Familie Dr. Norden Staffel 1 – Arztroman. Patricia Vandenberg
erinnerte sie sich an die gemeinsame Zeit, an die Abende bei Lagerfeuer an der Isar, die Partys im Studentenwohnheim, die Ausflüge in die Berge, Hüttennächte mit Gitarre und schiefem Gesang. Als sie einen sanften Schubs fühlte, kehrte sie blitzartig in die Wirklichkeit zurück. Die Feier war beendet. Ein Raunen und Füßescharren ging durch die Kirche, als sich die Trauergäste erhoben.
»Willst du noch bleiben?« Eugen stand neben ihr und sah freundlich auf sie hinab.
»Nein. Natürlich nicht.« Schnell erhob sich Fee und folgte ihm. Den Weg nach draußen nutzte sie für kurze Gespräche mit ehemaligen Weggefährten.
Auch Eugen unterhielt sich, schüttelte Hände und nahm Beileidsbekundungen entgegen. Schließlich blieb er allein draußen stehen und wartete auf Fee.
»Ich schäme mich ein bisschen, dass ich an unsere gemeinsame Zeit gedacht habe, statt den Reden zuzuhören«, gestand sie, als sie sich zu ihm gesellte.
»Ich glaube, das war ganz in Ilonas Sinn.« Eugen lächelte beruhigend. »Sie war immer für das Ehrliche, Echte.« Er nahm Fee sanft am Arm und führte sie über den Kiesweg, der von der Kirche wegführte.
»Standet ihr euch nahe? Ich meine, in letzter Zeit?«, erkundigte sie sich.
»Jeder hat sein Leben gelebt. Aber wir hatten regelmäßig Kontakt, wenn du das meinst. Und wir haben uns auch oft über früher unterhalten.«
»Was für eine schöne, unbeschwerte Zeit«, murmelte Fee versonnen. »Schade eigentlich, dass wir uns so lange nicht gesehen haben.«
Mitten auf dem Weg blieb Eugen stehen, während sie ein paar Schritte weiterging, ehe auch sie stehenblieb. Verwundert drehte sie sich zu ihm um und kam nicht umhin, ihn zu mustern. Er war groß, aber nicht mehr so schlank wie früher. Sein ehemals schmales Gesicht mit der geraden Nase hatte sich gerundet, das Grübchen im Kinn stach deutlich hervor. Die Schläfen waren grau geworden. Nur die Augen, die hatten sich nicht verändert. Sie musterten sie mit demselben Interesse wie früher.
»Hättest du mich denn sehen wollen?«, fragte Eugen in ihre Gedanken hinein. »Ich meine, eine Frau wie du ist doch sicher in festen Händen.«
»Das ist richtig.« Felicitas wollte eben von Daniel erzählen, als sie bemerkte, wie sich Eugen krümmte. »Was ist?« Mit einem Sprung war sie an seiner Seite und nahm ihn am Arm. »Ist dir schwindlig?«
Er fuhr sich mit der Hand über die Augen. Im nächsten Moment lächelte er wieder.
»Schon gut. Ihr Ärzte wollt uns ja immer was anhängen. Das kenne ich von Ilona.« Er zwinkerte ihr zu. »Du bist also verheiratet? Kinder?«
Nur zu gern ließ sich Felicitas beruhigen.
»Fünf und inzwischen alle erwachsen.«
»Alle Achtung!« Eugen schickte ihr einen bewundernden Blick. »Sie sind sicher stolz auf ihre große Schwester.«
Fee lachte geschmeichelt.
»Noch immer derselbe Charmeur wie früher. Wie kommt deine Frau damit klar, dass du die Damenwelt um den kleinen Finger wickelst?«
»Ich war nie verheiratet«, gestand Eugen. Sein Blick verklärte sich. »Du warst die Einzige, mit der ich es gewagt hätte.«
Peinlich berührt lachte Fee auf.
»Aber es lief doch nie was zwischen uns.«
»Na und? Manchmal muss man seinem Instinkt folgen«, erwiderte er unbekümmert. Mit einem Lachen gab er der Situation ihre Unschuld zurück.
Inzwischen waren sie an ihrem Wagen angelangt.
»Das muss ich jetzt auch.« Fee drehte sich zu ihrem früheren Verehrer um und lächelte ihn an. »Es war schön, dich wiederzusehen.« Sie reichte ihm beide Hände.
Eugen nahm sie und sah ihr tief in die Augen.
