Kind in seinen Armen. Brennan Manning

Kind in seinen Armen - Brennan Manning


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gegenüber Gott. Herzen werden angerührt; Frauen und Männer schämen sich ihrer Tränen nicht, dann klatschen sie donnernden Applaus.

      Hinter dem glatten Vortrag verrät Carltons leerer Blick jedoch, dass die Worte nicht aus seiner Seele kommen. Der Starruhm hat sich zwischen ihn und Christus geschoben. Das persönliche Verhältnis zu Gott hat gelitten. Das leise Reden des Heiligen Geistes wird vom ohrenbetäubenden Applaus übertönt.

      Vom Erfolg und dem Jubel der Menge getragen, schlendert der olympische Held gelöst von einem Tisch zum andern. Er will sich bei allen beliebt machen – bei den Kellnern angefangen bis hin zum Filmstar.

      Im Red-Roof-Inn sitzt Moe vor dem Fernseher und verzehrt sein Tiefkühlmenü. Er ist nicht zum Bankett im Ritz-Carlton geladen, weil er, offen gesagt, nicht dazupassen würde. Oder wäre es etwa angebracht, dass ein dickbäuchiger, schäbiger Assistent mit Glasauge sich einen Stuhl neben Ronald Reagan oder Arnold Schwarzenegger zieht?

      Moe setzt sich an den Tisch und schließt die Augen. Die Liebe des gekreuzigten Christus steigt in ihm auf. Seine Augen füllen sich mit Tränen. »Danke, Herr Jesus«, flüstert er und zieht den Plastikdeckel von der Mikrowellen-Lasagne. Dann schlägt er in seiner Bibel den 23. Psalm auf.

      Auch ich kam in dem Traum vor. Wo verbrachte ich den Abend? Mein Hochstapler hatte sich einen Frack geliehen, und wir waren ins Ritz gegangen.

      Am nächsten Morgen wachte ich um vier Uhr in meinem Holzhäuschen auf, duschte und rasierte mich, machte mir eine Tasse Kaffee und begann in der Bibel zu blättern. Meine Augen fielen auf eine Stelle im 2. Korintherbrief: »Also schätzen wir von jetzt an niemand mehr nur nach menschlichen Maßstäben ein« (5,16). Autsch! Ich schleppte mein falsches Ich sogar in meinen Träumen mit mir herum.

      Ich fühle mit Charles Ashworth, der Romanfigur, deren geistlicher Mentor sagt: »Charles, lese ich wohl zu viel in Ihre Bemerkungen hinein, wenn ich schließe, dass es für Sie sehr wichtig ist, gemocht und gelobt zu werden?«

      »Aber natürlich ist das wichtig«, erwidert Ashworth. »Ist es das nicht für jeden Menschen? Ist es nicht das, worum es im Leben überhaupt geht? Erfolg ist, wenn die Leute einen mögen und loben. Versagen ist, wenn man abgelehnt wird. Das weiß doch jeder.«21

      Das Tragische ist, dass der Hochstapler in allen zwischenmenschlichen Beziehungen kein wirkliches Gefühl der Nähe erleben kann. Sein Narzissmus schließt andere aus. Weil er nicht fähig ist, sein eigenes Ich zu mögen, und nichts von seinen Gefühlen, seiner Intuition oder seinen Erkenntnissen weiß, ist er auch unempfindlich für die Stimmungen, Bedürfnisse und Träume anderer. Ein Austausch ist unmöglich. Der Hochstapler hat sein Leben um Leistungen, Erfolg, Geschäftigkeit und selbstzentrierte Aktivitäten herumgebaut, die ihm Lob und Anerkennung anderer einbringen.

      »Es gehört zum Wesen des falschen Ichs, dass es uns daran hindert, die Wahrheit über uns selbst zu erkennen, den tieferen Grund unseres Unglücklichseins zu erforschen, uns so zu sehen, wie wir wirklich sind – verletzlich, verängstigt, voller Furcht und unfähig, unser wahres Ich an die Oberfläche zu lassen.«22

      Warum gibt sich der Hochstapler mit einem so verkürzten Leben zufrieden? Erstens, weil es zu schmerzhaft ist, verdrängte Erinnerungen aus der Kindheit, die zum Auslöser für seine Selbsttäuschung wurden, wieder zuzulassen. Sie bleiben deshalb sorgfältig verborgen. Schwache Stimmen aus der Vergangenheit lassen vage Erinnerungen an im Zorn verhängte Strafe und ein anschließendes Gefühl der Verlassenheit wach werden. »Das falsche Ich hat ein leistungsfähiges Abwehrsystem entwickelt, dessen Aufgabe darin besteht, Gefühle der Ablehnung nicht an sich heranzulassen, auch wenn damit das Bedürfnis nach Nähe geopfert wird. Das System wird während der ersten Lebensjahre aufgebaut, wenn es wichtig ist herauszufinden, was Mutters Missfallen hervorrufen könnte.«23

      Der zweite Grund, weshalb der Hochstapler sich mit so wenig Leben zufrieden gibt, ist schlicht und einfach seine Feigheit. Als Kind konnte ich mich noch damit rechtfertigen, dass ich macht- und wehrlos war. Doch im Herbst des Lebens, nachdem ich so viel Liebe und Zuneigung erfahren habe und von endloser Bestätigung gestärkt bin, muss ich beschämt zugeben, dass ich noch immer aus der Angst heraus operiere. In Situationen offensichtlicher Ungerechtigkeit bin ich stumm geblieben. Während der Schwindler eine glänzende Leistung an den Tag legte, habe ich selbst in Beziehungen eine passive Rolle eingenommen, habe kreatives Denken erstickt, meine wahren Gefühle geleugnet, mich von anderen einschüchtern lassen und mein Verhalten damit gerechtfertigt, dass ich mir einredete, der Herr wolle mich als Friedensstifter … Aber zu welchem Preis?

