Familie Dr. Norden Staffel 1 – Arztroman. Patricia Vandenberg
dann bin ich das«, reklamierte er. »Ich muss mich gegen so hartnäckige Konkurrenten wie Zuckerguss und Kuvertüre behaupten. Das ist nicht leicht, sag ich dir.« Er zwinkerte seiner Freundin zu, ehe er sich auf den Weg zur Tür machte. Als er sie öffnete, staunte er nicht schlecht. »Anneka! Das ist ja eine Überraschung. Hattest du etwa Sehnsucht nach mir?« Er trat einen Schritt zur Seite, um seine älteste Schwester einzulassen.
Lachend nahm sie das Angebot an.
»Nicht wirklich. Eigentlich wollte ich zu Tatjana. Ich brauche ihren weiblichen Rat.« Sie legte den Kopf schief und sah ihren Bruder an. »Wenn ich störe, komm ich wann anders wieder.«
»Nein, bleib nur. Wir sind gerade mit dem Frühstück fertig. Ich hab schon die ganze Zeit drüber nachgedacht, wie ich Jana beibringen soll, dass ich meinen Kumpels versprochen hab, Formel Eins anzuschauen.« Er beugte sich zu Anneka hinunter. »Ich hab ihr sogar schon einen Besuch in der Eisdiele vorgeschlagen. Als Wiedergutmachung, wenn ich wieder zurück bin«, raunte er ihr zu.
Statt Anerkennung erntete er nur ein spöttisches Grinsen.
»Männer! Ihr seid doch alle gleich.« Kopfschüttelnd ließ sie ihn stehen und ging voraus in den großzügigen Wohn-Ess-Bereich.
Die Begrüßung war herzlich. Als Danny seine Freundin vor ein paar Jahren vorgestellt hatte, hatte die sehbehinderte, aber taffe Tatjana die Herzen der Nordens im Sturm erobert. Und auch wenn sich das junge Paar hin und wieder zankte und kabbelte, änderte das nichts an der Verbundenheit zur übrigen Familie.
»Wie schön, dass du uns besuchen kommst. Ich kann weibliche Unterstützung brauchen.« Tatjana klopfte auf den freien Platz neben sich. »Setz dich! Ein bisschen Eiweiß und Mineralstoffe gefällig?« Sie deutete auf das Glas mit der Haselnusscreme.
Anneka lachte.
»Nein, danke, ich hatte schon Vitamine in Form von Marmelade.« Einen Kaffee nahm sie aber gern. Sie nippte an der Tasse, ehe sie auf den Grund ihres Besuchs zu sprechen kam. »Ich brauch deinen Rat.«
Auf diese Gelegenheit hatte Danny nur gewartet.
»Dann stört es euch ja sicher nicht, wenn ich mal für ein, zwei Stündchen verschwinde, oder? Muss was erledigen.«
Tatjana musterte ihn aus schmalen Augen.
»Wo schaut ihr denn Formel Eins?«
Schlagartig wurde Danny rot.
»Woher weißt du das?«
»Erstens bist du ein Mann, und zweitens bin ich nicht blöd. Ich war echt schon gespannt, wie du mir deinen Plan verkaufst.« Ehe Danny etwas zu seiner Verteidigung vorbringen konnte, wedelte sie mit der Hand hin und her, als wollte sie eine Fliege verscheuchen. »Los, raus mit dir! Die Osteoporose-Behandlung will ich mir auf keinen Fall entgehen lassen.«
»Du bist ein Schatz!« Er warf ihr eine Kusshand zu.
»Wiedersehen!« Damit wandte sich Tatjana ab und konzentrierte sich auf Anneka. »Ist deiner genauso?«
Auf die Antwort konnte Danny getrost verzichten. Er griff nach seiner Jacke und machte, dass er davonkam. Als die Tür hinter ihm ins Schloss gefallen war, verdrehte Anneka die Augen.
»Ach, Noah!« Ihr Seufzen kam aus tiefstem Herzen. »Du hast ja bestimmt mitbekommen, dass es bei uns in letzter Zeit nicht so gut läuft.«
»Keine Sorge. Das ist normal in einer längeren Beziehung.« Tatjana schenkte sich Kaffee nach. Sie gab Milch und Zucker dazu und rührte um. »Ihr solltet mal was Aufregendes gemeinsam machen. Eine Rafting-Fahrt mit dem Schlauchboot. Oder geht in den Klettergarten, zum Bouldern. Irgendwas nicht so Alltägliches. Das schweißt zusammen und gibt einen neuen Kick.«
»Wem sagst du das?« Deprimiert starrte Anneka in ihre Kaffeetasse. »Aber wenn ich so einen Vorschlag mache, verdreht er nur die Augen und sagt, dass er schon genug Aufregung in seinem Leben hat. Spieleabende mit Freunden, Serien schauen, auch mal Formel Eins wie Danny, das scheint inzwischen sein Lebensinhalt zu sein«, schüttete sie Tatjana ihr übervolles Herz aus. »Aber morgen haben wir Jahrestag.« Sie holte tief Luft und sah die schwesterliche Freundin an. »Ich will ihn überraschen und hab einen Tisch bei unserem Lieblingsitaliener reserviert.«
»Nicht sehr aufregend, aber immerhin ein Anfang.« Tatjana machte keinen Hehl aus ihrer Meinung. »Und was kann ich da für dich tun?«
»Ich wollte dich fragen, ob du mir ein Kleid leihen kannst. Eigentlich wollte ich Mum bitte, mir zu helfen. Aber sie hat heute früh eine Todesanzeige von einer Bekannten in der Zeitung entdeckt und für so was gerade keinen Kopf.«
»Verstehe.« Tatjana nickte. »Klar helfe ich dir. Sehr gern sogar.« Unternehmungslustig hüpfte sie vom Stuhl und zog Anneka mit sich. Arm in Arm tanzten sie hinüber ins Schlafzimmer, wo sie lachend und atemlos aufs Bett fielen.
Tatjana drehte den Kopf und blinzelte die Schwester ihres Freundes aus atemberaubend blauen Augen an.
»Morgen wirst du das schönste Mädchen in ganz München sein. Noah wird sich fragen, wie er je an was anderes denken konnte. Das schwöre ich!«, versprach sie feierlich, sodass Anneka gar nicht anders konnte, als ihr zu glauben.
*
Die obligatorische Besprechung am Montagmorgen ging unspektakulär über die Bühne. Unter leisem Murmeln und Tuscheln verließ die Ärzteschar das Büro der Klinikchefin Dr. Jenny Behnisch.
In sich gekehrt machte sich auch Felicitas Norden auf den Rückweg in ihre Abteilung. Ihr Stellvertreter Volker Lammers folgte ihr.
»Nanu, wo haben Sie denn heute Ihr penetrant glückliches Grinsen gelassen?«, erkundigte er sich. »Vermissen Sie endlich mal Heim und Herd? Von mir aus können Sie gern gehen. Ich komme auch ohne Sie klar.« Er sah sie herausfordernd an.
Doch der gewohnte Konter blieb aus.
»In einer halben Stunde sind Sie mich los«, erwiderte Fee und ließ ihn einfach stehen.
Lammers fühlte sich um seinen Spaß betrogen. Einen Moment lang stand er fassungslos da und starrte ihr nach. Dann heftete er sich an ihre Fersen.
»Augenblick! So geht das nicht! Sie verderben mir hier den ganzen Spaß.«
»Wenn ich mich nicht irre, bin ich nicht zu Ihrer persönlichen Belustigung angestellt.«
»Hören Sie auf damit!«, verlangte er. »Langsam mache ich mir Sorgen um Sie.«
An ihrem Büro angekommen, blieb Felicitas stehen und drehte sich zu ihm um.
»Die sind nicht ganz unberechtigt.« Sie legte den Kopf schief und sah durch ihn hindurch. »Schließlich wissen wir nie, was das Schicksal mit uns vorhat.« Ehe er einen weiteren dummen Kommentar loswerden konnte, lieferte sie die Erklärung für ihre Gedanken gleich mit. »Eine Studienfreundin ist vor ein paar Tagen plötzlich und unerwartet verstorben. Wir haben erst kürzlich telefoniert und wollten uns demnächst treffen. Heute ist die Beerdigung.«
»Oh, das tut mir leid.« Lammers‘ Bedauern schien echt zu sein. Doch auch wenn es nicht so gewesen wäre, hätte es Fee nicht gekümmert.
»Ja, mir auch«, murmelte sie. »Schon komisch. Da sind wir beruflich täglich mit Leben und Sterben konfrontiert. Aber wenn es einen aus den eigenen Reihen trifft …« Sie beendete den Satz nicht. Stattdessen kehrte sie mit ihren Gedanken ins Hier und Jetzt zurück. Sie atmete einmal tief durch und straffte die Schultern. »Ich denke, ich bin am frühen Nachmittag wieder.«
»Lassen Sie sich Zeit. Sie wissen ja, dass Sie sich auf mich verlassen können.«
»Eben deshalb.« Fee rang sich ein Lächeln ab und verschwand in ihrem Büro, um sich noch um ein paar Dinge zu kümmern.
*
Lenni eilte durchs Erdgeschoss und sammelte ihre Siebensachen für den Tag zusammen, als Oskar in Jogginghose und sichtlich verwirrt aus der Einliegerwohnung im Keller kam.
»Warum hast du mich denn nicht geweckt?«, fragte er und fuhr sich durch die vollen