Leni Behrendt Staffel 2 – Liebesroman. Leni Behrendt
Ellenbogens.«
»Dann wollen wir aufhören«, entschied er. »Bei der Fülle macht die Hopserei ohnehin keinen Spaß.«
Damit schob er sie vor sich her aus dem Gedränge. Als sie freie Bahn hatte, holte sie tief Luft und kam sich vor, als wäre sie einer Gefahr entronnen.
»Nun, ausgehopst?« fragte Jella maliziös, als sie am Tisch anlangten und ihre Plätze dort einnahmen.
»Wie ein Mann von Welt daran Spaß haben kann. Lutz, laß das!«
»Was, das Hopsen?« fragte er begriffsstutzig. »Aber das darf ich ja, ich bin doch kein Mann von Welt.«
Das Lachen der andern machte die ohnehin schon gereizte Jella immer wütender. Zumal ihr der Fuß weh tat auf den der neben ihr sitzende Lutz herzhaft getreten hatte. Und gewiß nicht aus Ungeschicklichkeit, sondern um ihre Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Wohl mußte er mit einer Ohrfeige rechnen, aber nein, sie blieb aus. Denn in diesem exquisiten Kreis sich so gehenzulassen, das wagte sie denn doch nicht. So sagte sie nur ärgerlich:
»Du ungeschickter Bengel! Kannst du die Füße nicht ruhig halten? Hast mir mit dem Tritt meinen ganzen Schuh verdorben.«
»O Jellachen, das tut mir aber leid«, tat er zerknirscht. »Entschuldige bitte.«
»Na ja, ist schon gut«, erteilte sie gnädig Absolution. »Bist eben noch ein Tolpatsch. Nanu, wer jault denn da?«
Zu sehen war sie nicht, aber zu hören, die da so sehnsüchtig zur Laute sang:
»Ach, wärst du doch ein Ritter,
ein Ritter vom Goldenen Vlies,
o Lieb, wie bist du bitter,
o Lieb, wie bist du süß –«
»Anspruchsvolle Maid«, grinste Lutz. »Ausgerechnet einen Ritter vom Goldenen Vlies will sie haben. Ich wäre schon mit ›arme Ritter‹ zufrieden, die hab ich nämlich zum Fressen gern.«
Das hatten die andern auch, was lachend bestätigt wurde. Nur Jella fragte: »Arme Ritter, was ist denn das?«
»Nun tu nur so, als ob du die nicht kennst«, versetzte Heinz, dem das Gebaren der Schwester immer mehr auf die Nerven fiel. »Hast früher, als du noch zu Hause warst, das Gebäck oft genug zum Kaffee gegessen.«
»Tatsächlich? Mag schon sein.«
Als Lutz die Falte zwischen den Brauen des Bruders bemerkte, griff er rasch ein.
»Es gibt noch mehr, was arm ist«, blinzelte er Armgard zu. »Eine Armgard und eine Ärmstegard.«
Somit hatte er die Lacher auf seiner Seite und dadurch einen Peinlichkeitsmoment überbrückt. Er kannte den Bruder zwar als beherrschten Menschen, aber auch einem solchen konnte sozusagen der Hut hochgehen, wenn er mit ansehen mußte, wie seine Schwester sich vorbeibenahm. Er war froh, als der Aufbruch erfolgte.
Man sah es Jella direkt an, wie gern sie mit der Björnchen Jacht gefahren wäre, doch die Andeutungen, die sie machte, wurden überhört. Verlangend schaute sie den Davonschreitenden nach.
»Nun komm schon«, faßte Heinz sie nicht gerade behutsam am Arm und zog sie mit zur Jacht, die wohl nicht so groß und elegant war wie die andere, aber auch recht schmuck. Mißmutig ließ Jella sich auf dem Bordstuhl nieder, so richtig unzufrieden mit sich und der ganzen Welt. So viel hatte sie sich von dem Ausflug versprochen, und nichts war dabei herausgekommen.
»Na, was brütest du wieder aus?« fragte der Bruder barsch. »Hast dich wohl noch nicht genug blamiert.«
»Ich mich blamiert?« warf sie empört dazwischen. »Ich, eine Dame von Welt?«
»Eben. Kehr wieder in deine Sphäre zurück und laß uns hier in Frieden. Dort magst du beliebt sein, doch hier wirkst du überall störend. Es ist das letztemal, daß ich dich irgendwohin mitnehme, merk dir das. Heul nicht, das sind ja doch Krokodilstränen.«
Schroff wandte er sich ab und brachte das Boot in Gang. Der Ärger wäre ihm erspart geblieben, wenn er Jella nicht mitgenommen hätte. Aber als er mit seiner Frau heute früh die Jacht betrat, fanden sie den unerwünschten Passagier bereits vor. Und hinunterweisen mochte er sie nicht, weil er die Szene fürchtete, die an dem belebten Ort nicht ohne Zeugen geblieben wäre, und er war immerhin eine stadtbekannte Persönlichkeit. So mußte er sie denn mitnehmen und sich und seiner Frau dadurch den Ausflug verderben, auf den sie sich gefreut hatten, verflixter Kram!
Also herrschte auf dem einen Boot Mißklang, auf dem andern die schönste Harmonie. Dort war man mit dem Ausflug restlos zufrieden und genoß die wunderschöne Fahrt mit allen Sinnen.
Ruhig und sacht glitt das schneeweiße Schiff durch die Wogen. Wie ein Feuerball näherte sich die Sonne dem Horizont, alles ringsum in rote Glut tauchend. Lutz, der neben Armgard am Bootsrand saß, spielte auf der Handharmonika die schönsten Seemannslieder, und wer sie kannte, sang mit.
Eben sang man das wehmutsvolle Lied von dem Wanderer, der rastlos umherirrte, bis sein heimwehkrankes Herz endlich nach Hause fand. Das Lied verklang mit den Worten:
»Wo die Meereswellen rauschen, mein Herz vor Anker ging.«
*
An dieses Lied mußte Armgard denken, als sie im Bett lag. Auch ihr Herz war vor Anker gegangen, wo die Meereswellen rauschen. Der Anker lag so tief und fest, daß nichts auf der Welt ihn lösen konnte, auch eine aussichtslose Liebe nicht. Mit der mußte sie fertig werden, ohne vor ihr Reißaus zu nehmen, wie es ja so üblich sein soll; denn davon wußte die unerfahrene Armgard so gut wie nichts. Aber was sie genau wußte war, daß sie den Großvater nicht verlassen durfte, der sein ganzes Herz an sie gehängt hatte. Und dann, so töricht war sie nicht, ein sorgloses Wohlleben aufzugeben, um irgendwo unterzukriechen, wie sie es nach der Mutter Tod gezwungenermaßen tun mußte, aber freiwillig? Nein! Da mußte man auch den Verstand sprechen lassen, nicht nur dieses tyrannische Herz, das die Menschen beherrschen wollte, ihnen Leid und Not schuf.
Herzensnot, o süße Not!
Die ist schon immer dagewesen und wird immer weiter sein, weil sie Naturgesetz ist. Und die Menschen mußten zusehen, wie sie damit fertig wurden.
Manchmal schuf ein junges Menschenkind sich auch unnötig diese Herzensnot, genauso wie Armgard es tat. Denn Grund hatte sie nicht dazu, noch nicht. Noch war der Mann nicht einmal verlobt, und vielleicht gingen ihm doch die Augen auf, bevor er sich an sie band. Dann würde er schon sehen, daß diese Jella nicht viel taugte.
Vielleicht, ach, vielleicht.
Mit diesem Hoffnungsschimmer schlief das grübelnde Mädchen ein, und Meeresrauschen und der Möwe Ruf sangen ihm ein trautes Schlummerlied.
Und Sonnenschein weckte die Schlummernde am Morgen. Da war alles nur noch halb so schlimm, was ihr in der Nacht so trostlos erschienen war. Aber das sagte ja schon Nietzsche: Und tiefer als der Tag gedacht, tief ist ihr Weh.
»Ärmstegard!« rief eine Stimme von unten, und dazwischen schnaubte etwas. Flugs war sie aus dem Bett, schlüpfte in die Pantöffelchen, hüllte den Oberkörper in eine weiche Decke und trat an das offene Fenster. Was sie jenseits des Gartenzaunes erblickte, waren zwei Reiter auf ihren schnaubenden Pferden.
»Hallo, hallo, Jungfräulein schön, wir beide wollen spazierengehen!« rief Lutz hinauf, und Folko sprach schmunzelnd weiter:
»Durch grüne Au, bei Tau und Tag, ich weiß nicht, was noch werden
mag.«
»Will nicht der Unsinn enden«, rief Armgard lachend dazwischen. »Denn Unsinn ist es, wenn ein Reiter vom Spazierengehen spricht, Spazierenreiten müßte es heißen. Aber dann nicht durch die Au. Die würden die Pferdchen schön zertrampeln und einen Landwirt damit in Rage versetzen.«
»Schwing hier keine großen Töne«, winkte Lutz ab. »Wir haben es eilig, müssen pünktlich zum Frühstück erscheinen. Wir wollten dir nur kund tun, daß du so schnell wie möglich dort oben auf der Höh antreten sollst, frischauf zum fröhlichen Jagen.«
»Kann