Gesammelte Werke von Stefan Zweig. Стефан Цвейг
an ihnen vorüber, so schlagen sie nicht mehr die Schilde und wahren den Blick.
ABIMELECH:
Schweigsam macht der Krieg, aber er härtet die Herzen. Vorbei ist die Stunde, da sie jauchzten vor Lust, daß das Schwert ihnen frei aus den Händen fuhr, denn die Gewöhnung mordet alles Große, und jede Lust wird schal an der Dauer. Aber sie wachen und warten, ehern hüten sie die Mauern Jerusalems.
ZEDEKIA:
Und wenn die Monde wachsen und sich mindern, wenn abermals das Jahr sich neut? Wir haben keine Hilfe zu erharren.
ABIMELECH:
Mag es dauern, solang es Gott gefällt! Wir werden dauern wie die Zeit.
ZEDEKIA:
Der Herr erfülle dein Wort! (Zu den andern:) Ist eure Meinung gleicher Art?
PASHUR:
Wir müssen harren und gedulden, bis das Los des Sieges gefallen.
ZEDEKIA:
Und was ist dein Wort, Hananja?
HANANJA:
Nie wird Nabukadnezar uns obkommen! Weh denen, die kleinmütig sind und denen das Herz schmilzt im Leibe, es wäre besser, man schlüge sie mit der Schärfe des Schwerts.
IMRE:
Mein Auge ist trübe geworden, doch es hat dereinstens noch Salmanassar gesehen, der aufstund wider Israel, und es sah seiner Toten Schar vor den Mauern. Nie waren so fett die Schakale, denn das Jahr, da Jerusalem gegürtet war von den Feinden des Herrn. Und so wird er wiederum treffen, die wider uns aufstunden. Möge mein Auge nicht welken, ehe es diesen Tag erschaut. Ewig währet Jerusalem!
ABIMELECH, HANANJA, PASHUR:
Ewig währet Jerusalem!
ZEDEKIA (nach einer Pause):
Ich misse dein Wort, Nachum! Warum verharrst du in Schweigen?
NACHUM:
Düster sind meine Gedanken, mein König, und bitter meine Rede. Nicht drängt sich vor, dessen Sinn ohne Freude ist.
ZEDEKIA:
Ich rief euch, Rates zu halten. Willkommen, des Botschaft Labsal bringt, willkommen auch der, des Wort Warnung ist. Sprich frei vor uns allen!
NACHUM:
Ehe du mich entbotest zum Rate, bin ich in die Kammern des Korns gegangen und habe die Scheffel gezählt. Die Räume, die voll gewesen bis zum Speicher, sind licht und leer. Es geht nicht mehr an, daß jeder ein ganzes Brot erhalte des Tages.
(ALLE schweigen betroffen.)
ZEDEKIA:
Wurde nicht Korn aus den Dörfern geschafft? Ließ ich nicht Milchkühe und Vieh in die Mauern treiben?
NACHUM:
Elf Monde währet der Krieg, und viel fressende Mäuler flohen zur Stadt.
ZEDEKIA (nach einer Pause):
Es ist nicht vonnöten, daß jeder die volle Zehrung habe. Wir werden sparen.
NACHUM:
Auch bislang ward kein Körnchen verschwendet, mein König, und doch gähnen die Speicher. Gewaltigen Schlund hat die Zeit.
ZEDEKIA:
Und wie lange… meinest du… könnten wir ausharren… mit unserer Zehrung…
NACHUM (leise):
Drei Wochen, Herr, – zum längsten.
(ALLE schweigen wieder betroffen.)
ZEDEKIA:
Drei Wochen… und dann?
NACHUM:
Ich weiß nicht Antwort, Herr, Gott weiß sie allein.
(ALLE schweigen wieder.)
HANANJA (erregt):
Man teile die Brote. Man gebe jedem nur das Halbe oder ein Drittel. Genug lang haben sie gepraßt für sich und ihre Kebsen, nun mögen sie darben für den Herrn.
ABIMELECH:
Meine Krieger dürfen nicht geschmälert werden. Wer kämpfen soll, darf nicht darben.
HANANJA:
Alle müssen ihr Teil geben, auch die Krieger. Es gilt Jerusalem.
ABIMELECH:
Meine Krieger müssen Kraft haben. Lieber mögen die Unnützen verhungern, die Luftbläser und Wortemacher.
NACHUM:
Um Nichtiges rechtet ihr. Denn was wäre gewonnen, schnürten wir die Magen, wenn Hundertmaltausend in unsern Mauern sind? Drei Wochen reicht die Zehrung, und schlachten wir die Tiere des Tempels, so währet es zwei Sabbate mehr.
PASHUR:
Es muß mehr Stille sein zwischen uns. Wie die Feinde sprecht ihr gegeneinander. Wir müssen verbündet sein gegen Nabukadnezar und verbündet gegen das Volk. Nicht er und nicht sie dürfen wissen von unserer Not.
ZEDEKIA:
Und wenn er es wüßte bereits?
NACHUM:
Keiner kann es wissen. Ein Siegel drücke ich allmorgendlich an die Tür der Kammern und löse es mit eigener Hand. Nicht das Volk ahnt die Not, nicht Nabukadnezar.
ABIMELECH:
Gott sei gepriesen. Er würde unser nicht schonen.
ZEDEKIA:
Ich habe euch gerufen zum Rat, ihr Ältesten des Volkes. Nicht war mir bewußt, wie karg unsere Speise sei, und doch, meine Gedanken standen auf wider die Zeit. Nicht das Schwert allein endet die Kriege, oft sänftigt sie das Wort. Und ich rief euch, zu fragen, was ihr dächtet, wenn ich Botschaft sendete zu Nabukadnezar, daß wir fragten um den Frieden zwischen unsern Völkern.
HANANJA:
Keinen Frieden mit den Lästerern des Allmächtigen!
ABIMELECH:
Möge er senden zu dir, mein König! Nicht wir zu ihm!
PASHUR:
Gefährlich dünkt mich dies Beginnen. Er wird uns zu knechten suchen, sobald er unsere Botschaft gehört.
ZEDEKIA:
Anders denn eure sind meine Gedanken. Noch ist unsere Not ihm verborgen, doch in wenig Tagen wird er sie wissen. Wir müssen die Zeit des Geheimnisses nutzen.
NACHUM:
Wie wahr ist deine Rede, mein König! Wir müssen Gnade suchen bei Nabukadnezar, ehe seine Hoffart mächtig wird über uns.
ABIMELECH (erbittert):
Keine Gnade! Lieber den Tod!
PASHUR:
Gottes Gnade bedürfen wir, keiner andern!
HANANJA:
Feiger Verräter du, Krämer des Glaubens…
IMRE (mühsam):
Wann wird der Streit tot sein in euren Herzen! Wahr redet der König. Nicht zur letzten Stunde dürfen wir warten. Lasset uns ihm entgegengehen, solange wir noch aufrecht sind.
ABIMELECH:
Es ist zu spät schon. Die Toten vor den Mauern reden wider uns.
PASHUR:
Es ist zu spät. Zuviel Grimm hat der Krieg gehäuft.
ZEDEKIA:
Es ist nicht zu spät. (Er schweigt einen Augenblick.) Denn schon ist ein Bote gegangen zwischen Nabukadnezar und mir!
(ALLE aufspringend, wirr durcheinander.)
NACHUM:
Du hast Botschaft von ihm! Gesegnet sei die Stunde!
HANANJA: