Deportiert auf Lebenszeit. Marcus Andrew Hislop Clarke

Deportiert auf Lebenszeit - Marcus Andrew Hislop Clarke


Скачать книгу
herum, in der verschiedensten Art beinahe halb entkleidet. Sie spielten Karten, tauchten oder beobachteten die Angelleinen, die sie über die Katzenköpfe ausgehängt hatten.

      So weit war das Aussehen des Schiffes in keiner Weise von dem eines gewöhnlichen Transportschiffes unterschieden. Aber aus dem Mitteldeck zeigte sich ein merkwürdiger Anblick. Es war, als ob man dort eine Viehhürde gebaut hätte. Am Fuß des Vordermastes und am Quarterdeck lief eine starke, mit Schießscharten versehene Barrikade von einem Bollwerk zum andern quer über das Deck. Es waren Thüren darin zum Eingang und Ausgang. Außerhalb stand eine bewaffnete Schildwache.

      Innerhalb standen, saßen oder wanderten unablässig auf und ab, stets im Bereich der glänzenden Flintenläufe auf dem Hinterdeck, ungefähr sechzig Männer und Knaben, Alle in einförmiges Grau gekleidet. Diese Männer und Knaben waren Gefangene der Krone und die Viehhürde war ihr Platz, wo sie sich bewegen durften.

      Ihr Gefängnis war unten im Zwischendeck. Die Barrikade bildete dort unten fortgesetzt die Seitenwände. Es ging gegen das Ende der zwei Stunden, die Seine Majestät Georg der Vierte alle Nachmittag gnädigst den Gefangenen der Krone als Erholung gestattet hatte und dieselben genossen diese Vergünstigung. Es war freilich nicht so angenehm wie unter dem Zelt des Hinterdecks, aber dieser heilige Schatten war nur für so hohe Personen bestimmt wie der Kapitain und seine Offiziere, Wundarzt Pine, Lieutnant Maurice Frere und der größte Stern unter Allen, Kapitain Vickers und Gemahlin.

      Gewiß wäre der Deportierte, der jetzt dort an der Schanzkleidung lehnte, gern seinen Feind, die Sonne, los geworden, wenn auch nur für einen Augenblick. Seine Kameraden saßen an den Luken oder lagen und hockten gleichgültig in den verschiedensten Stellungen auf der schattigen Seite der Barrikade. Sie lachten und plauderten mit einer widerwärtigen und unanständigen Lustigkeit, die gräulich anzuhören war. Der einsame Gefangene aber hatte seine Kappe bis tief in die Augen gedrückt, seine Hände in dir Taschen seiner groben, grauen Kleider gesteckt und hielt sich fern von ihrer störenden Fröhlichkeit. Die Sonne sendete ihre heißesten Strahlen auf seinen Kopf. Er achtete nicht darauf und obgleich jede Spalte und Ritze im Schiff glühend heiß und ausgedorrt war, so stand er doch düster und bewegungslos da und starrte in die stille See. So hatte er da gestanden, bald hier, bald dort, seit das ächzende Schiff den großen Wogen des biskaischen Meeres entgangen und seit die elenden hundertundachtzig Geschöpfe, zu denen er gehörte, von ihren Ketten befreit worden waren und ihnen erlaubt wurde, zwei Mal täglich frische Luft zu schöpfen.

      Die rohen Verbrecher mit niedriger Stirn und groben Zügen, welche auf dem Deck umherstanden, warfen manchen Blick schweigender Verachtung auf ihn, doch machten sie ihre Bemerkungen bisher nur durch Bewegungen kund. Auch unter den Verbrechern gibt es Abstufungen und Rufus Dawes, der Deportierte Uebelthäter, der dem Galgen nur entgangen war, um sein Leben in Ketten hinzubringen, war ein Mann von einiger Bedeutung.

      Er war des Raubes und des Mordes an Lord Bellasis angeklagt. Dem unbekannten Vagabunden glaubte man die Geschichte nicht, daß er den Sterbenden auf der Heide aufgefunden, aber das Zeugniß des Wirths zu den drei Spaniern sprach für ihn. Der Mann sagte aus, daß der ermordete Edelmann den Kopf geschüttelt, als man ihn gefragt, ob dieser der Mörder sei. So wurde er von der Anklage des Mordes freigesprochen, aber wegen des Raubes zum Tode verurtheilt. London interessierte sich für seinen Prozeß und pries ihn glücklich, daß sein Urtheil in Deportotion auf »Lebenslänglich« verwandelt wurde. Es war Sitte an Bord dieser schwimmenden Gefängnisse, jedes Mannes Verbrechen vor seinen Gefährten geheim zu halten, so daß, wenn er wollte und seine Gefangenenwärter es gestatteten, er ein neues Leben in dem neuen Lande beginnen konnte, ohne wegen feiner früheren Unthaten beleidigt zu werden.

