammend Himmel und Ocean im Untergehen verband, war gerade tief genug gesunken, um unter das Zelt zu streifen, das auf dem Hinterdeck befestigt war. Sie weckte hier einen jungen Mann, der, in Interims-Uniform gekleidet, auf einem zusammengerollten Seile geschlummert hatte.
»Verdammt,« sagte er, erhob und streckte sich mit dem müden Seufzer der Leute die nichts zu thun haben. »Ich muß geschlafen haben.« Dann hielt er sich an einer Leiter und blickte hinab in das Schiff. Außer dem Mann am Ruder und der Wache an der Ouarterreeling war er allein auf Deck. Einige Vögel flogen um das Schiff herum und schienen unter den Sternfeuern nur zu verschwinden, um am Bug wieder zu erscheinen. Ein fauler Albatroß, von dessen Flügeln noch das Wasser tropfte, schwang sich leewärts auf, mit einem plätschernden Ton und an der Stelle, von wo er aufgeflogen, glitt die scheußliche Flosse eines leise schwimmenden Hai’s dahin. Die Ritzen des wohlgescheuerten Decks klebten von dein geschmolzenen Theer und die Messingplatte des Compaßhäuschens blitzte in der Sonne wie ein Edelstein. Es ging kein Wind und sobald das ungeschickte Schiff aus den sich hebenden und senkenden Wellen hin und her rollte , schlugen die schlaffen Segel mit regelmäßig wiederkehrendem Geräusch an die Masten und das Bugspriet hob sich mit den Wellen höher und höher und tauchte