»Hoffentlich dauert es nicht wieder so lange bis zum nächsten Mal«, tat er seinen Wunsch kund. »Außerdem wäre es mir recht, wenn du bis dahin geschieden wärst.«
Fee lachte.
»Das kann ich dir leider nicht versprechen. Daniel ist …«
Eugen verschloss ihr den Mund mit dem Zeigefinger.
»Nicht. Du willst mir doch nicht das Herz brechen.«
Der Zeitpunkt war günstig, um sich zu verabschieden.
»Mach’s gut, mein Lieber.« Einer spontanen Regung folgend stellte sich Fee auf die Zehenspitzen und küsste ihn auf die Wange. Dann drehte sie sich schnell um und stieg ein. Sie startete den Wagen und sah in den Rückspiegel, sah, wie ihr Jugendfreund die Hand wie zum Gruß hob. Im nächsten Moment trat sie auf die Bremse. Eugen krümmte sich zusammen, stürzte zu Boden und blieb reglos dort liegen.
*
»Ich wünschte, ich wäre der Glückliche!« Pfleger Jakob stand ein Stück von Anneka entfernt und saugte sie förmlich mit Blicken auf.
An diesem Tag hatte Noah mittags frei, und sie hatte beschlossen, ihn in der Klinik zu überraschen. Nervös wanderte sie in der Notaufnahme auf und ab. Die Absätze ihrer halbhohen Schuhe klapperten.
»Wer will denn schon einen Pfleger mit so unregelmäßigen Arbeitszeiten?«, scherzte Schwester Elena und wandte sich wieder der Tochter ihrer Freundin Felicitas zu. Die schickte einen ratlosen Blick zur Tür, ehe sie beschloss, sich zu Elena und Jakob zu gesellen. »Wunderschön siehst du aus. Und dieses Kleid erst!«
Unsicher sah Anneka an sich hinab.
»Das hat Tatjana für mich ausgesucht.« Behutsam strich sie über den plissierten, altrosa Stoff. Der schlichte Schnitt umschmeichelte ihre schlanke Figur. »Gefällt es dir?«
»Es ist ein Traum. Ich bin echt gespannt auf Noahs Reaktion.«
Aus den Augenwinkeln sah Anneka einen Schatten, der draußen aus einem Notarztwagen sprang.
»Ich glaube, da kommt er«, murmelte sie. Plötzlich wurde ihre Kehle eng.
Elena packte Jakob am Arm und zerrte ihn mit sich.
»Wir haben hier nichts mehr verloren«, zischte sie, als sich die automatischen Schiebetüren öffneten und Noah zielstrebig hereinkam. Er pfiff eine fröhliche, kleine Melodie und wirkte alles andere als gestresst. Schon wollte er um die Ecke in den Aufenthaltsraum abbiegen, als er seine Freundin entdeckte.
»Anneka, das ist ja eine Überraschung!« Er kam auf sie zu, fasste sie sanft an den Schultern und küsste sie links und rechts auf die Wangen. Dann schob er sie ein Stück von sich und musterte sie. »Hübsch siehst du aus. Hast du was vor heute?«
Seine Worte schmerzten wie ein Schlag in den Magen. Am liebsten hätte sie sich auf dem Absatz umgedreht und wäre davongelaufen. Doch die Worte ihrer Mutter hallten noch in ihrem Ohr.
»Er hat einen anstrengenden Job … !«
Deshalb riss sich Anneka zusammen. Sie rang sich ein zärtliches Lächeln ab und legte die Hände auf seine Brust.
»Stell dir vor: Zufälligerweise haben wir heute Jahrestag. Da dachte ich, wir könnten zum Essen gehen und danach was unternehmen.«
Noahs Miene gefror zu Eis.
»Ach du Schei … Oh, Jahrestag …« Im letzten Moment besann er sich. »Da bist du mir glatt zuvor gekommen. Ich hatte noch keine Zeit, Blumen für dich zu kaufen.« Er lächelte schief. »Deshalb hast du dich extra hübsch gemacht für mich. Du bist so süß.« Er beugte sich vor und küsste sie, diesmal auf den Mund.
Tapfer kämpfte Anneka gegen ihre Enttäuschung an. Hatte er recht? Hatte sie ihm wirklich keine Chance gegeben?
»Macht ja nichts.« Sie entschied sich, gute Miene zum bösen Spiel zu machen. »Los, komm! Zieh dich um. Und dann machen wir es uns bei Enzo gemütlich.«
»Ähm, ja.« Viel zu lange sah Noah auf die Uhr. »Sag mal, könnten wir das nicht auf abends