Familie Dr. Norden Staffel 1 – Arztroman. Patricia Vandenberg
»Nicht dein Ernst, oder?«, entfuhr es ihr.
»Komm, Baby, sei nicht sauer.« Noah streckte die Hand aus, um ihr über die Wange zu streicheln.
Unsanft schlug Anneka sie weg.
»Gib’s doch zu, dass du unseren Tag vergessen hast!«, fuhr sie ihn an. »Und ich blöde Kuh mach mir tagelang Gedanken, womit ich dich überraschen könnte.«
Noah verdrehte die Augen. Er war allergisch gegen Vorwürfe.
»Ich hab ihn nicht vergessen. Wirklich nicht«, erklärte er schroff. »Aber sei doch mal ehrlich! So wichtig ist dieser Tag nun auch wieder nicht, dass wir stundenlang aufeinander hocken müssen. Ich geh heute Nachmittag zu meinen Jungs.«
Seine Stimme wurde weicher. »Dafür gehört der Abend dir, okay?«
Ehe sie widersprechen konnte, stupste er ihr auf die Nasenspitze. »Ich ruf dich an.« Dann war er verschwunden.
Anneka starrte ihm nach wie einer Erscheinung.
»Sieht nach einem durschlagenden Erfolg aus«, kommentierte Pfleger Jakob nüchtern in seinem Versteck. »Kann ich heute Nachmittag frei haben?« Er schenkte Schwester Elena sein schönstes Lächeln, gegen das sie allerdings immun war.
»Ab mit dir an die Arbeit«, wies sie ihn in die Schranken. »Oder willst du ihr ins offene Messer laufen?«
Jakob schickte der wütenden Anneka einen zweifelnden Blick.
»Na schön, dann lieber Arbeit!«, schloss er aus ihren blitzenden Blicken.
»Kluges Kerlchen«, lobte Elena, bevor sie sich auf den Weg zu Anneka machte.
»Zumindest klüger als unser Herr Rettungsassistent«, bemerkte Jakob und bekam wenigstens diesmal die volle Zustimmung seiner Vorgesetzten.
*
In rasender Fahrt folgte Felicitas Norden dem Krankenwagen, den sie zu ihrem Jugendfreund Eugen Körber gerufen hatte. Mit quietschenden Bremsen hielt sie in der Einfahrt zur Notaufnahme an und sprang aus dem Wagen, um die Liege mit Eugen zu begleiten.
»Patient mit starken Schmerzen im Oberbauch und Fieber. Verdacht auf Peritonitis«, erklärte der Rettungsfahrer.
Der diensthabende Arzt Dr. Matthias Weigand war sofort zur Stelle. Blitzschnell erfasste er die Situation und verarbeitete die Informationen.
»Wir brauchen ein Labor, Röntgen und Ultraschall vom Bauchraum.«
Fee war derselben Meinung.
»Nachdem die Schmerzen in erster Linie im Oberbauch lokalisiert sind, tippe ich auf einen Defekt der Gallenblase als Ursache für die Peritonitis«, erklärte Fee, während sie neben der Liege herlief.
Matthias sah sich schnell um.
»Sie haben es gehört! Vorsichtshalber bereiten wir OP drei vor«, wies er eine Schwester an, die sofort loslief, um die Aufträge auszuführen.
Matthias und Fee blieben zurück.
»Ich komme mit in den OP«, bestimmte sie, während sie der Liege mit dem Jugendfreund nachsah.
»Du kennst den Mann?«
Zum ersten Mal, seit sie Eugen vom Gehsteig aufgesammelt hatte, ging ihr Atem langsamer. Mit hängenden Schultern stand sie da und sortierte sich.
»Ich war mit seiner Schwester befreundet. Wir haben uns heute auf ihrer Trauerfeier zum ersten Mal seit Jahren wiedergesehen.«
»Und da ist er vor Freude gleich zusammengebrochen«, witzelte Dr. Weigand.
Unwillkürlich musste Felicitas lächeln. Sein Galgenhumor tat ihr gut.
»Scherzkeks. Also, was ist? Lässt du mich mit rein?«
Er wiegte den Kopf.
»Jetzt warten wir erst einmal die Untersuchungsergebnisse ab. Falls ein Eingriff nötig ist, darfst du mir assistieren.«
»Wie großzügig. Ich danke Euer Gnaden.« Fee deutete einen Knicks an, und beide lachten kurz in gegenseitigem Einverständnis, ehe sie sich auf den Weg in die Radiologie machten, um möglichst schnell Ergebnisse zu bekommen.
*
Wie alles, was Tatjana in die Hand nahm, erfreute sich auch der Klinikkiosk ›Allerlei‹ rasch großer Beliebtheit. Das war nicht nur der exzellenten Qualität ihrer Waren und Speisen, sondern auch ihrem gestalterischen Geschick zu verdanken. In einer allzu schnelllebigen Welt verzichtete sie auf modernen Schnickschnack. Die orientalisch angehauchte Einrichtung des Kiosks ließ die Gäste genauso eintauchen in eine andere Welt wie der üppige Garten draußen. Unterm Glasdach, behütet von mannshohen Palmen und von exotischen Pflanzen vor neugierigen Blicken geschützt, stellte sich schnell ein Urlaubsgefühl bei den Gästen ein.
»Ich wünschte, ich wäre Gast hier!«, schnaufte Lenni, als sie die lange Schlange vor dem Tresen endlich abgearbeitet hatte. Feine Schweißperlen standen auf ihrer Stirn und sie wirkte schon längst nicht mehr so enthusiastisch wie am Morgen.
»Du willst es ja nicht anders.« Oskar konnte den leisen Triumph in der Stimme kaum verbergen. Durch das Fenster sah er die winkende Hand eines Kunden. »Ich muss raus. Kassieren.« Er machte sich auf den Weg, und Lenni sah ihm nach, eine kleine Flasche Wasser in der Hand. Die viele Arbeit hatte sie durstig gemacht.
Wenn sie ehrlich war, hätte sie nicht gewusst, wie sie ohne seine Hilfe zurechtgekommen wäre. Bei einem Schluck Wasser überlegte sie noch, ob sie ihm das bei nächster Gelegenheit gestehen sollte, als sie eine Stimme aus ihrer Überlegung riss.
»Alles in Ordnung bei euch?«
Lenni erschrak so sehr, dass sie die Wasserflasche fallen ließ.
»Meine Güte, musst du dich immer so anschleichen?«, fauchte sie Tatjana an und betrachtete das Malheur zu ihren Füßen.
»Tut mir leid. Ich hab dich ungefähr fünf Mal angesprochen. Aber du hast einfach nicht reagiert.«
»Bestimmt hast du geflüstert. Das hör ich bei dem Lärm da draußen nicht«, behauptete Lenni vorsichtshalber. »Und natürlich ist alles in Ordnung. Warum auch nicht?« Sie wollte sich bücken, um die Scherben einzusammeln.
Doch Tatjana kam ihr zuvor. Mit Haushaltspapier trocknete sie den See zu Lennis Füßen. Dann holte sie Kehrblech und Besen unter dem Tresen hervor und kehrte alles zusammen. Ehe Lenni es sich versah, war die Bescherung beseitigt.
»Ehrlich gesagt hab ich ein ganz schlechtes Gewissen«, gestand Tatjana zerknirscht, als sie sich wieder aufrichtete. »Eigentlich solltest du ja nur ein paar Stunden pro Woche hier aushelfen. Und jetzt verbringst du ganze Tage mit Oskar im Kiosk. So war das nicht geplant.« Als sie Schritte hinter sich hörte, drehte sie sich um.
»Zwei Mal Cappuccino, eine Rhabarberschorle, ein Wasser und vier Stück vom Flammkuchen«, ratterte Oskar die Bestellung herunter und lächelte Tatjana an. »Du brauchst wirklich kein schlechtes Gewissen haben. Das Geschäft brummt wie ein Bienenstock, und wir haben unseren Spaß. Nicht wahr, Lenchen?« Seine Augen leuchteten vor Enthusiasmus, als er zu ihr hinübersah.
»Du hast es gehört«, erwiderte sie matt in Richtung Tatjana.
Nach einem Autounfall zunächst völlig erblindet, hatte sich Dannys Freundin eine fast mystische Sensibilität angeeignet, die die mangelnde Sehkraft bei Weitem ausglich. So spürte sie auch diesmal, dass Lennis Behauptung glatt gelogen war. Doch so lange sie leugnete, konnte Tatjana nichts für sie tun.
»Ich hätte nie gedacht, dass die Arbeit hier so viel Spaß macht«, fuhr Oskar fort. Seine Augen sprühten Funken vor Begeisterung, während er die Bestellungen, die Lenni inzwischen hergerichtet hatte, auf das Tablett stellte. Sein geschäftiger Blick fiel nach draußen. »Sieh mal einer an, wer da ist! Unsere Schönheit Anneka.« Schon an ihrer Miene konnte er ablesen, dass die Überraschung für Noah misslungen war. »Ich gehe gleich mal zu ihr.« Vorsichtig, um nur ja nichts zu verschütten, hob er das Tablett auf und machte