      Thomas Merton sagt, ein Leben, das sich dem Schatten widme, sei ein Leben der Sünde. Durch meine feige Weigerung – aus Angst vor Ablehnung –, aus meinem wahren Ich heraus zu denken, zu fühlen, zu handeln, zu reagieren und zu leben, habe ich gesündigt. Natürlich argumentiert der Schwindler »unbarmherzig, die Wurzel des Problems sei geringfügig und sollte übergangen werden, ›reife‹ Männer und Frauen würden sich nicht über solche Kleinigkeiten aufregen, das Gleichgewicht sollte bewahrt werden, selbst wenn den persönlichen Hoffnungen und Träumen damit unvernünftige Grenzen gesetzt werden und das Leben nur in verkürzter Form angenommen wird«.24

      Der Hochstapler und das Gebet

      Wir weigern uns sogar vor Gott wir selbst zu sein – und wundern uns dann, warum er so weit fort erscheint. Der tiefste Wunsch unseres Herzens ist die Gemeinschaft mit Gott. Vom ersten Augenblick unseres Lebens an sehnen wir uns danach, den eigentlichen Sinn unseres Lebens zu erfüllen – »ihn klarer zu erkennen, tiefer zu lieben und ihm näher zu folgen«. Wir sind für Gott geschaffen, und nichts weniger kann uns letztlich zufrieden machen. C. S. Lewis konnte sagen, er sei »überrascht von Freude«, gepackt von einem Wunsch, der »alles andere, was je geschehen war, im Vergleich dazu unwichtig« machte. Unser Herz wird immer unruhig sein, bis es in ihm ruht. Ein Weg, um auf Gott zu antworten, ist zu beten. »Das Gebet ist im Wesentlichen der Ausdruck eines Herzens, das sich nach Liebe sehnt. Es ist nicht so sehr eine Aufzählung unserer Wünsche, als vielmehr das Ausatmen unseres tiefsten Wunsches, nämlich so nah wie nur möglich bei Gott zu sein.«25

      Haben Sie je darüber gerätselt, warum Sie einen solchen inneren Widerstand gegen das Beten empfinden? Warum Sie die Stille, die Einsamkeit, das Alleinsein mit Gott so fürchten? Warum Sie so schwer aus dem Bett kommen, um die morgendliche Stille zu halten, sich mit der Leidensmiene des unheilbar Kranken zum Gottesdienst schleppen, das Abendgebet mit stoischer Resignation absolvieren, im Wissen, dass »auch dieser Kelch vorübergeht«?

      Halten Sie Ausschau nach dem Schwindler!

      Das falsche Ich ist ein Spezialist für trügerische Verkleidungen. Es ist der faule Teil unserer Persönlichkeit, der jede Anstrengung, jede Entsagung oder Disziplin, welche die Nähe zu Gott von uns fordert, vermeiden will. Es flüstert uns Rechtfertigungen ein wie: »Meine Arbeit ist mein Gebet. Ich bin zu beschäftigt. Gebet sollte etwas Spontanes sein, deshalb bete ich nur, wenn ich mich vom Geist gedrängt fühle.« Die lahmen Entschuldigungen erlauben es uns, den Status quo aufrechtzuerhalten.

      Das falsche Ich fürchtet sich vor dem Alleinsein, weil es weiß, »wenn es innerlich und äußerlich still würde, dann würde es entdecken, dass es Nichts ist. Es wäre mit nichts als seiner eigenen Nichtigkeit allein, und für das falsche Ich, das ja von sich behauptet, alles zu sein, wäre eine solche Entdeckung das Ende.«26

      Es versteht sich von selbst, dass der Hochstapler beim Beten ungeduldig ist. Ihn hungert nach Erregung, er sehnt sich nach bewusstseinsverändernden Erfahrungen. Er ist deprimiert, wenn das Rampenlicht fehlt. Das falsche Ich ist frustriert, weil es nie Gottes Stimme hört. Dabei kann es sie gar nicht hören, denn für Gott ist es gar nicht da. Das Gebet ist das Ende jeder Identität, die nicht von Gott kommt. Das falsche Ich flieht vor Stille und Einsamkeit, weil es von beiden an den Tod erinnert wird.

      Der hektische Lebensstil des Hochstaplers kann den Gedanken an den Tod nicht ertragen, weil er ihn mit einer unerträglichen Wahrheit konfrontiert: »Unter den Kleidern, mit denen du dich verhüllst, ist kein Kern. Du bist hohl, und dein Gebäude von Vergnügen und Ehrgeiz hat kein Fundament. Du bist darin selbst zum Gegenstand


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