Leni Behrendt Staffel 2 – Liebesroman. Leni Behrendt
Damals war sie durch Schnee gewatet, heute ging sie auf weichem, moosigem Grund. Rechts grünten die weiten Felder, links unten brandete die See. Armgard wurde das Herz ganz groß und weit.
»Schön«, sagte sie, und es klang wie ein Seufzer. »Wie habe ich es nur so lange in einer Großstadt aushalten können, nie mehr möchte ich dahin zurück.
Auf Stunden wohl oder auch Tage, aber nicht mehr dort wohnen.«
»Was bist du doch für ein merkwürdiges Mädchen«, entgegnete er kopfschüttelnd. »Andere halten es nicht auf dem Lande aus und streben zur Stadt, wo es doch so viele Vergnügungen gibt…«
»Möchtest du denn in der Stadt leben?« warf sie ein, doch schon wehrte er ab.
»Um alles nicht. Aber dafür bin ich auch ein Landmann, der mit der Erde hier verwachsen ist, während du doch…«
»Nun sag bloß noch, daß ich eine Großstadtpflanze bin…«
»Wo werde ich denn so ungalant sein«, wies er schmunzelnd ab. »Sagen wir eine Asphalttreterin. Übrigens will Christine die Sommerferien bei uns hier verleben.«
»Also noch eine Asphalttreterin, die es aufs Land zieht.«
»Aber nur, weil sie noch zu jung ist, um die Freuden der Großstadt genießen zu dürfen. Wenn sie aber erst mal…«
»An dem Freudenbecher genippt hat«, fiel Armgard lachend ein, »dann wird sie bald in vollen Zügen aus ihm trinken. Ist nicht von mir, habe ich irgendwo gelesen.«
»Und dem Poeten recht gegeben?«
»Konnte ich nicht, da ich keine Ahnung davon habe. Denn was man mir, nachdem ich flügge geworden war, an die Lippen setzte, war ein Kelch mit bitteren…
Ach was«, unterbrach sie sich hastig. »Dafür geht es mir jetzt beneidenswert gut. Aber schau mal, was dort angerast kommt.«
Es war Strubbel, der seine kurzen Beinchen hurtig in Bewegung setzte. Als er Armgard erreicht hatte, legte er das Köpfchen schief und sah sie wie lachend an.
»Hast du es wieder einmal geschafft«, beutelte sie seine Ohren. »Nun komm schon mit. Gib aber nicht bei deinen Artgenossen so schrecklich an, hörst du?«
Wuuufff, machte Strubbelchen lustig und trottete neben ihr her. Am schmiedeeisernen Tor stand er artig still, bis es geöffnet war. Doch dann lief er los mit freudigem Gekläff, das aus der Tiefe des Parkes mehrstimmig erwidert wurde. Lachend sahen die beiden Menschen dem sich fast überkugelnden Knäuel nach und setzten dann ihren Weg fort. Über kiesbestreute Wege, unter alten Bäumen, an blühenden Sträuchern und Blumen vorbei, am Weiher der eingebettet war im Grün. Auf ihm schwamm ein Schwanenpaar mit seiner Brut, ein Bild friedlichen Familienlebens.
Ein herrlicher Park und ein herrliches Schloß, das in vornehmer Ruhe dalag. Vor ihm auf dem großen Rasen plätscherte ein Springbrunnen, und auf der Terrasse ruhten die beiden Damen in Liegestühlen. Die des Weges daher kamen, wollten vorüberschleichen, doch schon rief ihnen die Gräfin zu:
»Was habt ihr denn zu verbergen, ihr Spitzbuben, daß ihr so schleichen müßt? Kommt her und beichtet.«
Gleich darauf standen sie da, ein schönes Paar. Er distinguiert und elegant, sie von bezaubernder Frische und bezwingendem Scharm. Zwei Menschen wie gemalt, hatte einmal Frau Spierke von ihnen gesagt.
»Wie geht’s denn zu Hause?« fragte die Gräfin. »Spielen die Männer noch immer mit so bewundernswerter Ausdauer Skat?«
»Vorläufig nicht«, gab Armgard Auskunft. »Es fehlt der dritte Mann, da Onkel Claas sich auf Tour befindet, Schach ist jetzt der letzte Schrei.
