Gesammelte Werke von Stefan Zweig. Стефан Цвейг

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über die Tote.)

      VI. Stimmen um Mitternacht

       Inhaltsverzeichnis

       »Es will Abend werden, und die Schatten werden groß.«

      Jer. VI, 4.

      Das Schlafgemach des Königs Zedekia, ein weiter prunkvoller Raum, dessen Umrisse sich im Dunkel verlieren. Nur über dem Ruhebett leuchtet eine Ampel in goldener Schale, und durch das Fenster, das weitaufgetan über die Stadt blickt, strömt weiches Mondlicht. Vorne ein breitgefügter Tisch mit tiefen Sitzen; das Ruhebett, hinter Vorhängen, steht rückwärts in der Mitte des Raumes.

      (ZEDEKIA steht am Fenster und sieht regungslos auf die mondbeglänzte Stadt. Es ist ganz still und er selbst ein Teil dieser Stille.) (DER KNABE SPEERTRÄGER von der Türe auf ihn zu. Er wartet ehrfurchtsvoll, ob der König ihn bemerken wolle. Zedekia wendet sich nicht, sondern sieht regungslos in die Nacht hinaus.)

      DER KNABE SPEERTRÄGER (nach einer Pause, ehrfurchtsvoll, behutsam):

       Mein König!

      (ZEDEKIA wendet sich wie erschreckt.)

      DER KNABE:

       Mitternacht, mein König. Die Stunde ist es, da du mich hießest, den Rat vor dich zu rufen.

      ZEDEKIA:

       Sind alle versammelt?

      DER KNABE:

       Alle, so du entboten.

      ZEDEKIA:

       Hat keiner des Volks oder der Knechte sie gesehen?

      DER KNABE:

       Keiner, mein König. Auf dem geheimen Wege habe ich sie geleitet.

      ZEDEKIA:

       Und der Späher, ist er gesondert von ihnen?

      DER KNABE:

       Er harrt in der Halle der Türhüter.

      ZEDEKIA:

       Er möge warten. Erst rufe den Rat.

      (DER KNABE verneigt sich, hebt den Vorhang der Türe und entschwindet.)

      ZEDEKIA (allein, durchmißt mit starken Schritten den Raum. Dann bleibt er wieder am Fenster stehen und blickt hinaus): Wie die Sterne heute abends glühen, so sah ich sie nie. In Reihen stehen sie, wirr und weiß wie eine Schrift zu schauen auf dem Dunkel des Himmels, und doch vermag keiner sie zu lesen. In Babel, so sagen sie, sind Deuter und Priester, die den Gestirnen dienen und Zwiesprache pflegen mit ihnen des Nachts. Anderen Königen sprechen ihre Götter, auf Türmen sind Stätten gebaut, das Wort der Himmel zu fassen, wenn innen im Herzen das Dunkel waltet wie am Tage des Anbeginns. Warum sind mir nicht Diener gegeben, die Zukünftiges wissen! Wahrlich, es ist furchtbar, Knecht eines Gottes zu sein, der immer schweigt, des Auge keiner gesehen! (Er blickt lang auf die Stadt): Schlaf liegt auf ihnen, denen ich gesetzt bin als König, bei ihren Weibern ruhen sie oder bei ihren Waffen, und all ihr Wachsein ist in mir und ihre Not. Rat muß ich geben, doch wer ist, der mich beratet? Führer muß ich sein, doch wer ist, der mich führte? Über sie bin ich gesetzt, doch einer ist gesetzt über mich, und ich sehe ihn nicht. Schlaf hängt unter mir, Schweigen hängt über mir. Furchtbar, Knecht eines Gottes zu sein, der immer schweigt, des Auge keiner gesehn!

      (DER KNABE hebt den Vorhang. Es treten lautlos die fünf Räte des Königs ein. PASHUR, der Priester, HANANJA, der Profet, IMRE, der Älteste, ABIMELECH, der Heerführer, NACHUM, der Verwalter. Zedekia wendet sich und schreitet auf sie zu. Alle verneigen sich.)

      ZEDEKIA:

       Ich habe euch des Nachts entboten, auf daß geheim bleibe unsere Rede. Des Großen Rates habe ich entraten, denn ich bin seiner nicht sicher mehr. Zu viele sind sie, als daß ein Geheimnis nicht schlüpfte von hundert Zungen. Doch euch vertraue ich des Herzens Geheimstes. Redet frei, wie ich frei zu euch rede, keiner möge zagen, daß ich ihm zürne, wenn sein Wort gegen das meine sich wendet. Doch was an Rede und Ratschluß hier fällt, muß tot sein für Stadt und Volk, begraben in unserer Brust. Das fordere ich von euch und daß ihr es bekräftigt mit einem Gelöbnis. Legt eure Hände zum Zeugnis in des Priesters Hand, er bewahre an des Höchsten Statt euren Eid!

      (ALLE heben die Hände schweigend zum Eid und legen sie dann in Pashurs Hand.)

      ZEDEKIA:

       Und ich schwöre bei Gott dem Allmächtigen, daß ich mein Herz verschließen will dem Zorne gegen jeden, der wider mich redet. (Er legt seine Hände in die Pashurs.) Und nun laßt uns Rates pflegen! (Er weist mit der Hand gegen den Tisch. Alle lassen sich nieder. Schweigen.) Der elfte Monat ist es, daß Nabukadnezar uns belagert. Die Reben sind grün geworden zum andern Male. Nichts hat Nabukadnezar vermocht wider Jerusalem, aber desgleichen auch wir nichts wider ihn. Wie in Wasser schlägt sein Schwert wider uns, wie in Wasser das unsere wider ihn. Nichts haben wir unterlassen, dem Hilfe entwachsen könnte. Ich habe Boten entsandt an Cyros, den Meder, und zu den Fürsten des Morgenlands, daß sie uns beikämen wider Assur. Sie sind heimgekehrt leerer Hände. Keiner ist gewillt, unserer Not zu helfen. Wir sind allein.

      HANANJA (heftig):

       Gott ist mit uns!

      (DIE ANDERN schweigen.)

      ZEDEKIA (sehr ruhig):

       Gott ist mit uns, er hat sein Zelt geschlagen auf diesem Hügel, und sein Haus schattet mein eigen Dach. Aber Gott sendet auch Prüfungen über sein Volk. Nochmals sei es gesagt: die uns Treue schwuren, haben uns verraten, Ägypten hat uns verlassen, wir sind allein. Lasset uns nun bereden, Wort wider Wort, Meinung wider Meinung, wie wir den Streit ausfechten möchten mit Nabukadnezar oder ob einer Rat wüßte, ihn zu enden.

      HANANJA:

       Wir müssen beten zu Gott, daß er das Wunder sende. Wir müssen unsere Herzen füllen mit Gebet und seine Altäre mit Opfern. Wir müssen ein Doppeltes tun als bisher…

      NACHUM:

       Es sind keine Opfer mehr, nicht Farren noch Böcke.

      HANANJA:

       Nicht wahr ist dies. Selbst habe ich das Blöken der Rinder gehört, die du birgst vor den Altären.

      NACHUM:

       Die letzten sind es, Milchkühe, gespart den Frauen, ihre Kinder zu säugen, und als Zehrung den Kranken.

      HANANJA:

       Man darf nicht sparen für Gott. Mögen darben die Kranken und verdorren die Brüste der Frauen. Gott darf nicht entbehren des Opfers.

      PASHUR (ernst):

       Sein Herz weiß unsere Not auch ohne Gabe.

      HANANJA:

       Aber nichts ist ihm süßer, denn die Gabe der Not. Man gebe ihm das Letzte und reiße es selbst sich vom Munde.

      PASHUR:

       Ich kenne die Bräuche, nicht mußt du meines Dienstes mich belehren, Hananja, besser ist er vielleicht mir bewußt, als dir Gottes Wort und Wille.

      HANANJA:

       Wer nicht opfert heißen Herzens, wer da zaudert und zählt, ist nur ein Schlächter des Tieres und nicht Diener des Herrn. Ich aber sage euch, so ihr nicht das Letzte hingebet von eurer Notdurft, seid ihr nicht würdig, vor sein Antlitz zu treten…

      ZEDEKIA (heftig):

       Schweigt stille! Ich mag eure Worte nicht. Noch sind der Sandkörner kaum zehn niedergeronnen in der Uhr, und schon erhebt ihr Rede widereinander. Was Gottes ist, will nicht beredet sein. Ich habe euch zum Rate gerufen über unsere Not und wie wir sie vermöchten zu wenden. Kriegszeit ist unsere Zeit, und so frage ich dich als ersten, Abimelech, den Obersten meiner Krieger.

      ABIMELECH:

       Fest sind die Mauern Jerusalems, mein König, aber noch fester ist mein Herz.

      ZEDEKIA:

      


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