Max Havelaar oder Die Kaffee-Versteigerungen der NiederländischenHandels-Gesellschaft. Multatuli

Max Havelaar oder  Die Kaffee-Versteigerungen der NiederländischenHandels-Gesellschaft - Multatuli


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dann  woher weiß eine Person, die in Versen redet, was die andere zu antworten hat, um ihr den Reim bequem zu machen? Wenn der Feldherr zu der Prinzessin sagt: »Prinzeß, es ist zu spät, verschlossen sind die Thüren« wie kann er da vorher wissen, daß sie sagen will: »Wohlan denn, unverzagt laßt uns die Schwerter rühren« Wenn sie nun einmal, da die Thür zu ist, antwortet, sie werde dann warten, bis wieder aufgemacht wird, oder sie würde ein ander Mal wiederkommen, wo bleibt da Maß und Reim? Ist es also nicht purer Unsinn, wenn der Feldherr die Prinzessin fragend ansieht, um zu wissen, was sie nach Thoresschluß thun will? Noch eins: wenn sie nun gerade Lust hätte, zu Bette zu gehen, anstatt irgend etwas zu rühren? Alles Unsinn

      Und dann die belohnte Tugend? O, o  ich bin seit siebzehn Jahren Makler in Kaffee  Lauriergracht Nummer 37,  und ich habe also etwas erlebt  das aber kränkt mich immer fürchterlich, wenn ich die gute liebe Wahrheit so verdrehen sehe. Belohnte Tugend  ist das nicht, um aus der Tugend einen Handelsartikel zu machen? Es ist nicht so in der Welt,  und es ist gut, daß es nicht so ist, denn wo bliebe das Verdienst, wenn die Tugend belohnt würde Wozu also immer die infamen Lügen vorgeschoben?

      Da ist zum Beispiel Lukas, der Packknecht, der schon bei dem Vater von Last & Co. gearbeitet hat,  die Firma war damals Last & Meyer, aber die Meyers sind heraus  das war doch wohl ein tugendhafter Mann. Keine Kaffeebohne ging da verloren, er ging gewissenhaft zur Kirche, und trinken that er auch nicht; als mein Schwiegervater zu Driebergen war, bewahrte er das Haus und die Kasse und alles. Einmal hatte er an der Bank siebzehn Gulden zu viel erhalten, und er brachte sie zurück. Er ist nun alt und gichtig und kann nicht mehr dienen. Nun hat er nichts; denn es ist viel Umsatz bei uns, und wir brauchen junge Leute. Nun also, ich halte diesen Lukas für sehr tugendhaft, und wird er nun belohnt? Kommt da ein Prinz, der ihm Diamanten schenkt, oder eine Fee, die ihm Butterbrote schmiert? Wahrhaftig nicht, er ist arm, er bleibt arm, und das muß auch so sein. Ich kann ihm nicht helfen  denn wir brauchen junge Leute, weil viel Umsatz bei uns ist  aber könnte ich auch, wo bleibt da sein Verdienst, wenn er nun auf seine alten Tage ein sorgenloses Leben führen könnte? Dann sollten wohl alle Packknechte tugendhaft werden, und jeder einzelne,  was doch der Zweck nicht sein kann, weil dann für die Braven nachher keine besondere Belohnung übrig bliebe. Aber auf der Bühne verdrehen sie das;  alles Schwindel.

      Ich bin auch tugendhaft, aber verlange ich dafür eine Belohnung? Wenn meine Geschäfte gut gehen  und das thun sie  wenn meine Frau und die Kinder gesund sind, sodaß ich keine Schererei habe mit Doktor und Apotheker,  wenn ich jahraus, jahrein ein Sümmchen zurücklegen kann für die alten Tage;  wenn Frits frisch aufwächst, um später an meine Stelle zu treten, wenn ich nach Driebergen gehe,  dann bin ich zufrieden. Aber das ist alles die natürliche Folge der Umstände, und weil ich auf das Geschäft acht gebe;  für meine Tugend verlange ich nichts.

      Und daß ich doch tugendhaft bin, sieht man klar aus meiner Liebe zur Wahrheit;  das ist, nach meiner Festigkeit im Glauben, meine Hauptneigung; und ich wünsche, daß ihr davon überzeugt wäret, Leser, denn es ist die Entschuldigung für das Schreiben dieses Buches.

      Eine zweite Neigung, die bei mir ebenso hoch wie die Wahrheitsliebe angeschrieben steht, ist der Herzenszug für mein Fach  ich bin Makler in Kaffee, Lauriergracht Nr. 37. Nun also, Leser, meiner unantastbaren Liebe zur Wahrheit und meinem geschäftlichen Eifer habt ihr es zu danken, daß diese Blätter geschrieben sind. Ich will euch erzählen, wie das gekommen ist. Da ich nun für den Augenblick von euch Abschied nehmen muß- ich muß nach der Börse  so lade ich euch nachher auf ein zweites Kapitel. Auf Wiedersehen also.

      Und, na, hier, steckt es ein  es ist eine kleine Mühe  es kann zu paß kommen  sieh da, da ist es  meine Geschäftskarte  die Compagnie bin ich, seit die Meyers heraus sind  der alte Last ist mein Schwiegervater.

