Gesammelte Werke von Stefan Zweig. Стефан Цвейг
die Seele umschnürt…
DIE MUTTER:
Wehe,
Er schweigt,
Oh, wahr, es ist wahr!
Gott hat sein eigenes Volk geschlagen…
Jerusalem… Fluchtag, der mich gebar…
Das Dunkel… wehe… das Dunkel steigt…
Brand überm Land… die rasende Glut…
Weh, ich verbrenne… rettet mich fort…
ACHAB (gleichzeitig):
Ein Wort… ein Wort nur sprich… nur ein Wort.
JOCHEBED:
Tröste sie… tröste sie… eh sie vergeht… Ein Wort nur… ein Wort… sieh, wie sie verschmachtet.
JEREMIAS (wie ein Gewürgter röchelnd):
Ich… kann es nichtsagen… das Wort…
Er läßt nicht… Er… Mir die Kehle verdorrt…
Die Hand… die grausame Gotteshand…
Mir… die Seele geschnürt… die Kehle umspannt…
Gott… Gott, gib mich frei… gib mich frei…
DIE MUTTER (aufzuckend in wildem Schrei):
Verloren… weh
… wehe… ich brenne… Mord im Gezelt…
Hilfe… die Stadt… der Tempel… Gott fällt…
Gott ist gefallen… verloren… die Flammen Gehennas…
Ins Herz… bis ins Herz… oh, Jerusalem…
(Die Mutter stürzt plötzlich in sich zurück. Ein tiefes Schweigen.) (ACHAB UND JOCHEBED treten erschreckt heran und beugen sich über die Tote.)
JEREMIAS (Stimme plötzlich grell wie ein Springquell aufschießend): Es ist nicht wahr:
Ich log, ich log,
Ewig währet Jerusalem,
Nie wird ein Feind unsere Stadt umwallen,
Nie Zion sinken, nie Davids Burg fallen.
Höre mich, Mutter, noch einmal aufhöre,
Ich schwöre, siehe, ich schwöre, ich schwöre:
Ewig währet Jerusalem!
ACHAB (im Zorn):
Weg,
Du schreist sie nicht wach!
Laß ihr den Frieden!
JEREMIAS:
Sie muß mich hören, sie muß mich hören,
Eh es zu spät ist!
ACHAB:
Es ist zu spät!
Weg
Von ihrer Stille,
Fort aus dem Gemach,
Du schreist sie nicht auf, du lügst sie nicht wach!
Was sprachst du nicht, da sie vor Angst sich verzehrte
Und ihr Leben an deinem Schweigen verging?
Fort,
Du Mitleidsloser, du Gottesnarr,
Du wüster Träumer, du Ausgestoßner!
Da,
Sieh nur, wie starr
Ihre Blicke nach Güte und Hoffnung fragen,
Und du hast
Ihr den Schrecken des Todes hineingeschlagen.
Du Gottverfluchter… weg… laß ihr den Frieden…
Der du sie selber gemordet hast.
JEREMIAS (stammelnd):
Laß mich… ich will…
JOCHEBED:
Fort, du Aussatz
Von den Gerechten,
Fort aus dem Haus!
Wehe, warum
Ließ sie dich ein?
Weg, du Verfluchter,
Rühr nicht die heilige Stille an
Und den Tod, den du ihr angetan.
JEREMIAS (zusammenbrechend):
Ewig verflucht,
Ewig verstoßen,
Aus dem Mutterschoß in die Welt hinein,
Gott… Gott… es ist hart, dein Bote zu sein!
(ACHAB UND JOCHEBED umschreiten feierlich die Tote. Sie drücken ihr die Augen zu und schlagen die Laken um ihren Leib. ACHAB geht zu den Krügen und schüttet das Wasser auf die Erde. Man hört nur ihr ernstes Schreiten. Jeremias stumpfer Blick ist starr zu Boden gerichtet. Ein langes, tiefes Schweigen voll der Geheimnisse des Todes.) (LÄRMEN von außen, heftige Stimmen in Erregung.)
ACHAB:
Wer dringt heran?
JOCHEBED:
Außen stehen sie, ein lärmender Hauf. Sie wollen ins Haus.
ACHAB:
Wie die Feinde pochen sie hart. Tu ihnen auf!
JOCHEBED:
Wehe, die Wilden! Sie sprengen das Tor!
(Gepolter nah außen von zerbrechendem Holz. Herauf dringt das Dröhnen schwerer hastiger Schritte und herein stürmen SEBULON, PASHUR, HANANJA, DER ERSTE KRIEGER und ein Schwarm mit ihnen.)
SEBULON:
Hier muß er sein.
EIN KNABE:
Ich sah ihn eingehn ins Haus.
STIMMEN:
Ich auch! Vor einer Stunde schlich er hier ein. Ich hielt Wache, wie du befahlst… ich auch… ich hab ihn gesehn.
ACHAB:
Wen sucht ihr?
PASHUR:
Gib ihn heraus, den du birgst!
SEBULON:
Wir wollen ihn fassen! Blut um Blut!
ACHAB:
Was lärmt ihr! Weg von hier, ihr Rotte…
PASHUR (die Tote sehend, hebt die Hände von sich und spricht ernst): Gelobt sei der ewige Richter. Gnädig möge er sein der Gerechten! (Dann wendet er sich und tritt schweigend zurück.)
DIE ANDERN (plötzlich still werdend, murmeln):
Gelobt sei der ewige Richter…
EINER (leise):
Wer starb?
ACHAB:
Eine, von der Gott sein Antlitz kehrte. Eine Kummervolle, eine Leidbeschwerte. Eine, deren Schmerz und bitterste Sorge war, daß sie einen Feind ihrem Volke gebar.
EINER:
Jeremias!
SEBULON:
Ihn suche ich! Ihn suche ich! Jeremias!
JEREMIAS (auffahrend, seine Stimme ist gewaltig von schmerzlichem Zorne): Wer sucht mich noch? Wer will noch Fluch schreien über mich? Er komme, daß er es tue, der Aufgetane bin ich allen Flüchen dieser Erde!
SEBULON:
Ich komme, dir zu fluchen, du Verfluchter, ich, Sebulon, der Vater Baruchs, den du verführtest. Wo ist mein Sohn?
JEREMIAS (abwesend):
Ich weiß es nicht. Nicht bin ich der Hüter deines Sohnes.
SEBULON: