Der Geist von King Valley. Zsolt Majsai
ich wieder zu James gehe und mich am Kopfende seiner Liege hinhocke, sagt sie: „Das freut mich. Zumal ich jetzt im Orga-Team bin.“
Ich sehe sie fragend an. „Erstens: Was hat das miteinander zu tun? Und zweitens, von welchem Orga-Team redest du überhaupt?“
James und mein Vater grinsen erwartungsvoll.
„Für das Straßenfest.“
„Straßenfest? Welches Straßenfest?“
„Das King-Valley-Straßenfest.“
Ich richte mich auf. Nach kurzem Überlegen ziehe ich die Schuhe und die Jeans aus, dann lege ich mich neben James auf eine zweite Liege.
„Wer hatte denn diese bescheuerte Idee?“, frage ich dann genüßlich.
„Wieso ist sie bescheuert? Überhaupt, was ist das denn für eine Wortwahl?“
„Eine sehr vornehme und zurückhaltende, zumindest für meine Verhältnisse. Also, jetzt mach es doch nicht noch spannender, sonst schlaf... platze ich!“
Meine Mutter macht kurz ein beleidigtes Gesicht, doch dann kann sie sich nicht beherrschen und lächelt. „Wieso wussten deine Männer, wie du reagieren wirst?“
„Du wusstest es nicht?“
„Doch. Aber ich habe aus Prinzip widersprochen.“
Ich werfe einen Blick auf Nicholas, der mir den Caipi bringt. Er verzieht keine Miene, lediglich seine Mundwinkel zucken kurz und verraten dadurch, dass er sich königlich amüsiert.
„Außerdem kommen die Einnahmen einem Obdachlosenverein zugute.“
„Aha. Also ein Charity-Event. Mama, das ist nicht dein Ernst!“
„Wieso nicht? Was hast du dagegen?“
„Das fragst du noch? Hallo? Seit wann machst du so einen Scheiß? Wieso spendest du nicht einfach dem Verein was?“
„Wer sagt denn, dass ich das nicht tue? Chrissy und ich halten das Fest für eine gute Idee und werden es machen. Ende der Diskussion.“
Ich starre meine Mutter entgeistert an. Das sind ja ganz ungewohnte Töne von ihr. Mein Vater und James sehen auch überrascht aus.
„Na gut. Ich diskutiere sowieso nie.“
Meine Mutter bekommt einen Lachanfall, mein Vater kann sich mit Mühe beherrschen und James verdreht die Augen, bei ihm ein emotionaler Ausbruch.
Ich lehne mich zurück und nippe wortlos an meinem Caipi. Straßenfest. In King Valley. Da bin ich ja mal gespannt.
„Willst du nicht nach Hause? Feierabend machen?“
Ich schaue hoch und mustere Monica. Als ich antworte, dass ich Angst habe, entgleisen ihr die Gesichtszüge.
„Angst? Du?!“
„Heute ist doch das Straßenfest.“
„Oh“, erwidert sie. „Das meinst du. Sorry, da kann ich dir auch nicht helfen.“
„Ich weiß“, sage ich seufzend. „Niemand kann das.“
„Was ist überhaupt das Problem? Sei doch froh, dass deine Mutter eine Aufgabe hat.“
„Bin ich ja auch. Sie ist ja schon lange aktiv in allen möglichen Initiativen. Das ist alles sehr schön, nach den Ereignissen damals hätte es auch anders kommen können. Aber hallo? Ein Straßenfest, ausgerechnet in King Valley? Haben alle Frauen da ein Trauma erlitten, das sie so kompensieren müssen?“
„Du bist zynisch und gemein.“
„Warum ist das gemein? Bei meiner Mutter weiß ich, dass es auch mit damals zu tun hat. Vorher hat sie die Wohltätigkeit als Alibi betrieben, wie das halt andere Frauen in ähnlichen Positionen auch machen. Aber seit drei Jahren macht sie es mit Hingabe, aus Überzeugung. Ist ja auch okay. Kann sie gerne machen, wenn es ihr guttut. Und Menschen, die etwas Unterstützung gebrauchen können, haben auch etwas davon.“
„Du machst das ja auch. Menschen helfen.“
„Ich mache keine Straßenfeste!“
„Warum eigentlich nicht?“, fragt Monica, aber sie grinst dabei.
„Weil ich die Heuchelei nicht ertrage. Hast du eine Ahnung, wie die Anwohner in den eigenen vier Wänden über andere reden? Ich will gar nicht wissen, was alles über mich erzählt wird.“
„Na, Stoff lieferst du ja genug.“
„Ich bin das rosa Schaf.“
„Bitte, was bist du?“
„Das rosa Schaf.“ Ihr Gesichtsausdruck lässt mich laut loslachen. „Monica, was ein schwarzes Schaf ist, weißt du schon?“
„Natürlich!“
„Schwarzes Schaf kann jeder. Ich bin aber ein rosa Schaf. Selbst unter schwarzen Schafen falle ich auf.“
Monica sieht mich mitleidig an. „Ich persönlich will gar kein Schaf sein.“
„Sondern?“
„Schafhirt oder Wolf.“
„Okay, dann bin ich eben ein rosa Wolf.“
Kopfschüttelnd wendet sie sich ab. „Ich mache jetzt Feierabend. Lass die Schafe am Leben, egal, welche Farbe sie haben!“
„Ich werde es mir überlegen.“
„Tue das! Und schönen Abend, du Wahnsinnige!“
„Schönen Abend, Monica.“
Ich blicke ihr lächelnd hinterher. Mir wird mal wieder bewusst, was für ein Glück ich habe, dass ich sie von meinem Vater geerbt habe. Dass sie sich nicht eine neue Stelle gesucht hat. Als Chef-Sekretärin hätte sie bei jeder großen Firma unterkommen können, mit meinem Vater als Referenz. Aber ich glaube, sie hat nicht einmal darüber nachgedacht.
Seufzend fahre ich den Rechner herunter, packe mein Handy und die Schlüssel ein und fahre mit dem Aufzug in die Tiefgarage. Hoffentlich komme ich mit dem Auto überhaupt bis nach Hause. Sicher ist das nicht. Wenn ich mich nicht irre, hat meine Mutter etwas angedeutet, dass auch auf ihrem Grundstück was aufgebaut wird, und davor sowieso. Und unser Haus kommt ja erst danach.
So ist es dann auch. King Valley ist abgesperrt, ich komme mit dem Auto nicht einmal bis Haus Nummer 1, geschweige denn bis 13.
Eine große Wiese wurde angemietet und dient als kostenloser Parkplatz für Anwohner. Gäste müssen hingegen sogar Parkgebühr bezahlen. Ich bekomme mit, wie ein Paar mittleren Alters, das aus einem Porsche steigt, neben der Parkgebühr von 5 Dollar noch um eine Extra-Spende „gebeten“ wird. Nach kurzem Zögern schmeißt der Mann, der mir bekannt vorkommt, mehrere Hunderter in den dafür vorgehsehenen Eimer. Der hat sogar einen Deckel, den Lisa und Luise, die in der 33 wohnen, sorgfältig verschließen.
„Hallo Fiona!“, ruft dann Lisa und winkt mir zu. „Das Fest ist schon in vollem Gange!“
„Kaum zu übersehen“, erwidere ich und spaziere zu ihnen. „Scheinen viele Gäste da zu sein.“
„Mehr als wir gehofft haben“, sagt Luise, ihre Schwester, strahlend. „Deine Mutter hatte da eine echt gute Idee! Wir haben schon beschlossen, dass wir das jetzt jedes Jahr machen wollen.“
Oh mein Gott!
Die beiden fehlinterpretieren meinen Gesichtsausdruck und wünschen mir viel Spaß.
Die ersten Stände scheinen professionell zu sein, ich könnte Taschen und Handyzubehör zu Schnäppchenpreisen kaufen, wenn ich denn wollte. Die Verkäufer geben sich jedenfalls viel Mühe, mich davon zu überzeugen, dass ich als Dame von Welt eine Gucci-Handtasche brauche. Ich verkneife mir den Hinweis, dass ich welche von meiner Mutter leihen könnte, wenn ich sie wirklich bräuchte. Sie wären wenigstens echt, im Gegensatz zu den 50-Dollar-Imitaten. Wie bescheuert sind sie denn, ausgerechnet