Und zwischendurch schreit Robert, allerdings bildlich genommen, über die beispiellose Unordnung in Onkel Hans’ Reich. Aber der schreit nun wirklich, wenn Robert wenigstens die Brocken vom Fußboden räumen will, damit er nicht darüber stolpert.«
»Das muß ja eine schöne Schreierei bei euch sein«, lachte die Gräfin. »Was sagt denn der friedliebende Frederik dazu?«
»Er fühlt sich mopsfidel dabei. Hat immer seinen Spaß daran, wenn ich für Onkel Hans ein Stenogramm aufnehme. Das ist nämlich so wirr und kraus, daß er mich ganz verdutzt ansieht, wenn ich es vorlese, doch irgendwie kommen wir immer zu Rande. Wenn er dann so zerknirscht tut, ist er zu nett. Wir mögen ihn alle schrecklich gern, hoffentlich bleibt er bei uns.«
»Ich glaube schon«, meinte Erdmuthe. »Ihr behandelt ihn doch wie ein Familienmitglied, und so ein Zugehörigkeitsgefühl braucht ein alleinstehender Mensch. Doch nun macht, daß ihr an die Arbeit kommt, zum Kaffee erwarten wir euch.«
»Ein ganz entzückendes Mädchen«, sagte Frau von Segimer, als die beiden außer Hörweite waren.
»Das ist sie«, bestätigte die Gräfin. Es klang jedoch irgendwie abschließend, und so behielt die andere das, was sie sagen wollte, für sich.
Indes gingen Armgard und Folko zum Stall, wo der Pferdepfleger schon nach ihnen Ausschau hielt. Die Pferde waren gesattelt, und der Ritt konnte beginnen.
Obwohl die Fuchsstute Gloria hieß, nannte Armgard sie Lise. Es klang so zärtlich und gut, daß das Tier aufhorchend die Ohren spitzte und mit dem Kopf nickte, als ob sie mit dem Namen einverstanden wäre.
»Was wird die nicht«, meinte ihr Betreuer stolz. »Die hat doch Menschenverstand. Nicht den Zucker vergessen, gnädiges Fräulein, sonst ist sie beleidigt.«
Sie bekam ihren Zucker, der Rappe auch, und dann begann für Armgard der Drill, wie sie es seufzend bezeichnete. Lutz hatte doch mal was durchgehen lassen, aber Folko tat es nicht.
Er fand so manches auszusetzen, obwohl er zugeben mußte, daß sie gut im Sattel saß. Ein Zeichen, daß beim Anfangsunterricht nicht gepfuscht worden war.
»So, jetzt können wir uns ins Freie wagen«, sagte der Graf, nachdem die Pferde einige Male den großen Hof umtrabt hatten. »Deine Lise ist heute besonders brav, und du bist auch gut in Form.«
Als Armgard das weite Feld vor sich sah, wurde sie ängstlich wie ein Kind, das die ersten Schritte in eine ihm unbekannte Welt machen soll, und schon hörte sie eine sonore Stimme neben sich:
»Keine Bange, wenn ich dabei bin, kann dir nichts passieren. Diese Platzangst haben so ziemlich alle Reiter, doch die verliert sich rasch.«
Er hatte recht, schon nach einigen Minuten war die Angst überwunden. Als er sich mit seiner Pfeife beschäftigte und daher nicht auf sie achtete, hatte sie Muße, ihn zu betrachten.
Blendend sah er aus in dem Reitdreß. Und wie er im Sattel saß. Mit einer gewissen Nonchalance, die sich nur ein tadelloser Reiter erlauben darf.
Aber wie gut sie selbst sich hielt, davon hatte sie keine Ahnung. Auch nicht, daß sie ganz reizend aussah in dem knappen Dreß, der wie angegossen saß. Das unbedeckte Haar wehte im Wind, die Wangen glühten, die Augen blitzten.
Schön war das. Aber um wieviel schöner müßte es noch sein, wenn das Pferd ihr gehörte und der Mann.
Na, nun mal hoppla, wies sie sich erschrocken zurecht. Das waren verbotene Gedanken, die sie erst gar nicht aufkommen lassen durfte. Immer das Herz fest an der Kandare halten, wenn es durchgehen wollte. Nicht denken, nicht grübeln, alles hübsch auf sich zukommen lassen und gegen alles gewappnet sein.
Nur so konnte sie diese Ritte ertragen, die er ihr aufgedrängt hatte. Sie freute sich sogar schon darauf. Es waren auch keine Extraritte, die der vielbeschäftigte Gutsherr machte, da er sie auf den Inspektionsritten durch Wirtschaft und Feld mitnahm. Und dabei umschloß die beiden Menschen immer fester das Band der Zugehörigkeit.
Und wo war die schöne Jella? Die war bei Armgard schon fast in Vergessenheit geraten, bis sie an einem Nachmittag Ende Juni ihrer ansichtig wurde.
Sie war in ihrem Flitzer nach Seestadt gefahren, um Einkäufe zu machen, die es in Klein-Dünen nicht gab. Anschließend wollte sie in der Konditorei ein Eis essen, stoppte jedoch zurück, als sie durch die große Fensterscheibe Jella und Folko an