      Aber dies blieb nur wie viele ähnliche Dinge eine gute Absicht und Wenige nur von den Hundertundachtzigen gab es, welche nicht die Thaten ihrer Gefährten kannten. Die Schuldigsten rühmten sich ihrer Verbrechen; die weniger Schuldigen schworen laut, daß ihre Schuld viel größer sei, als sie erscheine. Der Name von Rufus Dawes hatte einen entsetzlichen Ruf erlangt, denn seine vermeintliche That schien so scheußlich und so unerklärlich, gerade weil er eine höhere, geistige Ausbildung hatte. Auch fein hochmüthiger Sinn und seine mächtige Gestalt trugen dazu bei, ihn auszuzeichnen. Er, ein junger Mann von zweiundzwanzig Jahren, ohne Verwandte und Freunde, lebte unter ihnen nur, weil er ein Verbrechen begangen und wurde geachtet und bewundert. Der niedrigste unter den Niedrigsten dieser Horde lachte wohl hinter seinem Rücken über die vornehme Art, die er hatte, beugte sich aber vor ihm und unterwarf sich ihm, wenn er ihn von Angesicht zu Angesicht traf. Auf einem Gefangenenschiff ist der größte Schurke der größte Held und der einzige Adel, der von dieser entsetzlichen Gemeinschaft anerkannt wird, ist der des Ordens vom Strick, den der Henker austheilt.

      Der junge Mann auf dem Hinterdeck erblickte jetzt die stattliche Gestalt von Rufus Dawes am Schanzbord und fand darin eine Gelegenheit, die Einförmigkeit seines Amtes ein wenig zu unterbrechen.

      »Ihr da,« rief er fluchend, »fort da aus dem Gange!«

      Rufus stand gar nicht im Gange, war wohl zwei Fuß davon ab, aber bei dem Ton von Lieutnant Frere’s Stimme fuhr er auf und ging gehorsam nach der Mitte.

      »Wird der Hund grüßen,« schrie Frere und kam bis an die Quarterreeling. »Wird er grüßen. Hört er!«

      Rufus Dawes berührte seine Mütze in militairischer Weise.

      »Ich werde die Kerls Höflichkeit lehren, wenn sie sich nicht in Acht nehmen,« brummte der ärgerliche Frere, halb für sich, halb laut sprechend. »Unverschämte Buben!«

      Da gab das Geräusch, das die Wache auf dem Quarterdeck beim Präsentiren machte, seinen Gedanken eine andre Richtung. Ein magerer, großer Mann, von militairischem Aeußeren, mit kaltem, blauem Auge und knappen Zügen kam aus der Kajüte von unten und führte eine blonde, gezierte, ängstliche Dame mittleren Alters hinauf. Kapitain Vickers von Frere’s Regiment, der nach Van Diemens Land kommandiert war, brachte seine Gemahlin auf Deck, damit dieselbe Appetit zum Mittag bekäme.

      Mrs. Vickers war zweiundvierzig Jahre alt, – sie gestand nur dreiunddreißig zu und war elf Jahre lang eine Garnison-Schönheit gewesen, ehe sie Kapitain Vickers heirathete. Die Ehe war nicht glücklich. Vickers fand seine Frau eitel, verschwenderisch und bissig. Sie fand ihn hart, gewöhnlich und prosaisch. Eine Tochter, nach zweijähriger Ehe geboren, war das einzige Kind, das diese unpassende Ehe zusammenhielt. Vickers vergötterte die kleine Sylvia und als ihm seiner Gesundheit wegen eine lange Seereise angerathen wurde und er sich deshalb in das —ten Regiment versetzen ließ und darauf bestand, das Kind mitzunehmen, machte seine Frau sehr viele Einwendungen ihrer Erziehung wegen.

      »Er würde sie selbst erziehen,« sagte er, »sie solle nicht zu Hause bleiben.«

      So gab denn Mrs. Vickers nach langem Sträuben ihre Träume von Bath u.s.w. auf und folgte ihrem Manne mit so guter Miene, als sie nur irgend machen konnte. Einmal auf hoher See, versöhnte sie sich mit ihrem Schicksal und wandte ihre Zeit dazu an, ihre Tochter zu schelten, ihr Mädchen zu quälen und den bäurischen jungen Lieutnant Maurice Frere zu bezaubern.

      Koketterie gehörte zu Julia Vickers Natur; sie lebte nur, um bewundert zu werden. Selbst auf einem Gefangenenschiff, neben ihrem Gatten mußte sie kokettieren, oder umkommen in der Langeweile ihres geistigen Lebens.

      Es war in ihr grade nichts Böses. Sie war nur ein eitles Weib in mittleren Jahren und Frere nahm ihre Aufmerksamkeiten noch dem Werth derselben auf. Ueberdies war ihre Freundlichkeit gegen ihn ihm nützlich aus Gründen, die bald an den Tag treten werden. Er lief die Treppe hinab, seine Mütze in der Hand haltend und bot seinen Beistand an.

      »Danke, Mr. Frere. Diese abscheulichen Treppen! Ich zittre wirklich immer davor. Heiß! Ja, es ist erdrückend. John, den Feldstuhl. Bitte, Mr. Frere, oh, danke sehr. Sylvia! Sylvia!l John, hast Du mein Riechsalz? Noch immer Windstille, nicht wahr? Diese schrecklichen Windstillen.«

      Dieses halb elegante Geschwätz zwanzig Schritt von der Hürde der wilden Thiere, auf der andern Seite der Barrikade, klang sonderbar. Mr. Frere dachte sich nichts dabei. Vertrautheit mit einer Sache nimmt ihr alle Schrecken und die unheilbare Kokette breitete ihre Mullröcke aus und zeigte ihre verbrauchte Anmuth vor den Augen der grinsenden Gefangenen mit eben so viel Selbstgefälligkeit, als ob sie in einem Ballzimmer in Chatham gewesen wäre. Ja, gewiß, wenn


Скачать книгу