      Zweites Kapitel

      Herr Batavus Droogstoppel thut einen großen Schachzug gegen die Konkurrenz. Er trifft einen alten Bekannten, der sich gern in Sachen mischte, die ihn nichts angingen z.B. das Abenteuer mit dem Griechen.

      Es war flau auf der Börse, die Frühjahrsversteigerung muß es wieder gutmachen. Denkt nicht, daß bei uns kein Umsatz ist  bei Busselinck & Waterman ist es noch flauer. Es ist eine sonderbare Welt; man erlebt schon was, wenn man so an zwanzig Jahre die Börse besucht. Denkt euch, daß sie danach getrachtet haben  Busselinck & Waterman, meine ich  mir Ludwig Stern abzunehmen. Da ich nicht weiß, ob ihr an der Börse Bescheid wißt, will ich euch sagen, daß Stern ein erstes Haus in Kaffee ist, in Hamburg, welches stets durch Last & Co. bedient worden ist. Ganz zufällig kam ich dahinter  ich meine hinter die Pfuscherei von Busselinck & Waterman. Sie würden ein Viertel Prozent von der Courtage fallen lassen  Schleicher sind sie, weiter nichts  und nun seht, was ich gethan habe, um diesen Schlag abzuwehren. Ein anderer an meiner Stelle hätte vielleicht an Ludwig Stern geschrieben, daß er auch etwas ablassen wolle, und daß er auf Berücksichtigung hoffe wegen der langjährigen Dienste von Last & Co. (ich habe ausgerechnet, daß die Firma, seit rund fünfzig Jahren, vier Tonnen an Stern verdient hat: die Beziehung datiert von der Kontinentalsperre her, als wir die Kolonialwaren von Helgoland einschmuggelten) und solche Dinge mehr. Nein, schleichen thue ich nicht. Ich bin nach »Polen« gegangen, ließ mir Feder und Papier geben, und schrieb:

      »Daß die große Ausbreitung, die unsere Geschäfte in der letzten Zeit genommen haben, besonders durch die vielen geehrten Aufträge aus Norddeutschland« (es ist die reine Wahrheit), »eine Vermehrung des Personals nötig machte;« (es ist die Wahrheit,  gestern noch war der Buchhalter nach elf auf dem Kontor, um seine Brille zu suchen); »daß vor allem sich das Bedürfnis geltend mache nach anständigen, wohlerzogenen jungen Leuten für die Korrespondenz im Deutschen. Daß zwar viele deutsche junge Männer in Amsterdam vorhanden wären, die auch die gewünschten Fähigkeiten besäßen, daß aber ein Haus, das auf sich hält« (es ist die reine Wahrheit), »bei dem zunehmenden Leichtsinn und der Leichtlebigkeit der Jugend, bei dem täglichen Anwachsen der Zahl der Glücksjäger, und mit Rücksicht auf die Notwendigkeit eines soliden Lebenswandels, um Hand in Hand zu gehen mit der Solidität in der Ausführung erteilter Aufträge« (es ist wahrhaftig alles die lautere Wahrheit), »daß solch ein Haus  ich meine Last & Co., Makler in Kaffee, Lauriergracht Nr. 37  nicht umsichtig genug sein könne beim Engagieren von Personen …«

      Das ist alles die reine Wahrheit, Leser. Weißt du wohl, daß der junge Deutsche, der auf der Börse bei Pfeiler 17 stand, mit der Tochter von Busselinck & Waterman davongelaufen ist? Unsere Marie wird im September auch bereits dreizehn.

      »Daß ich die Ehre gehabt hätte, von Herrn Saffeler«– Saffeler reist für Stern  »zu vernehmen, daß der geschätzte Chef der Firma Stern einen Sohn habe, den Herrn Ernst Stern, der zur Vervollständigung seiner kaufmännischen Kenntnisse einige Zeit in einem holländischen Hause arbeiten möchte.«

      »Daß ich mit Rücksicht auf«– (hier wiederholte ich die Sittenlosigkeit und erzählte die Geschichte von Busselinck & Watermans Tochter; es kann nicht schaden, wenn man das weiß;) »daß ich mit Rücksicht darauf nichts lieber sehen würde, als Herrn Ernst Stern mit der deutschen Korrespondenz unseres Hauses betraut zu sehen.«

      Aus Zartgefühl vermied ich alle Anspielung auf Gehalt oder Salair, ich fügte aber bei:

      »Daß, falls Herr Ernst Stern mit dem Aufenthalt in unserem Hause  Lauriergracht Nr. 37  vorlieb nehmen wollte, meine Frau sich bereit erklärte, wie eine Mutter für ihn zu sorgen, und daß seine Wäsche im Hause besorgt werden würde.« (Das ist die reine Wahrheit, denn Marie stopft und strickt ganz nett. Und zum Schlusse:) »Daß bei uns dem Herrn gedient wird.«

      Das kann er in seine Tasche stecken, denn die Sterns sind lutherisch.

      Und den Brief schickte ich ab. Ihr begreift, daß der alte Stern nicht gut zu Busselinck & Waterman übergehen kann, wenn der junge bei uns auf dem Kontor ist. Ich bin sehr neugierig auf die Antwort.

      Um nun wieder auf mein Buch zurückzukommen. Vor einiger Zeit komme ich des Abends durch die Kalverstraat, und ich blieb vor dem Laden eines


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